Die Europäische Kommission (i.F. auch „Kommission“) hat am 17./23. Juni 2025 ein umfassendes Paket zur Stärkung der Verteidigungsbereitschaft veröffentlicht. Ziel des sog. „Defence Readiness Omnibus“ ist es, bestehende Hürden bei der öffentlichen Beschaffung, in Genehmigungsverfahren, bei Berichtspflichten und in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit abzubauen und der Industrie mehr Planungssicherheit zu bieten. Zudem soll der Zugang zu EU-Mitteln vereinfacht werden. Das Defence Omnibus Paket vereint sechs EU-Rechtsakte und -Instrumente sowie eine begleitende Kommunikation der Kommission und betrifft einen bunten Strauß unterschiedlicher Regelungsgegenstände. So bezieht sich der Omnibus neben Rechtsgebieten wie dem Vergaberecht und dem Außenwirtschaftsrecht, die für die Verteidigungsindustrie traditionell relevant sind, auch auf weniger rüstungsspezifische Themenfelder. Enthalten sind auch Regelungsvorschläge und Hinweise zu EU-Fördermitteln, Wettbewerbsrecht, Chemie- und Umweltgesetzgebung, ESG-Regulierung sowie zur EU-Arbeitszeitrichtlinie.
Hintergrund
I. Weißbuch zur europäischen Verteidigung – Bereitschaft 2030
Am 19. März 2025 hat die Kommission das „Weißbuch zur europäischen Verteidigung – Bereitschaft 2030“ vorgelegt. Angesichts der aktuellen Herausforderungen und Bedrohungen entwickelt sie darin strategische Ziele und Strategien, um die Verteidigungsbereitschaft Europas zu erhöhen. Durch massive Investitionen, Zusammenarbeit und gemeinsame Beschaffung sowie Entbürokratisierung soll erreicht werden, dass die Europäische Union bis spätestens 2030 über ein starkes und ausreichendes europäisches Verteidigungsdispositiv verfügt und Abschreckungskapazitäten aufgebaut haben wird.
II. Umsetzung: Defence Readiness Omnibus als vorgeschlagenes Maßnahmenpaket
Den im Weißbuch formulierten Strategien folgen nun konkrete Vorschläge der Kommission. Mithilfe verschiedener EU-Rechtsakte und -Instrumente sollen bestehende Regelungen gezielt geändert und vereinfacht werden. Davon sind sowohl spezifisch verteidigungsbezogene sowie auch allgemein-regulatorische Regelungskomplexe betroffen, die Einfluss auf die europäische Verteidigungsbereitschaft haben:
Wesentliche Regelungen
Die Kommission schlägt eine Verordnung zur Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens von verteidigungsrelevanten Projekten auf EU-Ebene vor.
- Vorgesehen ist ein Schnellverfahren mit einer Genehmigungsfrist von nur 60 Tagen für „Projekte zur Verteidigungsbereitschaft“. Dieser Begriff wird sehr weit definiert als „Tätigkeiten, Investitionen und Maßnahmen zur Verbesserung der Verteidigungsbereitschaft“ und könnte daher auch die Herstellung und Ausfuhr von Rüstungsgütern erfassen, deren Genehmigung nach nationalem Recht bislang deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen konnte. Werden Projekte zukünftig nicht innerhalb dieser Zeit genehmigt, sieht Art. 5 Abs. 8 des Vorschlags sogar eine Genehmigungsfiktion vor.
- Zudem müssen die Mitgliedstaaten zentrale Anlaufstellen einrichten, die für die Erleichterung und Koordinierung des Genehmigungsverfahrens zuständig sind und Informationen online bereitstellen. Sie sollen die einzige Anlaufstelle für den Projektträger in dem Genehmigungsverfahren für ein Projekt zur Verteidigungsbereitschaft sein.
Mit einem in der Omnibus-Initiative enthaltenen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2009/81/EG über die Beschaffung in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit („Verteidigungsvergaberichtlinie“) sind wesentliche Neuerungen im verteidigungsspezifischen Vergaberecht verbunden.
- So soll für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsverträgen der Schwellenwert von EUR 443.000 auf EUR 900.000 angehoben werden. Die Kommission schätzt, dass diese Änderung etwa 25 % aller Beschaffungsverfahren erheblich vereinfachen wird, die derzeit unter die EU-Vorschriften für Verteidigungsbeschaffung fallen. Die Verdopplung der Schwellenwerte soll es den Mitgliedstaaten ermöglichen, ihre Ressourcen auf Großaufträge konzentrieren zu können. Gleichzeitig soll dadurch der Verwaltungsaufwand für die Industrie verringert werden. Dieser Vereinfachung stehen auch die niedrigeren Schwellenwerte nach dem im Rahmen der Welthandelsorganisation („WTO“) geschlossenen Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (Government Procurement Agreement, „GPA“) nicht im Weg. Die mit der Anhebung der Schwellenwerte adressierten Aufträge zur Beschaffung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial im Verteidigungsbereich sind bereits vom Anwendungsbereich des GPA ausgenommen.
- Des Weiteren ist vorgesehen, die Auswahl der verfügbaren Verfahrensarten zu erweitern. Den Mitgliedstaaten stehen von nun an auch im Verteidigungsvergaberecht das Offene Verfahren, das dynamische Beschaffungssystem und die Innovationspartnerschaft als Verfahrensart zur Verfügung.
