Arbeitsrecht

Kündigung transformierter Normen nach Betriebsübergang

Werden im Rahmen eines Betriebsübergangs Inhaltsnormen einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB in ein Arbeitsverhältnis transformiert, können diese durch Erklärung des Betriebserwerbers gegenüber dem Betriebsrat gekündigt werden.

BAG, Urteil vom 19. November 2019 – 1 AZR 386/18

Sachverhalt

Beim ursprünglichen Arbeitgeber des Klägers galt eine „freiwillige Betriebsvereinbarung über die Gewährung von Kleindarlehen“. Danach hatten Arbeitnehmer nach Abschluss eines Darlehensvertrags Anspruch auf ein nicht zweckgebundenes, zinsloses Darlehen. Im Rahmen eines Betriebsteilübergangs ging das Arbeitsverhältnis des Klägers auf einen Erwerber als neuen Arbeitgeber über. Dadurch wurden die Inhaltsnormen der Betriebsvereinbarung nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Kläger und dem Erwerber. Der Erwerber gewährte dem Kläger in den Jahren 2012 und 2014 aufgrund der Betriebsvereinbarung zunächst zwei Kleindarlehen. Im Mai 2015 erklärte er gegenüber dem bei ihm bestehenden Betriebsrat und Gesamtbetriebsrat die Kündigung der Betriebsvereinbarung.

In der Folgezeit ging das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund eines weiteren Betriebsübergangs auf die Beklagte über. Diese lehnte eine vom Kläger beantragte Darlehensgewährung mit Hinweis auf die Unanwendbarkeit der Betriebsvereinbarung ab. Der Kläger vertrat die Auffassung, die Geltung der in sein Arbeitsverhältnis transformierten Normen der Betriebsvereinbarung sei durch die Kündigung nicht entfallen. Deshalb habe er einen Anspruch auf Gewährung des beantragten Darlehens.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Die Revision des Klägers gegen die ablehnenden Entscheidungen der Vorinstanzen hatte keinen Erfolg. Bei freiwilligen finanziellen Leistungen eines Arbeitgebers unterliegt nicht der Dotierungsrahmen, wohl aber die Ausgestaltung der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Nach Auffassung des BAG kann ein Betriebserwerber eine solche teilmitbestimmte Betriebsvereinbarung des Veräußerers auch dann kündigen, wenn sie nach einem Betriebsübergang nicht als Betriebsvereinbarung weitergilt, sondern ihre Inhaltsnormen nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB in die Arbeitsverhältnisse transformiert wurden. Sei die Kündigung auf vollständige Einstellung der Leistung gerichtet, ende die Geltung der transformierten Normen mit Ablauf der Kündigungsfrist.

Bei der Transformation von Inhaltsnormen einer Betriebsvereinbarung in ein Arbeitsverhältnis bleibe deren kollektivrechtlicher Charakter erhalten. Die Transformation erfolge unter dem Vorbehalt einer späteren Änderung mit kollektivrechtlichen Mitteln. Zwar könne die Geltung einer Betriebsvereinbarung des Veräußerers nach dem Wortlaut von § 613a Abs. 1 S. 3 BGB nur durch eine beim Erwerber geltende andere Betriebsvereinbarung beendet werden. Dies widerspreche bei einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung jedoch der Intention des Gesetzgebers, dem Interesse des Betriebserwerbers an einheitlichen Arbeitsbedingungen Vorrang einzuräumen. Nur im Bereich der zwingenden Mitbestimmung könne er zur Ablösung von Betriebsvereinbarungen die Einigungsstelle anrufen. Es sei widersprüchlich, wenn transformierte Inhaltsnormen einer nur teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung weitergehend geschützt wären als die einer erzwingbaren Betriebsvereinbarung. Schließlich dürften die transformierten Normen auch nicht stärker geschützt sein, als es die ursprüngliche Betriebsvereinbarung im Fall ihrer Weitergeltung wäre. Diese hätte einseitig gekündigt werden können. Zur Vermeidung der genannten Wertungswidersprüche müsse das auch dem Erwerber nach einem Betriebsübergang möglich sein. Empfangszuständig für die Kündigung einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung sei nach einem Betriebsübergang der im Betrieb des Erwerbers gebildete Betriebsrat, obwohl dieser die teilmitbestimmte Betriebsvereinbarung nicht selbst abgeschlossen habe.

Einordnung in bisherige Rechtsprechung

Mit der vorliegenden Entscheidung führt das BAG seine Rechtsprechung fort, nach der eine Betriebsvereinbarung, die im Zuge eines Betriebsübergangs in das Arbeitsverhältnis transformiert wird, nicht stärker geschützt sein darf als im Falle ihrer kollektivrechtlichen Weitergeltung (BAG, Urteil vom 18.11.2003 – 1 AZR 604/02). Wie der Veräußerer muss auch der Erwerber die Möglichkeit haben, eine freiwillige Gewährung einer finanziellen Leistung einseitig zu beenden. Damit widerspricht das BAG der in der Literatur verbreiteten Ansicht, zur Ablösung einer individualrechtlich transformierten teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung sei eine Änderungskündigung erforderlich.

Gleiss Lutz kommentiert

Aus Arbeitgebersicht ist die Entscheidung zu begrüßen. Der Ausspruch einer Kündigung gegenüber dem eigenen Betriebsrat ist ausreichend, um eine Geltung transformierter Normen aus einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung zu beenden. Dem Arbeitgeber bleibt es somit erspart, zur Einstellung der Leistung gegenüber jedem einzelnen betroffenen Arbeitnehmer eine Änderungskündigung auszusprechen. Der Arbeitgeber muss in seiner Kündigungserklärung allerdings eindeutig zum Ausdruck bringen, dass er die Leistung ersatzlos streichen will. Kann die Erklärung so verstanden werden, dass die Leistung künftig anders ausgestaltet werden soll, steht dem Betriebsrat ein zwingendes Mitbestimmungsrecht zu und es droht eine Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG.

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