Öffentliches Recht

Vorschlag der Kommission zur Vereinfachung der KI-Verordnung (Digital-Omnibus)

Die Europäische Kommission arbeitet derzeit daran, Unternehmen in der EU zu entlasten, um ihnen mehr Zeit für Innovation und Skalierung zu geben. Um dieses Ziel zu erreichen, möchte die Europäische Kommission Bürokratie abbauen und bestehende Regeln praxistauglicher gestalten. Nachdem der ursprüngliche Regelungsrahmen der KI-Verordnung aufgrund seines Umfangs und der Vielzahl technischer Anforderungen wiederholt auf Kritik gestoßen ist, zielt das Digitalpaket der Kommission mit seinem sogenannten „Digital-Omnibus“ darauf ab, Vorschriften für künstliche Intelligenz (KI), Cybersicherheit und Daten zu straffen. Dafür hat die Europäische Kommission am 19. November 2025 einen Vorschlag zur Vereinfachung der europäischen Digitalgesetze vorgestellt.

Anlass für eine Änderung der KI-Verordnung

Das europäische Digitalrecht wird zunehmend komplexer. Unternehmen stehen mit dem Inkrafttreten zahlreicher Regelwerke wie der KI-Verordnung (Verordnung (EU) 2024/1689 – auch AI Act), dem Data Act (Verordnung (EU) 2023/2854) oder dem Cyber Resilience Act (Verordnung (EU) 2024/2847) vor einem eng verflochtenen Netz von Pflichten, die inhaltlich und zeitlich oft miteinander verwoben sind und in der Praxis zu erheblichen Umsetzungsherausforderungen führen.

Die KI-Verordnung vom 13. Juni 2024, die am 1. August 2024 in Kraft trat, schafft einen einheitlichen Markt für vertrauenswürdige und menschenzentrierte künstliche Intelligenz innerhalb der EU. Sie verfolgt das Ziel, Innovationen und die Nutzung von KI zu fördern und gleichzeitig einen hohen Schutz von Gesundheit, Sicherheit und Grundrechten sicherzustellen. Die Umsetzung der Verordnung erfolgt gestaffelt – spätestens am 2. August 2027 sollen jedoch alle Regelungen gelten.

Wie die Europäische Kommission im AI Continent Action Plan und in der Apply AI Strategy festgelegt hat, setzt sie sich für eine klare, praxisnahe und innovationsfreundliche Umsetzung des AI-Acts ein.

Die Ergebnisse der öffentlichen Konsultation zur Identifizierung möglicher Herausforderungen bei der Umsetzung der KI-Verordnung haben zahlreiche Probleme aufgezeigt, die den effektiven Beginn der Anwendung zentraler Bestimmungen gefährden könnten, bspw. die Benennung oder Schaffung von notifizierenden Behörden gemäß Art. 28 Abs. 1 KI-VO oder die Pflicht zur Schaffung von KI-Kompetenz aus Art. 4 KI-VO. Solche Verzögerungen könnten die Compliance-Kosten für Unternehmen und öffentliche Stellen erheblich erhöhen und Innovationsprozesse verlangsamen.

Vor diesem Hintergrund hat die Kommission am 19. November 2025 einen Entwurf zur Vereinfachung der europäischen Digitalgesetzgebung vorgestellt (im Rahmen des Digital-Omnibus), der unter anderem gezielte Änderungen der KI-Verordnung vorsieht, um diese Herausforderungen zu adressieren. In diesem Rahmen verpflichtet sich die Europäische Kommission insbesondere auch zur Verfügungstellung diverser Leitlinien, um die Konformität mit der Verordnung bestmöglich sicherzustellen Der Digital-Omnibus reiht sich ein in andere Omnibus-Pakete, mit denen die Europäischen Kommission die Vereinfachung von EU-Vorschriften verfolgt (bspw. die Vereinfachung der CBAM-Verordnung und der EU-Lieferkettenrichtlinie sowie das Paket zur Stärkung der Verteidigungsbereitschaft).

Veränderter Umsetzungszeitraum bei Hochrisiko-KI-Systemen

Der Vorschlag sieht zunächst eine Anpassung des Umsetzungszeitraums für bestimmte Vorschriften für Hochrisiko-KI-Systeme (Kapitel III, Abschnitte 1-3) vor. Künftig soll dieser Zeitraum an den Erlass von Normen oder die Bereitstellung anderer Unterstützungsinstrumente gekoppelt werden. 