- Für die Direktbeschaffung innovativer Produkte oder Dienstleistungen aus wettbewerbsorientierten parallelen Forschungs- und Entwicklungsprojekten, soll zudem ein vereinfachtes Verfahren eingeführt werden.
- Um weiterhin akuten Bedarf zu decken und Lagerbestände aufzufüllen, sollen die Mitgliedstaaten Sofortkäufe von verfügbaren Rüstungsgütern im Rahmen gemeinsamer Beschaffungen im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung tätigen können. In den Anwendungsbereich dieser befristeten Ausnahmeregelung fallen nur Beschaffungen von identischen oder nur geringfügig abgeänderten Verteidigungsgütern durch mindestens drei Mitgliedstaaten, die vor dem 1. Januar 2031 abgeschlossen sind.
- Zudem ist eine Verlängerung der maximalen Regellaufzeit von Rahmenvereinbarungen von bisher 7 auf zukünftig 10 Jahre vorgesehen. Dadurch soll den Mitgliedstaaten ermöglicht werden, längerfristige Partnerschaften mit der Industrie eingehen zu können und ihren Beschaffungsbedarf mit größerer Sicherheit planen zu können.
- Schließlich sollen im Zusammenhang mit der Beschaffung von Verteidigungsgütern statistische Berichtspflichten reduziert werden, um den Verwaltungsaufwand für die Mitgliedstaaten zu verringern.
- Der Vorschlag ergänzt zudem die Bereichsausnahme nach Art. 13 c) der Verteidigungsvergaberichtlinie zu auf Forschung und Entwicklung beruhenden Kooperationsprogrammen zwischen mindestens zwei Mitgliedstaaten der EU. Dabei handelt es sich in der Sache lediglich um eine Kodifizierung der bereits in der Bekanntmachung der Kommission von 2019 über Leitlinien für die kooperative Beschaffung in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit enthaltenen unverbindlichen Orientierungshilfen. Dadurch wird rechtsverbindlich klargestellt, dass von der Bereichsausnahme nicht nur Aufträge zur Entwicklung neuer Produkte erfasst werden, sondern auch solche Aufträge, die nur die wesentliche Änderung oder Verbesserung eines bereits bestehenden Produkts zum Gegenstand haben. Zudem wird die Möglichkeit, dass Mitgliedstaaten auch nach Abschluss der F&E-Phase an solchen Programmen teilnehmen und von der Ausnahme profitieren, kodifiziert. Auch die Gleichstellung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten, die von Organen oder Einrichtungen der Union verwaltet werden und die aus dem Unionshaushalt finanziert werden, mit Kooperationsprogrammen, die von mindestens zwei Mitgliedstaaten gemeinsam durchgeführt werden, soll übernommen werden. Hiervon betroffen wären insbesondere Aufträge im Rahmen von Projekten, die aus dem Europäischen Verteidigungsfonds (EDF) finanziert werden.
- Bemerkenswert ist, dass der Defence Omnibus neben diesen Klarstellungen keine zusätzlichen Bereichsausnahmen vom Vergaberecht und auch keine Ausweitung der bestehenden Bereichsausnahmen nach Art. 13 der Verteidigungsvergaberichtlinie enthält.
- Auch im Hinblick auf die zunehmende nationale Praxis, sich auf die primärrechtliche Ausnahme des Art. 346 AEUV zum Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen zu berufen, überrascht die im Defence Omnibus enthaltene Klarstellung, dass in anderen Bereichen als der staatlichen Beihilfe die Anwendung der Ausnahmeregelung des Art. 346 AEUV weiterhin streng geprüft werden und eine entsprechende Feststellung im Bereich staatlicher Beihilfen nicht zugleich die Anwendbarkeit von Art. 346 AEUV im Bereich der Verteidigungsbeschaffung zur Folge habe. Erforderlich sei auch künftig eine einzelfallbezogene Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit nationaler Maßnahmen nach Art. 346 AEUV – unter Berücksichtigung des jeweiligen Kontexts und der Auswirkungen der Maßnahme.
- Zugleich fordert die Kommission die Mitgliedstaaten auf, dringend ihre nationalen Vergabevorschriften zu überprüfen und nationale Zusatzanforderungen in Vergabeverfahren („goldplating“) zu beseitigen.
Die Kommission schlägt vor, durch eine Änderung der Richtlinie 2009/43/EG („Verteidigungsgüterrichtlinie“) die innergemeinschaftliche Verbringung verteidigungsrelevanter Güter zu vereinfachen. Ziel ist, die Verbringung von Verteidigungsgütern an die Streitkräfte der Mitgliedstaaten, in Lieferketten und im Rahmen von EU finanzierten Projekten zu vereinfachen und zu beschleunigen. Zu diesem Zweck sollen verschiedene Maßnahmen ergriffen werden:
- Als zentraler Punkt ist vorgesehen, die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, Ausnahmen von den Genehmigungspflichten vorzusehen, zu erweitern. Die Liste der Fälle, in denen Mitgliedstaaten von der vorherigen Genehmigung befreien können, soll insbesondere auf Verbringungen zur Durchführung von EU-Verteidigungsprogrammen, auf Verbringungen im Rahmen strukturierter grenzüberschreitender Industriepartnerschaften, auf Verbringungen an Organe und Einrichtungen der EU oder die Europäische Verteidigungsagentur und auf Verbringungen, die im Krisenfall oder im Rahmen militärischer Unterstützung notwendig sind, erweitert werden.
