Immobilienrecht

Erleichterte Anwendung von § 313 BGB auf Gewerbemietverträge – stärkere Verhandlungsposition von Mietern und Pächtern?

Der Bundestag hat anlässlich des erneuten Lockdowns am 17. Dezember 2020 das "Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften" verabschiedet. Der Bundesrat hat am 18. Dezember 2020 beschlossen, keine Einwendungen zu erheben, sodass dieses zum Jahreswechsel in Kraft treten wird. Das Gesetz sieht in Artikel 10 eine Änderung des Einführungsgesetzes zum BGB (EGBGB) vor, nach der künftig eine gesetzliche Vermutung dafür bestehen soll, dass im Fall von Einschränkungen der Verwendbarkeit gewerblich genutzter vermieteter oder verpachteter Grundstücke oder Räume aufgrund staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie eine schwerwiegende Änderung eines zur Grundlage des Mietvertrages gewordenen Umstandes vorliegt. Damit wird es Mietern künftig erleichtert, gegenüber ihren Vermietern eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) geltend zu machen.

Gegenstand der Neuregelung

Die vorgeschlagene Neuregelung sieht vor, dass Artikel 10 des EGBGB um einen § 7 ergänzt wird, nach dem für den Fall, dass vermietete Grundstücke oder "Räume, die keine Wohnräume sind", infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind, vermutet wird, dass sich insofern ein Umstand i.S.d. § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend geändert hat. Die Regelung soll auf Pachtverträge entsprechend anzuwenden sein und bereits am Tag nach der Verkündung des Gesetzes in Kraft treten. Die gesetzliche Neuregelung sieht keine zeitliche Beschränkung vor, insbesondere auch keinen Ausschluss ihrer Rückwirkung. Sofern im Hinblick auf die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie im Frühjahr 2020 zwischen den Miet-bzw. Pachtvertragsparteien noch keine einvernehmliche Lösung gefunden wurde, gilt die gesetzliche Vermutung damit auch für diesen Zeitraum.

Rechtliche Einordnung

Nach § 313 Abs. 1 und 2 BGB bestehen grundsätzlich ein Anspruch auf Vertragsanpassung sowie nach Abs. 3 S. 2 – sofern eine Anpassung nicht möglich oder nicht zumutbar ist – ein Kündigungsrecht, sofern eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn nach Vertragsschluss eine schwerwiegende Veränderung von Umständen eintritt, die bei Vertragsschluss zur Grundlage des Vertrags geworden sind. Hinzukommen muss außerdem, dass das Festhalten am unveränderten Vertrag unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände für die Partei unzumutbar ist. Da die gesetzliche Neuregelung lediglich eine – widerlegbare – Vermutung dafür aufstellt, dass im Fall staatlicher Ordnungsmaßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie in tatsächlicher Hinsicht eine schwerwiegende Veränderung der Vertragsgrundlagen eingetreten ist, die Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag aber in jedem Einzelfall weiterhin festgestellt werden muss, kommt es für die Frage, ob und in welchem Umfang zugunsten des Mieters ein Anspruch auf Vertragsanpassung (Herabsetzung der Miete bzw. Pacht, Stundung o.ä.) bzw. ein Kündigungsrecht besteht, damit auch weiterhin auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Gleichwohl erleichtert die geplante gesetzliche Vermutung Mietern und Pächtern, die eine Vertragsanpassung – und damit in den meisten Fällen eine Mietreduzierung – begehren, die Darlegung der erforderlichen Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 313 BGB.

Fazit

Mit der geplanten Neuregelung wird die Position gewerblicher Mieter (bzw. Pächter) in Verhandlungen um eine Herabsetzung der Miete gestärkt. Zugleich stellt diese einen Versuch des Bundesgesetzgebers dar, mehr Rechtsklarheit zu schaffen, als dies durch die in den vergangenen Monaten ergangene, teilweise widersprüchliche Instanzrechtsprechung der Fall war. Auch wenn Mieter (bzw. Pächter) die Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag weiterhin darlegen und ggf. beweisen müssen, wird ihnen diese Verpflichtung mit Blick auf die Frage, ob (und wann) staatliche Ordnungsmaßnahmen eine Vertragsstörung darstellen, künftig weitgehend abgenommen.

Zu beachten ist, dass diese Vermutungswirkung lediglich einseitig zugunsten von Mietern bzw. Pächtern im Rahmen von Gewerbemietverhältnissen gelten soll. Das bedeutet insbesondere, dass sie nicht zugunsten der betroffenen Vermieter bzw. Verpächter mit Blick auf deren vertragliche Verpflichtungen gelten – etwa im Rahmen von Kredit- oder Versicherungsverträgen, die unmittelbar von einer Herabsetzung der Miete betroffen sein könnten. Solche Bindungen der Vermieter werden bei einer Bewertung der Unzumutbarkeit im Einzelfall aber ebenfalls heranzuziehen sein.

Zudem dürfte sich die Regelung allein auf Bestandsmietverträge auswirken, bei deren Abschluss die COVID-19-Pandemie noch nicht absehbar war. In Verhandlungen über den Abschluss neuer Gewerbemietverträge (insbesondere für Einzelhandelsflächen) während des Andauerns der COVID-19-Pandemie sollten die Vertragsparteien insoweit Regelungen in den Vertrag aufnehmen, wie mit den Auswirkungen von behördlichen Nutzungsbeschränkungen oder Betriebsverboten im Rahmen der COVID-19-Pandemie umzugehen ist.

Auch nach Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Regelung spricht weiterhin Einiges dafür, dass sich die Parteien eines Miet-/Pachtverhältnisses – wie in der Praxis in den vergangenen Monaten bereits verbreitet geschehen – um eine einvernehmliche Anpassung der betreffenden Vertragsverhältnisse bemühen, um eine den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls angemessene Lösung zu finden. Dies gilt umso mehr als für den Fall des Andauerns der COVID-19-Pandemie damit zu rechnen ist, dass die Bundesregierung weitere gesetzgeberische Vorhaben zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie verfolgen wird, deren genaue Ausgestaltung kaum absehbar ist.

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