Arbeitsrecht

Sachgrundlose Befristung bei 22 Jahre zurückliegender Vorbeschäftigung

Wird ein Arbeitnehmer 22 Jahre nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses erneut bei demselben Arbeitgeber eingestellt, kommt das Verbot der sachgrundlosen Befristung nach einer Vorbeschäftigung gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG in verfassungskonformer Auslegung regelmäßig nicht zur Anwendung.

BAG, Urteil vom 21. August 2019 – 7 AZR 452/17

Streit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Die Parteien streiten über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer sachgrundlosen Befristungsabrede. Die Beklagte beschäftigte die Klägerin von Oktober 1991 bis November 1992 als Hilfsbearbeiterin für Kindergeld. Im Oktober 2014, rund 22 Jahre später, stellte die Beklagte die Klägerin als Telefonserviceberaterin im Servicecenter erneut ein. Zunächst befristete die Beklagte das Arbeitsverhältnis bis Juni 2015 sachgrundlos und verlängerte dieses anschließend bis Juni 2016. Die Beklagte meint, nach Ablauf dieser Befristung habe das Arbeitsverhältnis geendet. Hiergegen wendet sich die Klägerin und verlangte die Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung im Juni 2016 geendet hat.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Arbeitsgericht Neumünster wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin gab das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein der Klage statt. Die Revision der Beklagten zum Bundesarbeitsgericht hatte Erfolg. Die sachgrundlose Befristung sei trotz der rund 22 Jahre zurückliegenden Vorbeschäftigung der Arbeitnehmerin wirksam.

Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG

Den Ausgangspunkt des Streits bildet der Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG. Hiernach ist eine sachgrundlose Befristung nicht zulässig und damit unwirksam, wenn mit demselben Arbeitgeber „bereits zuvor“ ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Der Gesetzeswortlaut sieht keinerlei zeitliche Begrenzung vor, nach welcher eine Vorbeschäftigung unberücksichtigt bleiben kann. Der Wortlaut erfasst daher grundsätzlich alle Vorbeschäftigungen, unabhängig davon, wie lang sie im Zeitpunkt einer neuen Einstellung zurückliegen.

Vorgaben aus Karlsruhe – Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Früher nahm das Bundesarbeitsgericht einschränkend an, das Vorbeschäftigungsverbot gelte nicht für eine mehr als drei Jahre zurückliegende Vorbeschäftigung (BAG, Urteil v. 06.04.2011 – 7 AZR 716/09). In diesen Fällen fehle es an der Gefahr von missbräuchlichen Befristungsketten, die durch die Vorschrift verhindert werden sollen. Gegen diese Rechtsprechung wandten sich Arbeitnehmer mit Verfassungsbeschwerden an das Bundesverfassungsgericht, weil sie beim Bundesarbeitsgericht mit ihren Entfristungsklagen aufgrund einer mehr als drei Jahre zurückliegenden Vorbeschäftigung scheiterten. Das Bundesverfassungsgericht hielt die aufgestellte Dreijahresgrenze für unvereinbar mit dem Wortlaut von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG und stellte klar, dass der Wille des Gesetzgebers, der eine zeitliche Einschränkung nicht vorgenommen habe, übergangen werde und die gezogene zeitliche Grenze eine unzulässige richterliche Rechtsfortbildung darstelle (BVerfG, Beschlüsse v. 06.06.2018 – 1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14).

Rechtsprechungsänderung

Anschließend gab das Bundesarbeitsgericht die Dreijahresgrenze auf (BAG, Urteil v. 23.01.2019 – 7 AZR 733/16). In seiner Entscheidung hielt es sich jedoch offen, § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG weiterhin im Wege der verfassungskonformen Auslegung einzuschränken, wenn das Vorbeschäftigungsverbot für die Beteiligten „unzumutbar“ wäre. Das sei möglich, wenn die Vorbeschäftigung „sehr lang zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist“. Die zur Entscheidung anstehende, acht Jahre zurückliegende Vorbeschäftigung lag nach dem Bundesarbeitsgericht in diesem Sinne nicht sehr lang zurück.

Die nunmehr zur Entscheidung anstehende, rund 22 Jahre zurückliegende Vorbeschäftigung lag nach dem Bundesarbeitsgericht in diesem Sinne sehr lange zurück. Die Vorbeschäftigung der Klägerin konnte unberücksichtigt bleiben und die sachgrundlose Befristung war wirksam. Eine starre zeitliche Grenze zog das Bundesarbeitsgericht jedoch nicht, weil „besondere Umstände“ ausnahmsweise die Berücksichtigung einer derart lang zurückliegenden Vorbeschäftigung notwendig machen können.

Folgerungen für die Praxis – Gleiss Lutz kommentiert

Durch die jüngste Entscheidung konkretisiert die Rechtsprechung weiter, wie lange eine Vorbeschäftigung zurückliegen muss, um in den Anwendungsbereich des Vorbeschäftigungsverbots gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG zu fallen. Vorbehaltlich besonderer Umstände genügen acht Jahre zwischen dem Ende der Vorbeschäftigung und der Neueinstellung grundsätzlich für die Anwendung des Verbots und bewirken die Unwirksamkeit einer sachgrundlosen Befristung, während eine 22 Jahre zurückliegende Vorbeschäftigung regelmäßig „sehr lang“ zurückliegen und das Vorbeschäftigungsverbot unangewendet bleiben kann. Einer inzwischen veröffentlichten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil v. 17.04.2019 – 7 AZR 323/17) ist zu entnehmen, dass auch 15 Jahre nicht ausreichen, um einen „sehr langen“ Zeitraum zu begründen. Wo liegt also die Grenze? Die Antwort findet sich wohl in der Parallele, die der 7. Senat zu § 622 Abs. 2 BGB zieht, wonach bei der Festlegung der Dauer der Kündigungsfristen die längste Kündigungsfrist erst nach einer Dauer des Arbeitsverhältnisses von 20 Jahren eingreift. Damit ist klar, wohin die Reise wohl geht: Nur Vorbeschäftigungen, die mehr als 20 Jahre zurückliegen, werden von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht erfasst. Offen ist weiterhin, wann das Bundesarbeitsgericht von einem „ganz anders gearteten“ Beschäftigungsverhältnis ausgeht, das zur Einschränkung des Vorbeschäftigungsverbots führt.

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