- Die Nutzung von Allgemein- bzw. Einzelgenehmigungen darf nicht durch sachfremde Kriterien erschwert werden. Die Mitgliedstaaten sollen daher sicherstellen, dass die Anforderungen, die an die Nutzung von Genehmigungen gestellt werden, für die Einhaltung der Rechtsvorschriften im Bereich der Verbringung und der Ausfuhrkontrolle unmittelbar relevant sind.
- Zudem soll der Anwendungsbereich der Allgemeingenehmigungen ausgeweitet und harmonisiert werden. Die bestehenden Allgemeingenehmigungen sollen zukünftig auch für die Verbringung durch zertifizierte Stellen und die Verbringung an zertifizierte Unternehmen der europäischen Verteidigungsindustrie gelten. Zudem soll eine neue Allgemeingenehmigung für Projekte im Rahmen von EU-Programmen wie dem EDF eingeführt werden, die alle Verteidigungsgüter und alle für die Durchführung der EU-Projekte erforderlichen Verbringungen abdeckt. Die Mitgliedstaaten sollen darüber hinaus verpflichtet werden, die Möglichkeit vorzusehen, weitere Allgemeingenehmigungen einzuführen.
- Außerdem sollen die Meldepflichten für Technologietransfers vereinfacht werden und die Pflicht zur Vorlage von End-User Certificates (EUC) soll erleichtert werden.
- Die Kommission soll die Befugnis zum Erlass Delegierter Rechtsakte erhalten, um den rechtlichen Rahmen für die Verbringung verteidigungsrelevanter Güter weiter auszugestalten.
European Defence Fund („EDF“)
Die Kommission schlägt eine Änderung der Verordnung (EU) 2021/697 zur Errichtung des Europäischen Verteidigungsfonds vor. Dabei sollen Klarstellungen und Vereinfachungen vorgenommen und Flexibilität geschaffen werden, um die Durchführung des Fonds zu erleichtern.Aus diesem Grund sollen die Vergabekriterien vereinfacht werden, die Vorschriften zur Direktvergabe präzisiert werden, und ein flexiblerer Einsatz der indirekten Mittelverwaltung ermöglicht werden. Zudem soll die Möglichkeit eröffnet werden, Tests, die außerhalb des Gebiets der Union (z.B. in der Ukraine) durchgeführt werden, zu finanzieren.
Nach dem derzeitigen Rechtsrahmen des EDF erhalten die beteiligten Mitgliedstaaten, zudem keinen ausreichenden Zugang zu den Ergebnissen der Entwicklungsprojekte. Dies möchte die Kommission ändern und ein Recht auf Zugang zu den Ergebnissen zu fairen Bedingungen gewähren. Als zusätzlichen Effekt erhofft sie sich, dass dadurch Verhandlungsprozesse zwischen den Mitgliedstaaten und der Industrie vereinfacht werden und auf diese Weise die Zeit bis zur Gewährung der Finanzhilfe verkürzt werden kann.
- InvestEU-Fonds
Die Kommission regt zudem an, die Investitionsleitlinien des InvestEU Fonds zu überarbeiten. Mit dem InvestEU Fonds, der 2021 eingerichtet wurde, um die wirtschaftliche Erholung nach der COVID-19 Krise zu beschleunigen, die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu stärken und die Erreichung der Klimaziele sowie den wissenschaftlichen-technischen Fortschritt zu fördern, konnte bisher bereits in Verteidigungstechnologien und -produkte investiert werden, die im jährlichen Arbeitsprogramm für den Europäischen Verteidigungsfonds festgelegt waren. Da sich das Arbeitsprogramm jedoch fortlaufend weiterentwickelt, konstatiert die Kommission dieser Regelung unnötige Komplexität und damit verbundene Rechtsunsicherheit. Sie schlägt vor, durch eine Änderung des Annexes der Delegierten Verordnung (EU) 2021/1078 die Definition klarer und praktikabler zu fassen. Außerdem sollen verschiedene Regelungen angepasst werden und Beschränkungen aufgehoben werden.
Die Kommission unterstreicht zunächst, dass das EU-Wettbewerbsrecht auf den Verteidigungssektor anwendbar ist. Die Verteidigungsfähigkeit der europäischen Industrie hänge entscheidend von wettbewerbsfähigen Märkten ab, die durch Spitzentechnologie und Innovation sowie ausreichenden und flexiblen Produktionskapazitäten gekennzeichnet sind.
Die Kommission verweist zugleich auf die zentrale primärrechtliche Norm des Art. 346 Abs. 1 b) AEUV, der eine ziemlich weite Bereichsausnahme für die Wahrung mitgliedstaatlicher Interessen im Bereich der Landesverteidigung und der nationalen Sicherheit schafft. Hiernach kann jeder Mitgliedstaat „die Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen“. Es gilt allerdings das Verbot einer Quersubventionierung, wonach „diese Maßnahmen … auf dem Binnenmarkt die Wettbewerbsbedingungen hinsichtlich der nicht eigens für militärische Zwecke bestimmten Waren nicht beeinträchtigen“ dürfen. Außerdem steht die Ausnahmevorschrift unter einem Missbrauchsvorbehalt. Die Kommission kann dies durch den EuGH prüfen lassen (Art. 348 Abs. 2 AEUV). Die Vorschrift dürfte in Zukunft v.a. im Bereich der Beihilfenkontrolle relevant werden. In diesem Zusammenhang behandelt die Kommission sie auch im Detail. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass Mitgliedstaaten durch bestimmte Maßnahmen auch private Wettbewerbsbeschränkungen im Anwendungsbereich von Art. 346 AEUV legitimieren.