Die Kommission ist der Ansicht, dass Verzögerungen bei wichtigen Vorbereitungen – wie der Erstellung einheitlicher Standards, gemeinsamer Spezifikationen und der Einrichtung nationaler Behörden – zu praktischen Problemen führen. In der Folge könnte es dazu kommen, dass die neuen Regeln nicht wie geplant umgesetzt werden können und die Kosten für die Umsetzung unnötig hoch ausfallen. In diesem Fall sei die Beibehaltung des ursprünglich vorgesehenen Anwendungsdatums nicht gerechtfertigt. Deshalb soll ein Mechanismus eingeführt, werden, der den Start der Anwendung davon abhängig macht, dass die nötigen Unterstützungsmaßnahmen – wie beispielsweise einheitliche Standards, gemeinsame Spezifikationen oder Leitlinien der Kommission – tatsächlich verfügbar sind.

Der aktuelle Art. 113 KI-VO, der das Inkrafttreten und die Anwendung der Verordnung regelt, soll um einen Buchstaben d) ergänzt werden. Demnach treten die Vorschriften zu Hochrisiko-KI-Systemen in Kapitel III, Abschnitte 1, 2 und 3 erst nach Erlass eines entsprechenden Beschlusses der Kommission in Kraft, der das Vorhandensein geeigneter Maßnahmen feststellt: 

  • Für KI-Systeme, die gemäß Art. 6 Abs. 2 und Anhang III als Hochrisiko-Systeme eingestuft sind, sechs Monate nach Erlass des Beschlusses; ohne einen Beschluss aber spätestens am 2. Dezember 2027;
  • und für KI-Systeme, die gemäß Art. 6 Abs. 1 und Anhang I als Hochrisiko-Systeme eingestuft sind, 12Monate nach Erlass des Beschlusses; ohne einen Beschluss aber spätestens am 2. August 2028.

Ausweitung regulatorischer Vereinfachungen auf Small-Mid-Caps (SMCs)

Unternehmen, die aus der Definition von Kleinstunternehmen sowie kleinen und mittleren Unternehmen („KMU“) herauswachsen, sogenannte Small-Mid-Caps („SMCs“), spielen eine zentrale Rolle in der Wirtschaft der Europäischen Union. Aufgrund ihres hohen Wachstumstempos sowie ihres tendenziell höheren Maßes an Innovation und Digitalisierung stehen sie hinsichtlich des Verwaltungsaufwandes aktuell vor ähnlichen Herausforderungen wie KMU. Die Kommission sieht darin ein Bedürfnis nach Verhältnismäßigkeit und gezielter Unterstützung. 

Um diesem Bedarf gerecht zu werden, soll künftig ein besonderes Augenmerk auch auf diese Unternehmensgruppe gelegt werden (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. g der KI-VO). Zudem sollen in Art. 3 KI-VO rechtsverbindliche Definitionen für KMU und SMC eingeführt werden.

Darüber hinaus sind Vereinfachungen in Bezug auf die technische Dokumentation nach Art. 11 KI-VO vorgesehen. KMUs und SMCs sollen bestimmte Elemente der technischen Dokumentation künftig in vereinfachter Form übermitteln können, wobei die Kommission ein entsprechendes vereinfachtes Formular erarbeiten und bereitstellen wird. Gleichzeitig sollen die zuständigen nationalen und europäischen Behörden bei der Überwachung und gegebenenfalls bei der Verhängung von Strafen ein besonderes Augenmerk auf KMUs und SMCs legen und die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit besonders beachten. 

Änderungen betreffend die KI-Kompetenz

Bisher verpflichtet Art. 4 KI-VO alle Anbieter und Betreiber von KI-Systemen, die KI-Kompetenz ihres Personals sicherzustellen. Die von den Interessenträgern geteilten Erfahrungen haben allerdings gezeigt, dass eine „One-Size-Fits-All“-Lösung nicht für alle Anbieter und Betreiber geeignet ist, wenn es um die Förderung von KI-Kompetenz geht, und insbesondere für kleinere Unternehmen eine zusätzliche Compliance-Belastung darstellt. Gleichzeitig sollte die KI-Kompetenz unabhängig von regulatorischen Verpflichtungen und möglichen Sanktionen als strategische Priorität betrachtet werden. 

