Arbeitsrecht

Schutzbedürftigkeit von Organmitgliedern einer Kapitalgesellschaft: Abdingbarkeit der Vorschriften des Betriebsrentengesetzes

BGH, 23. Mai 2017 – II ZR 6/16

Eine Abweichung von den Vorschriften des Betriebsrentengesetzes ist auch zum Nachteil von Organmitgliedern einer Kapitalgesellschaft möglich, jedoch nur insoweit den Tarifvertragsparteien abweichende Regelungen gestattet sind. Wenngleich typischerweise keine dem Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinne zugeschriebene Verhandlungsunterlegenheit vorliegt, besteht dennoch eine gewisse Schutzbedürftigkeit von Organmitgliedern, die eine uneingeschränkte Abdingbarkeit ausschließt.

Die Parteien streiten über die Frage, ob die Abfindung von Versorgungsansprüchen zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihrem Organmitglied zulässigerweise vereinbart werden kann. Der Kläger war Geschäftsführer der beklagten GmbH und Anteilseigner von rund einem Drittel der Geschäftsanteile der Beklagten. In einer Versorgungszusage aus dem Jahr 1999 wurde dem Kläger und seinen versorgungsberechtigten Hinterbliebenen eine betriebliche Versorgung gewährt, wobei die Beklagte berechtigt sein sollte „nach Eintritt des Versorgungsfalls Versorgungsansprüche durch Kapitalzahlung abzufinden". In der Versorgungszusage wurde weiterhin die Anwendung des „Betriebsrentengesetz mit Ausnahme des Abfindungsverbots aus § 3 des Gesetzes in seiner jeweils gültigen Fassung", vereinbart, „soweit diese Versorgungszusage nicht ausdrücklich günstigere Regelungen für den Versorgungsberechtigten enthält." Ab Oktober 2011 zahlte die Beklagte zunächst eine monatliche Rente an den Kläger aus. In einem rund zwei Jahre später mehrheitlich gefassten Gesellschafterbeschluss wurde „die vertragliche Abwicklung der Versorgungsansprüche über das vereinbarte Abfindungsmodell" beschlossen. Hiergegen ging der Kläger vor.

Die Revision des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des OLG hatte keinen Erfolg. Der Beschluss, die Versorgung des Klägers zu kapitalisieren, verstoße nicht gegen das Gesetz, insbesondere nicht gegen § 3 BetrAVG. Daher könne auch dahinstehen, ob § 3 BetrAVG überhaupt bei einer vorab vereinbarten Kapitalisierungsmöglichkeit greife. Gemäß § 17 Abs. 3 S. 1 BetrAVG konnte § 3 BetrAVG wirksam abbedungen werden. Zwar sei eine Abdingbarkeit nach S. 3 der Norm zuungunsten von Arbeitnehmern – zu denen nach § 17 Abs. 1 S. 2 BetrAVG auch Organmitglieder von Kapitalgesellschaft zählen – grundsätzlich ausgeschlossen. Organmitglieder seien aber typischerweise nicht im selben Maße schutzbedürftig wie Arbeitnehmer, da bei der Aushandlung von Versorgungszusagen regelmäßig keine Verhandlungsunterlegenheit bestehe. Abweichungen seien daher insoweit zulässig, als den Tarifvertragsparteien Abweichungen erlaubt wären. Nach der gesetzgeberischen Wertung sei der Aushandlungsprozess zwischen Tarifvertragsparteien nämlich geeignet, sachgerechte Ergebnisse hervorzubringen. Von einer noch weitergehenden Unabdingbarkeit sei demgegenüber nicht auszugehen, da dies zu einem höheren Schutzniveau der Gruppe der Organmitglieder gegenüber der Gruppe der Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinne führen würde. Dies wäre wiederum sachfremd, da das einzelne Organmitglied typsicherweise nicht verhandlungsunterlegen sei. Die Versorgungszusage ‑ so der BGH – verstoße auch nicht gegen die guten Sitten, sodass der Beschluss nicht nach § 241 Nr. 4 AktG, § 138 BGB nichtig sei.

Gleiss Lutz Kommentar

Es ist erfreulich, dass sich der BGH dem Urteil des BAG vom 21. April 2009 zur Abdingbarkeit des BetrAVG im Verhältnis zwischen Kapitalgesellschaften und ihren Organmitgliedern angeschlossen hat und ebenfalls von einer teilweisen Abdingbarkeit im Rahmen des § 17 Abs. 3 BetrAVG ausgeht. Organmitgliedern den gleichen Schutz wie Arbeitnehmern zu gewähren, ginge fehl. Offen bleiben aber auch nach der Entscheidung des BGH einige Fragen. Unklar bleibt beispielsweise, wie der Widerspruch zu lösen ist, dass nach § 17 Abs. 3 S. 1 BetrAVG zwar die Berechnung einer unverfallbaren Anwartschaft nach § 2 BetrAVG dispositiv sein soll, nicht jedoch der Grundsatz der Unverfallbarkeit nach fünf Jahren. Ginge man allein nach dem Wortlaut der Norm, wäre eine Regelung möglich, die den Eintritt der Unverfallbarkeit nach fünf Jahren festlegt, die Höhe der unverfallbaren Anwartschaft aber auf nur 1 Euro bestimmt.

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