In der Praxis heißt dies, dass die Mitgliedstaaten durch hoheitliche Maßnahmen zumindest für den militärischen Teilbereich einer Transaktion die EU-Fusionskontrolle außer Kraft setzen könnten, wenn sie sich auf Art. 346 Abs. 1 b) AEUV berufen können. Die Kommission muss dann ihre Prüfung auf den nicht-militärischen Teil beschränken.
Erfreulich ist das Bekenntnis der Kommission, dass das EU-Wettbewerbsrecht den dringend notwendigen Ausbau des Verteidigungssektors und die Verteidigungsfähigkeit der Mitgliedstaaten nicht behindern darf. Wenngleich sich dem Omnibus noch keine konkreten Aussagen zur Novellierung und Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Verteidigungsbereich entnehmen lassen, sollen im Rahmen der laufenden Überarbeitung der EU-Fusionskontrollleitlinien die veränderten Rahmenbedingungen bei Verteidigung und Sicherheit berücksichtigt werden. Insbesondere scheint beabsichtigt, eine Verbesserung der Verteidigungs- und Sicherheitslage in die Betrachtung mit einzustellen und diese unter Effizienzgesichtspunkten zu berücksichtigen. Die öffentliche Konsultation zur Novellierung der Fusionskontrollleitlinien endet am 3. September 2025. Die Kommission plant derzeit, neue Leitlinien im 4. Quartal 2027 zu veröffentlichen.
Bei der Überarbeitung der EU-Fusionskontrollleitlinien sollten klar umrissene safe harbours für wettbewerblich unproblematische Transaktionen definiert werden. Die damit einhergehende Rechtssicherheit sorgt dafür, dass sich die Verteidigungsunternehmen auf ihr Kerngeschäft, d.h. die Ausweitung der Produktion und die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Mitgliedstaaten fokussieren können.
Art. 346 Abs. 1 b) AEUV geht aber noch wesentlich weiter und kann bei entsprechender mitgliedstaatlicher Maßnahme eine Ausnahme von allen Vertragsbestimmungen begründen, einschließlich des Kartellverbots nach Art. 101 AEUV. Erfreulicherweise zeigt sich die Kommission in dem Papier dazu bereit, Kooperationsprojekte im Verteidigungsbereich, die nicht unter Art. 346 Abs. 1 b) AEUV fallen, wohlwollend zu beurteilen. Insbesondere soll das der Fall sein, wenn eine Zusammenarbeit notwendig ist, um die Produktion auszuweiten oder wenn einzelne Unternehmen ohne die Kooperation nicht in der Lage sind, Produkte eigenständig zu entwickeln oder herzustellen oder wenn gemeinsam Rohstoffe bzw. Vorprodukte bezogen werden sollen. Bei der Bewertung solcher Kooperationen beabsichtigt die Kommission ebenfalls die daraus resultierenden Effizienzgewinne zu berücksichtigen – insbesondere positive Auswirkungen auf die Verteidigungsbereitschaft, oder die Resilienz der Lieferketten im Verteidigungssektor.
Auch mit Blick auf die kartellrechtliche Bewertung von Kooperationen wären neben der von der Kommission in Aussicht gestellten einzelfallbezogenen Guidance klar definierte safe harbours bzw. all-gemeingültige Bewertungsgrundsätze für Kooperationen im Verteidigungsbereich wünschenswert.
Für das EU-Beihilferecht weist die Kommission ausdrücklich auf die zentrale Verteidigungsausnahme in Art. 346 Abs. 1 b) AEUV hin. Diese Vorschrift ist im beihilferechtlichen Kontext von erheblicher Bedeutung, denn sie erlaubt letztlich die Subventionierung der mitgliedstaatlichen Verteidigungsindustrie ohne die strengen Vorgaben des Art. 107 f. AEUV und des hierzu ergangenen umfangreichen „soft law“. Die Kommission und die Unionsgerichte haben diesen Freiraum, der letztlich auf der Kompetenzordnung der Verträge beruht, stets respektiert und häufig recht weit ausgelegt.
Es ist erfreulich, dass sich die Kommission jetzt nochmal dazu bekennt und zudem betont, dass sie auch Projekte, die nicht mehr von Art. 346 Abs. 1 b) AEUV erfasst sind, großzügig und flexibel bewerten wird. Die EU-Beihilferegeln sollen den verstärkten Verteidigungsbemühungen also keine grundsätzlichen Steine in den Weg legen. Positiv will die Kommission vor allem solche staatliche Unterstützung bewerten, die dem Ziel „to reach defence readiness by 2030“, den „resilience needs of the Union“, der „interoperability and security of supply of defence-related products or inputs thereof across the Union“ sowie der „reduction of dependencies on third countries“ dienen.
- Die Kommission schlägt vor, die Verordnung (EU) Nr. 1907/2006 („REACH“) an die Ziele der Verteidigungsbereitschaft anzupassen und die Ausnahmeregelung für Verteidigung klarer zu fassen. In ähnlicher Weise sollen andere Rechtsakte zu chemischen Stoffen, nämlich die Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen und die Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über Biozidprodukte geändert werden.
- Im Hinblick auf die Verordnung (EU) 2019/1021 über persistente organische Schadstoffe („EU-POP-Verordnung“) möchte die Kommission den Mitgliedstaaten erlauben, Ausnahmen von den Berichtspflichten nach Art. 13 Abs. 1 der Verordnung zu gewähren, um vertrauliche Informationen über die Verwendung chemischer Stoffe zu schützen.