Vor diesem Hintergrund wird die bisherige, unbestimmte Pflicht der Unternehmen zur Förderung der KI-Kompetenz abgeschafft und in eine Pflicht der Kommission und der Mitgliedstaaten überführt. Sie sollen künftig die Entwicklung von KI-Kompetenz gezielt fördern. Schulungspflichten für Betreiber von Hochrisiko-KI-Systemen bleiben jedoch weiterhin bestehen.

Mehr Flexibilität für Anbieter in der Beobachtung nach dem Inverkehrbringen 

Durch die Streichung der Ermächtigung der Kommission zum Erlass eines harmonisierten Überwachungsplans (aktueller Art. 72 Abs. 3 KI-VO) soll mehr Flexibilität in der Beobachtung nach dem Inverkehrbringen durch die Anbieter ermöglicht werden. Anbieter von Hochrisiko-KI-Systemen erhalten dadurch einen größeren Spielraum, ein Überwachungssystem einzurichten, das speziell auf ihre Organisation zugeschnitten ist. Gleichzeitig sorgt die Kommission durch die Veröffentlichung entsprechender Leitlinien für Klarheit darüber, wie die Anbieter die Vorschriften korrekt einhalten können.

Reduzierung bestimmter Registrierungspflichten

Gemäß dem aktuellen Art. 49 Abs. 2 KI-VO sind Anbieter oder ihre Bevollmächtigten vor dem Inverkehrbringen oder der Inbetriebnahme eines Hochrisiko-KI-Systems, das zwar unter die Kategorien des Anhangs III fällt, bei dem sie aber zu dem Schluss gelangt sind, dass es nicht hochriskant gemäß Art. 6 Abs. 3 KI-VO ist, verpflichtet, sich und dieses System in der EU-Datenbank zu registrieren. Es handelt sich dabei um KI-Systeme, die zwar in Anhang III der Verordnung aufgeführt sind, aber kein erhebliches Risiko der Beeinträchtigung in Bezug auf die Gesundheit, Sicherheit oder Grundrechte natürlicher Personen bergen, indem sie unter anderem nicht das Ergebnis der Entscheidungsfindung wesentlich beeinflussen.

Zur Vereinfachung der Einhaltung und zur Senkung der damit verbundenen Kosten soll Art. 49 Abs. 2 KI-VO ersatzlos gestrichen werden. Anbieter von KI-Systemen sind dann nicht mehr verpflichtet, die in Art. 6 Abs. 3 KI-VO genannten Systeme in der EU-Datenbank zu registrieren. Nichtsdestotrotz bleibt ein Anbieter, der der Ansicht ist, dass ein KI-System unter Art. 6 Abs. 3 KI-VO fällt, verpflichtet, seine Bewertung zu dokumentieren, bevor das System in den Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen wird. Diese Bewertung kann von den nationalen Behörden angefordert werden.

Zentralisierung der Aufsicht auf das KI-Büro

Die Aufsicht über eine große Zahl von KI-Systemen, die auf Basismodellen allgemeiner Zweckbestimmung beruhen oder in sehr großen Online-Plattformen bzw. sehr großen Suchmaschinen eingebettet sind, soll künftig zentralisiert von dem KI-Büro der Kommission wahrgenommen werden. Das KI-Büro der Kommission bildet das Zentrum für KI-Expertise in der gesamten EU. Es fördert die Entwicklung und Einführung von KI-Lösungen, die der Gesellschaft und der Wirtschaft zugutekommen. Es leitet bislang u.a. die Umsetzung des AI Continent Action Plans und die Anwendung der Apply AI Strategy Um die erstrebte Zentralisierung zu bewerkstelligen, soll der derzeitige Art. 75 KI-VO grundlegend geändert und eine dahingehende Kompetenz des KI-Büros statuiert werden. 

