Arbeitsrecht

Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei der Gewährung von vertraglichem Mehrurlaub

Urlaub kann nach § 7 Abs. 3 BUrlG nur verfallen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub ansonsten mit dem Ablauf des Jahres erlischt. Die Arbeitsvertragsparteien sind befugt, die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers für den vertraglichen Mehrurlaub abweichend von den Vorgaben des BUrlG zu gestalten. Für einen solchen Regelungswillen müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen diese, ist von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs mit dem vertraglichen Mehrurlaub auszugehen.

BAG, Urteil vom 25. Juni 2019 – 9 AZR 546/17

Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei der Gewährung des gesetzlichen Mindesturlaubs

In zwei vielbeachteten Entscheidungen des Jahres 2018 hat der EuGH klargestellt, dass der unionsrechtlich vorgegebene gesetzliche Mindesturlaub nur dann mit Ablauf des Kalenderjahres verfällt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt habe, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen. Der Anspruch könne nur verfallen, wenn der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen darauf verzichtet habe, seinen Jahresurlaub rechtzeitig zu nehmen (hierzu ausführlich Arnold/Zeh, NZA 2019, 1). Das BAG war der Auffassung des EuGH wenig später (gezwungenermaßen) gefolgt (u.a. BAG, NZA 2019, 982). Für die Praxis bedeuteten diese Entscheidungen eine erhebliche Umstellung: Jeweils in der zweiten Jahreshälfte sollte der tatsächliche Urlaubsstand und bereits vereinbarte Urlaubszeiträume geprüft werden, um noch offene Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer festzustellen. Dann müssen Arbeitgeber entsprechende Hinweise erteilen. Ein automatisches Ausbuchen von Resturlaubsansprüchen am Jahresende kommt nicht mehr in Betracht. Mit der Frage, inwieweit diese Grundsätze auch für den vertraglichen Mehrurlaub gelten und ob und inwieweit sie von den Arbeitsvertragsparteien modifiziert werden können, befasst sich das BAG in dieser Entscheidung (zu den Mitwirkungsobliegenheiten auch bereits NZA 2019, 977).

Klage auf Urlaubsabgeltung

Der beklagte Arbeitnehmer nimmt die klagende Arbeitnehmerin, bei der er zwischen 2012 und 2016 als Programmierer beschäftigt war, widerklagend auf Abgeltung von 65 Urlaubstagen aus den Jahren 2012 bis 2015 in Anspruch. Er erbrachte seine Arbeitsleistung an fünf Tagen in der Woche. Nach dem zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag stand dem Beklagten ein Urlaubsanspruch von 30 Tagen pro Jahr zu. In einer für den Beklagten auf dem Firmenserver der Klägerin einsehbaren Urlaubsübersicht war der, dem Beklagten verbleibende Gesamturlaub im Dezember 2014 mit 77,5 Tagen angegeben. Nach dem 31. März 2015 gewährte die Klägerin dem Beklagten noch mindestens 32 Tage Urlaub. Am 18. Dezember 2015 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass gegebenenfalls bestehender Resturlaub bis zum 31. März 2016 genommen werden müsse. Der Arbeitnehmer vertrat die Auffassung, die Arbeitgeberin sei verpflichtet, Resturlaub von 65 Tagen abzugelten, da dieser Urlaubsanspruch durch die Excel-Tabellen anerkannt sei.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Arbeitsgericht hat der Widerklage des Arbeitnehmers stattgegeben, das LAG hat sie abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte Erfolg und führte zur Zurückverweisung. Die Annahme des LAG, die Urlaubsansprüche des Beklagten seien verfallen, halte einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand, wie sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung von § 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 BUrlG ergebe. Demnach verfalle der Urlaubsanspruch nur dann nach § 7 Abs. 3 BUrlG, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt habe, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Anderenfalls trete der Urlaubsanspruch zu dem am 1. Januar des Folgejahres entstehenden Urlaubsanspruch hinzu. Bezüglich des vertraglichen Mehrurlaubs könnten die Arbeitsvertragsparteien die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers zwar frei regeln. Dafür müssten jedoch deutliche Anhaltspunkte für einen abweichenden Regelungswillen der Parteien vorliegen. Da dies vorliegend nicht der Fall sei, sei von einem Gleichlauf von gesetzlichem und vertraglichem Urlaubsanspruch auszugehen. Eine Vereinbarung, nach der die Klägerin verpflichtet sei, bereits verfallenen Urlaub zu gewähren, habe zwischen den Parteien nicht bestanden. Denn die Urlaubsübersicht könne nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die Klägerin Urlaubsansprüche begründen oder anerkennen wollte. Es handele sich um eine bloße Wissenserklärung. Das LAG habe nun festzustellen, ob die Klägerin ihrer Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen sei.

Gleiss Lutz kommentiert

Das BAG bestätigt seine jüngste Rechtsprechung zu den Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei der Inanspruchnahme von Urlaub durch den Arbeitnehmer. Konkret führt das BAG aus, eine E-Mail des Arbeitgebers müsse zur Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht nur den Zeitpunkt, zu dem der Arbeitnehmer seinen Urlaub spätestens nehmen muss, benennen. Vielmehr müsse auch ein Hinweis auf die Zahl der verbleibenden Urlaubstage und die drohende Rechtsfolge enthalten sein, sollte der Arbeitnehmer seinen Urlaub nicht rechtzeitig nehmen. Für den vertraglichen Urlaubsanspruch können die Mitwirkungsobliegenheiten grundsätzlich frei ausgestaltet werden, da hier das Unionsrecht keine zwingenden Vorgaben mache. Arbeitgeber sollten daher im Rahmen der Gestaltung der Arbeitsverträge prüfen, ob vertraglicher Mehrurlaub einem generellen Verfall am Ende des Urlaubsjahres unterliegen sollte.

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