- In ihrer begleitenden Kommunikation regt die Kommission die Mitgliedstaaten zudem dazu an, bestehende Ausnahmeregelungen in den EU-Gesetzen zu nutzen. Dabei stellt sie nicht nur auf explizite Ausnahmen für militärische Zwecke ab, sondern stellt klar, dass die Mitgliedstaaten auch bei den Ausnahmeregelungen für „überwiegende öffentliche Interessen“ und „öffentliche Sicherheit“ Aspekte der Verteidigungsbereitschaft berücksichtigt werden können. Dies schließt auch die industriellen und staatlichen Investitionen in die Verteidigung und Aktivitäten zur Verteidigungsbereitschaft ein. Beispielsweise ist in der Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine ausdrückliche Ausnahme für verteidigungsrelevante Projekte vorgesehen. Diese kann für Projekte und Aktivitäten zur Stärkung der Verteidigungsbereitschaft zur Anwendung kommen werden.
- Mit der „Mitteilung der Kommission über die Anwendung des Rahmens für nachhaltige Finanzen und der Richtlinie über unternehmerische Nachhaltigkeitspflichten auf den Verteidigungssektor“ legt die Kommission eine Orientierungshilfe vor, wie sich die Geltung von unterschiedlichen Nachhaltigkeitsbestimmungen auf die Verteidigungsindustrie auswirken. Damit sollen Marktteilnehmer dabei unterstützt werden, die sie betreffenden Pflichten auch im Zusammenhang mit Verteidigungsvorhaben einzuhalten. Zugleich soll aufgezeigt werden, der der EU-Rahmen für nachhaltige Finanzen mit Investitionen in den Verteidigungssektor vereinbar ist.
Schutz sensibler Informationen
- Im Hinblick auf ESG-Sorgfaltspflichten nach der Richtlinie (EU) 2024/1760 über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, „CSDDD“) erinnert die Kommission daran, dass Art. 3 Abs. 1 g) ii) CSDDD in Bezug auf Waffen, Munition oder Kriegsmaterial und Dual-Use Gütern eine Ausnahme für die Kontrollpflicht nachgelagerter Geschäftspartner enthält: Wurde die Ausfuhr des Produkts von einem Mitgliedstaat genehmigt, entfällt die Pflicht zur Sorgfaltsprüfung.
- Von Bedeutung für Unternehmen ist zudem der Hinweis der Kommission im Hinblick auf die Berichtspflicht nach der Richtlinie (EU) 2022/2464 zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, „CSRD“). Nach der CSRD sind Unternehmen grundsätzlich zur Offenlegung nachhaltigkeitsbezogener Informationen verpflichtet, können die Offenlegung von Verschlusssachen oder sensiblen Informationen aber verweigern, selbst wenn diese als wesentlich erachtet werden (Delegierte Verordnung (EU) 2023/2772 zu Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung, Annex I, ESRS 1, Nr.105). Diese Möglichkeit wird nach der Erwartung der Kommission in der Verteidigungsindustrie häufiger zum Einsatz kommen. Unternehmen im Verteidigungssektor können zudem von den geplanten Erleichterungen der Omnibus-I-Initiative der EU-Kommission zur Vereinfachung von Nachhaltigkeitsvorgaben vom Februar 2025, insbesondere der „Stop the Clock“-Richtlinie, mit der die Berichtspflichten der CSRD um zwei Jahre verschoben werden, profitieren.
Einheitlicher Begriff der „Verbotenen Waffen“
- Mit dem Entwurf der Delegierten Verordnung zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2020/1818 („PAB- und CTB-Verordnung“) schlägt die Kommission vor, den Begriff der „umstrittenen Waffen“ in Art. 12 Abs. 1 a) der PAB- und CTB-Verordnung in „verbotene Waffen“ zu ändern. Zuvor enthielt die Definition einen pauschalen Verweis auf die umstrittenen Waffen der „internationalen Verträge und Übereinkommen“, der „Grundsätze der Vereinten Nationen“ und der „innerstaatlichen Rechtsvorschriften“. All die internationalen Übereinkünfte und Verträge definieren jedoch keine „umstrittene Waffen“, sondern beziehen sich auf „verbotene Waffen“. Um Rechtssicherheit zu gewährleisten, sieht es die Kommission als notwendig an, die Definition entsprechend zu ändern. Sie bezieht sich nun ausschließlich auf Antipersonenminen, Streumunition sowie biologische und chemische Waffen, deren Einsatz, Besitz, Entwicklung, Transfer, Herstellung und Lagerung durch die internationalen Waffenübereinkommen, denen die Mehrheit der Mitgliedstaaten angehört, ausdrücklich verboten sind. Im Annex werden die entsprechenden Übereinkommen aufgelistet. Durch die Konkretisierung wird im Gegensatz zur früheren Definition deutlich, dass Atomwaffen explizit nicht umfasst sind. Auf diese Weise wird ein Gleichlauf zu den „umstrittenen Waffen“ der Delegierten Verordnung (EU) 2022/1288 („Technische Regulierungsstandards zur Verordnung (EU) 2019/2088“) hergestellt, die im Rahmen der Verordnung (EU) 2019/2088 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor („EU-Offenlegungsverordnung“, auch „SFDR“) relevant ist und die ebenfalls nicht auf Atomwaffen abstellt.