Die Änderung soll erreichen, dass Unternehmen sich einerseits nur noch mit einer einzigen Aufsichtsbehörde befassen müssten, anstatt mit mehreren nationalen Behörden, dass innerhalb der Kommission eine spezialisierte Expertise in Bezug auf KI-Systeme ermöglicht wird und dass nationale Behörden entlastet werden. Zudem soll Rechtssicherheit für Betreiber geschaffen und divergierende nationale Durchsetzungsmaßnahmen vermieden werden.

Erleichterung der Konformität mit dem Datenschutzrecht

Durch die Einfügung eines neuen Art. 4a, der Artikel 10 Abs. 5 KI-VO ersetzt, soll eine neue Rechtsgrundlage geschaffen werden, die die Einhaltung des Datenschutzrechts dadurch erleichtert, dass Anbieter und Betreiber von KI-Systemen und KI-Modellen ausnahmsweise besondere Kategorien personenbezogener Daten verarbeiten dürfen, um unter bestimmten Bedingungen eine Erkennung und Korrektur von Bias sicherzustellen.

Ausweitung des Einsatzes von KI-Reallaboren

Der Einsatz von KI-Reallaboren soll nach dem Willen der Kommission ausgeweitet werden. Die Vorschriften zu den KI-Reallaboren in Art. 57 KI-VO sollen daher derart geändert werden, dass künftig eine Rechtsgrundlage dafür geschaffen wird, dass das KI-Büro auf EU-Ebene ein KI-Reallabor für bestimmte KI-Systeme einrichtet, die in seine ausschließliche Aufsichtskompetenz fallen. Mitgliedstaaten sollen verpflichtet werden, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ihrer Reallabore zu verstärken.

In diesem Rahmen wird der Vorschlag wohl auch Auswirkungen auf den bereits am 30. Mai 2025 vorgelegten nationalen Entwurf des Reallabore-Gesetzes haben, mit dem die Regierungskoalition eine häufigere und bessere Nutzung von Reallaboren in allen Bereichen ermöglichen möchte. Die aus dem Vorschlag der Kommission hervortretende stärkere Innovationsfreundlichkeit könnte einen wichtigen Impuls für die weitere Ausschussberatung des Entwurfs des Reallabore-Gesetzes geben.

Die Ermächtigung der Kommission, Durchführungsrechtsakte zu erlassen, in denen die detaillierten Regelungen für die Einrichtung, Entwicklung, Umsetzung, den Betrieb und die Überwachung von KI-Reallaboren festgelegt sind, soll zudem weiter präzisiert werden. Darüber hinaus schlägt die Kommission Änderungen für das Testen von Hochrisiko-KI-Systemen unter realen Bedingungen außerhalb von KI-Reallaboren vor und möchte die Möglichkeit unter anderem auf Hochrisiko-KI-Systeme nach Abschnitt A von Anhang I der KI-VO erweitern. Dadurch soll insbesondere die Koordination zwischen den Mitgliedstaaten verbessert und die Ressourcen optimal genutzt werden. 

Fazit

Die grundsätzliche Zielbestimmung der Kommission, die umfassenden Regelungswerke im Bereich von KI realitäts- und praxisnaher zu gestalten, überzeugt. Die Regeln werden dadurch für Unternehmer verständlicher und leichter umsetzbar. Der Änderungsvorschlag der Kommission sollte nicht als Deregulierung, sondern vielmehr als praxisnahes Entgegenkommen verstanden werden. Ein Großteil der Pflichten von Unternehmen bleibt unberührt. Eine Prüfung der Pflichten und des aktuellen Umsetzungsstands ist daher für Unternehmen ratsam.

Zudem handelt es sich bei dem Digital-Omnibus zunächst nur um einen Vorschlag der Kommission, der zunächst dem Europäischen Parlament und dem Rat der EU-Staaten zur weiteren Diskussion vorgelegt wird. Im Vorfeld der Veröffentlichung haben bereits einige Parlamentarier Diskussionsbedarf angemeldet, sodass davon ausgegangen werden kann, dass einige Punkte im Laufe der anstehenden Verhandlungen Änderungen oder Streichungen erfahren könnten. Erst wenn sowohl der Rat der Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit als auch die Mehrheit des Europäischen Parlaments den Regelungen zustimmt, werden die Änderungen auch Gesetz. Mit einem Inkrafttreten kann wohl erst Mitte des Jahres 2026 gerechnet werden.

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