- Die Anpassungen des Annexes ist im Kontext der Verordnung (EU) 2016/1011 („EU-Referenzwerte-Verordnung“, auch „BMR“) zu sehen. Denn die Delegierte Verordnung der Kommission zur Änderung der PAB- und CTB-Verordnung ergänzt die BMR durch spezifische Anforderungen an gekennzeichnete klimabezogene Referenzwerte.
- In Bezug auf die EU-Taxonomie nach der Verordnung (EU) 2020/852 („EU-Taxonomieverordnung“) stellt die Kommission in der Mittteilung ferner klar, dass auch Unternehmen, die an verteidigungsbezogenen Aktivitäten beteiligt sind, eine Taxonomiekonformität für förderfähige horizontale Investitionen geltend machen können. Durch Verweis in Art. 18 Abs. 2 EU-Taxonomieverordnung auf die „Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen” in Art. 2 Nr. 17 SFDR wirkt zudem die Regelung zu umstrittenen Waffen in die EU-Taxonomie hinein. Unternehmen müssen sicherstellen, dass keine potenzielle oder tatsächliche Exposition gegenüber der Herstellung oder dem Verkauf von umstrittenen Waffen besteht, um kein soziales Nachhaltigkeitsziel erheblich zu beeinträchtigen.
- Die Kommission äußert sich ebenfalls im Hinblick auf die Richtlinie 2014/65/EU (zweite europäische Finanzmarktrichtlinie, „MiFID II“), welche besagt, dass Wertpapierfirmen die Nachhaltigkeitspräferenz ihrer Kunden berücksichtigen müssen. Dabei verweist MiFID II (über die Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 geändert durch die Delegierte Verordnung (EU) 2021/1253) auf „nachhaltige Investitionen“ in Art. 2 Nr. 17 SFDR und „ökologisch nachhaltige Investitionen“ gem. der EU-Taxonomie, woraus sich ergibt, dass die Marktteilnehmer den Grundsatz der Mindestgarantien der EU-Taxonomie sowie das Vorsorgeprinzip der SFDR, „keinen erheblichen Schaden zu verursachen“ berücksichtigen müssen, wenn sie beurteilen, ob das von ihnen vertriebene Produkt den Nachhaltigkeitsanforderungen entspricht. Die Kommission stellt klar, dass es hingegen keine Vorschrift gibt, die die Unternehmen dazu verpflichtet, Investitionen in den Verteidigungssektor allein deswegen als nachteilig anzusehen, weil sie dem Verteidigungssektor zuzuordnen sind.
Im Hinblick auf die Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung („EU-Arbeitszeitrichtlinie“) weist die Kommission darauf hin, dass bei der Anwendung dem Ziel der Verteidigungsbereitschaft Rechnung zu tragen. Ferner verdeutlicht sie, dass bei einem Anstieg der industriellen Produktion und der damit verbundenen Dienstleistungen im Verteidigungssektor die in der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmeregelungen zur Anwendung kommen können.
Die Kommission betont, dass der Europäische Gerichtshof für die Streitkräfte der Mitgliedstaaten bereits festgestellt hat, dass die Richtlinie bei bestimmten Tätigkeiten, beispielsweise bei aktiven Einsätzen, nicht gilt. Anders als für die Streitkräfte findet die EU-Arbeitszeitrichtlinie auf privatwirtschaftliche Unternehmen der industriellen Produktion und der Erbringung damit verbundener Dienstleistungen im Verteidigungssektor aber grundsätzlich Anwendung. Ausdrückliche Ausnahmen sind in Art. 17 EU-Arbeitszeitrichtlinie bislang nicht vorgesehen. Wohl auch deshalb will die Kommission gemeinsam mit Mitgliedstaaten und Sozialpartnern prüfen, ob eine Ausweitung der Ausnahmen und eine Änderung der Richtlinie sinnvoll wäre. Konkrete Änderungspläne sind derzeit noch nicht bekannt. Mit Blick auf das Ziel der Verteidigungsbereitschaft lässt sich eine Ausnahme derzeit möglicherweise aus Art.17 Abs. 3 c) EU-Arbeitszeitrichtlinie entnehmen, der es den Mitgliedstaaten erlaubt, von den Bestimmungen zur täglichen Arbeitszeit, Ruhepausen, wöchentlicher Ruhezeit, Dauer der Nachtarbeit und den Bezugszeiträumen durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften unter anderem dann abzuweichen, wenn die Tätigkeit dadurch gekennzeichnet ist, dass die Kontinuität der Produktion gewährleistet sein muss.
Die Kommission hat die Mitgliedstaaten zudem aufgefordert, bei der Anwendung der Ausnahmen von gesetzlichen Arbeitszeitbestimmungen auf nationaler Ebene für Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu sorgen. Solche Ausnahmeregelungen sind auch im deutschen Arbeitszeitgesetz (ArbZG) vorgesehen und können teilweise vom Arbeitgeber unmittelbar, oder nach vorheriger behördlicher Genehmigung, genutzt werden, um kurzfristige und außergewöhnliche Produktionsspitzen auszugleichen. Eine der wenigen Bestimmungen im ArbZG mit ausdrücklichem Verteidigungsbezug gehört nicht dazu: In § 15 Abs. 3 ArbZG ist zwar vorgesehen, dass Arbeitnehmer aus zwingenden Gründen der Verteidigung verpflichtet werden können, über gesetzliche und tarifvertragliche Arbeitszeitgrenzen hinaus zu arbeiten. Diese Ausnahme gilt allerdings nur für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung und mithin für Arbeitnehmer des Ministeriums, der Streitkräfte und der Bundeswehrverwaltung.
Für den privatwirtschaftlichen Bereich kommen allerdings je nach Krisensituation diverse Handlungsoptionen in Betracht:
– Wenn besondere Verhältnisse es zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens erfordern, können die Aufsichtsbehörden nach § 13 Abs. 3 Nr. 2 b) ArbZG Ausnahmen von Sonn- und Feiertagsruhe an bis zu fünf Sonn- und Feiertagen im Jahr bewilligen.
– Außerdem können Arbeitgeber in Notfällen oder außergewöhnlichen Fällen nach § 14 Abs. 1 ArbZG ohne behördliche Genehmigung von den Bestimmungen zur Arbeitszeit, Ruhezeiten, Nacht- und Schichtarbeit abweichen. Dabei muss die Krisensituation nicht zwingend beim Arbeitgeber selbst vorliegen, sondern kann auch beim Kunden oder Auftraggeber – hier also bspw. auch bei der Bundeswehr – eintreten. Es gilt allerdings im Einzelfall genau zu prüfen: Regelmäßig eintretende Krisensituationen, die sich aus der Eigenart der betrieblichen Tätigkeit mit einer gewissen Häufigkeit ergeben, sind weder Notfälle noch außergewöhnliche Fälle im Sinne des § 14 Abs. 1 ArbZG. Sie müssen durch eine entsprechende betriebliche Organisation bewältigt werden. Hierzu gehört auch ein planbarer und kontinuierlicher Anstieg der Produktion aufgrund des von der Kommission ausgerufenen Ziels der Verteidigungsbereitschaft. Abweichungen nach § 14 Abs. 1 ArbZG kommen damit im Verteidigungssektor vor allem bei unerwarteten und vorübergehenden Beschaffungsengpässen und damit einhergehenden Produktionsspitzen in Betracht.Unterhalb dieser Schwelle bleibt für Abweichungen vom ArbZG die Generalklausel des § 15 Abs. 2 ArbZG. Danach können die Aufsichtsbehörden allgemein über die im ArbZG vorgesehenen Ausnahmen hinaus weitergehende Ausnahmen zulassen, soweit sie im öffentlichen Interesse dringend nötig werden. Das von der Kommission ausgegebene Ziel der Verteidigungsbereitschaft könnte ein solches öffentliches Interesse darstellen, bei dem angesichts der laut Kommission „akuten und wachsenden Bedrohung“ von einer Dringlichkeit auszugehen wäre. Ein Notfall oder ein außergewöhnlicher Fall ist dafür zwar nicht erforderlich. Weil entsprechende aufsichtsrechtliche Genehmigungen jedoch im Einzelfall verhältnismäßig sein müssen, verbleibt für § 15 Abs. 2 ArbZG nur ein kleiner Anwendungsbereich.
Ausblick und Fazit
Die Legislativvorschläge werden nun im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens im Europäischen Parlament und im Rat verhandelt. Unternehmen und Investoren in der Verteidigungsindustrie sollten aktiv beobachten, wie sich die relevanten Akteure aus den Mitgliedstaaten sowie im Europäischen Parlament nun zu dem Vorschlag positionieren werden. Es empfiehlt sich, dieses (De-)Regulierungspakets im Zusammenhang mit den weiteren Maßnahmen zur Realisierung der Europäischen Industriestrategie für den Verteidigungsbereich (EDIS) im Blick zu behalten. Bei der Entwicklung der jeweiligen Unternehmensstrategie sowie einer passgenauen Regulatorik-Compliance-Organisation sollten die enthaltenen Einzelvorschläge und deren mögliche Implikationen für das einzelne Unternehmen vorausschauend analysiert werden.
- Abzuwarten bleibt insbesondere, ob die vorgeschlagene Verordnung zur Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens von verteidigungsrelevanten Projekten in der vorliegenden Form verabschiedet wird. Für die europäische Verteidigungsfähigkeit ist es elementar, dass (Produktions-)Kapazitäten aufgebaut werden und Projekte schnell verwirklicht werden können. Schon anhand der Wahl des Instruments der unmittelbar anzuwendenden „Verordnung“ ist zu sehen, dass die Kommission der Dringlichkeit oberste Priorität einräumt. Gerade für Deutschland, mit seinen verschiedenen Zuständigkeiten auf Landesebene (z.B. Immissionsschutzrecht, Baurecht) und Bundesebene (z.B. Kriegswaffenkontrollrecht) ergeben sich dadurch voraussichtlich Herausforderungen. Der Kritikpunkt, dass die Verfahren oft zu lange dauern, ist zwar berechtigt; dennoch darf nicht vernachlässigt werden, dass Verfahren gerade im Rüstungssektor dazu dienen, die Sicherheit von Mensch und Umwelt zu gewährleisten. Insbesondere mit Blick auf den unklaren Anwendungsbereich des vorgeschlagenen Genehmigungsverfahrens sowie die besonders einschneidenden Genehmigungsfiktion erscheint es deshalb zweifelhaft, ob die Mitgliedstaaten die Kompetenz der Europäische Union für solche Verfahrensfragen anerkennen werden.
- Zum Beihilferecht kündigt das Papier keinen großen, grundsätzlichen Wurf an. Die Kommission beschränkt sich darauf, bestehende Ausnahmen und Genehmigungsmöglichkeiten zusammenzufassen, die sich bereits heute aus Primärrecht, Sekundärrecht (AGVO) sowie Soft Law ergeben. So wird die Militärausnahme in Art. 346 AEUV von der Kommission im Beihilfenrecht schon bisher relativ großzügig ausgelegt. Für drittstaatliche Subventionen sieht die EU-Drittstaatensubventionsverordnung bei Prüfverfahren im Vergabebereich ebenfalls eine Bereichsausnahme vor. Auch wenn das Dokument keine spektakulären Neuregelungen oder Änderungen ankündigt, so setzt die Kommission doch ein positives Zeichen, dass sie ihr weites Ermessen und ihre hohe Flexibilität zur Unterstützung der Verteidigungsbemühungen nutzen wird. Das ist ein gutes Signal für die betroffenen Stakeholder.
- Bei künftigen M&A-Transaktionen im Verteidigungssektor sollten Unternehmen künftig proaktiv prüfen, inwiefern die Transaktion zu positiven Auswirkungen auf die Verteidigungsbereitschaft oder die Resilienz der Lieferketten im Verteidigungssektor beitragen kann. Die Kommission und nach ihrem Vorbild auch die Mitgliedstaaten können dies als rechtfertigende Effizienzgewinne berücksichtigen. So könnten auch Zusammenschlüssen genehmigt werden, die zu Einheiten mit hohen Marktanteilen führen, und es könnten womöglich „europäische Champions“ entstehen. Entsprechende Argumente sind auch bei der kartellrechtlichen Rechtfertigung von Kooperationsprojekten zu berücksichtigen.
- Die Vergabe von Beschaffungen unter dem neuen Schwellenwert von EUR 900.000 würde durch die Umsetzung der Vorschläge der Kommission wesentlich erleichtert. Einer teilweise geforderten ausdehnenden Anwendung der primärrechtlichen Bereichsausnahme des Art. 346 AEUV wegen nicht in der Verteidigungsvergaberichtlinie selbst konkretisierter nationaler Sicherheitsinteressen hat die Kommission hingegen eine Absage erteilt. Abzuwarten bleibt, ob die von der Verteidigungsindustrie geforderte Einführung der Innovationspartnerschaft in der Rüstungsbeschaffung einen nahtloseren Übergang von Forschungs- und Entwicklungsaufträgen zu neuen Technologien wie KI und Quantentechnologie und Autonomen Systemen hin zu deren Serienbeschaffung ermöglichen wird.
- Im Bereich der ESG-Regulierung stellt die Kommission unmissverständlich klar, dass der EU-Rahmen für nachhaltige Finanzen mit Investitionen in den Verteidigungssektor vereinbar ist. Zugleich bietet sie zahlreiche Hilfestellungen zu den in diesem Kontext Defence-relevanten sowie ESG-Sorgfalts- und Berichtspflichten. Für Unternehmen besonders relevant sind die in den einschlägigen Regelungswerken enthaltenen Ausnahmen, auf welche die Kommission auch hinweist, insbesondere bei der Offenlegung von sensiblen Informationen.
- Mit den Klarstellungen und Änderungsvorschlägen innerhalb der Chemie- und Umweltgesetzgebung beabsichtigt die Kommission, die geltenden Umweltstandards und sicherheitspolitische Erfordernisse in Einklang zu bringen. Durch die ausgeweitete Anwendung der Ausnahmeregelungen, haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, künftig flexibler agieren zu können.
- Im Bereich des Außenwirtschaftsrechts enthält das Paket eine Reihe an Maßnahmen, mit denen die innergemeinschaftliche Verbringung von verteidigungsrelevanten Gütern vereinfacht werden soll. Hervorzuheben ist insbesondere die vorgesehene Einführung einer neuen Allgemeingenehmigung für EU-Projekte im Verteidigungsbereich. Darüber hinaus sollen die Mitgliedstaaten in die Lage versetzt werden, ihre nationalen Genehmigungsregime an die Verbringung von Verteidigungsgütern zu erleichtern. Diese Möglichkeiten müssten die Mitgliedstaaten zeitnah in das nationale Recht umsetzen, um das Potenzial, das die vorgesehenen Änderungen der Verteidigungsgüterrichtlinie für eine Vereinfachung und Beschleunigung der Verbringung von Verteidigungsgütern bieten, voll auszuschöpfen. Ob dies der Fall sein wird, bleibt jedoch abzuwarten.
- Arbeitsrechtlich geht das Papier auf Ausnahmen von der EU-Arbeitszeitrichtlinie ein. Hier wird sich zeigen, ob die Kommission angesichts der derzeit noch fehlenden ausdrücklichen Ausnahmeregelungen für den privatwirtschaftlichen Verteidigungssektor eine Anpassung der Richtlinie lostritt. Diese Frage wird sie gemeinsam mit Mitgliedstaaten und Sozialpartnern prüfen. Auf nationaler Ebene ist der deutsche Gesetzgeber aufgerufen, für Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu sorgen. Um in Unternehmen des privatwirtschaftlichen Verteidigungssektors kurzfristige und außergewöhnliche Produktionsspitzen auszugleichen, enthält das deutsche Arbeitszeitgesetz (ArbZG) Ausnahmeregelungen. Diese können teilweise vom Arbeitgeber unmittelbar oder nach vorheriger behördlicher Genehmigung genutzt werden. Ein planbarer und kontinuierlicher Anstieg der Produktion muss allerdings weiterhin durch eine entsprechende betriebliche Organisation bewältigt werden.