Arbeitsrecht

(Keine) Umdeutung einer unwirksamen Betriebsvereinbarung in Gesamtzusage

Die Umdeutung einer unwirksamen Betriebsvereinbarung in eine Gesamtzusage setzt einen klar erkennbaren Rechtsbindungswillen des Arbeitgebers voraus.

BAG, Urteil vom 23. Januar 2018 – 1 AZR 65/17

Der Kläger macht Weihnachts- und Urlaubsansprüche für das Jahr 2013 geltend. Er stützt seine Forderung auf eine (gekündigte) Betriebsvereinbarung, die Gehaltsgruppen, deren Höhe sowie Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld in Abhängigkeit von der Höhe der Gehälter regelte. Hilfsweise beruft er sich auf eine (inhaltsgleiche) Gesamtzusage. Die Betriebsvereinbarung stützte sich in ihrer Präambel auf das Tarifvertragswerk für den Einzelhandel in Hamburg. Die beklagte Arbeitgeberin war früher tarifgebundenes Mitglied des Hamburger Einzelhandelsverbandes. Das Tarifvertragswerk bezeichnete die dort geregelten Gehälter und Löhne als „Mindestsätze“. Die Beklagte hält die Betriebsvereinbarung für unwirksam, weil sie gegen die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG verstoße, und sieht keine Rechtsgrundlage für die Ansprüche des Klägers. Das ArbG hat die Klage abgewiesen, das LAG dem Kläger Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld zugesprochen.

Das BAG gab der Revision der Beklagten statt. Die Betriebsvereinbarung verstoße gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Unabhängig davon, ob der Arbeitgeber tarifgebunden sei, verbiete die Sperre eine Regelung durch Betriebsvereinbarung, wenn der Regelungsgegenstand üblicherweise tariflich geregelt sei. Entsprechendes sei vorliegend für den Hamburger Einzelhandel der Fall. Die Betriebsvereinbarung, um deren Wirksamkeit die Parteien streiten, lege eine Vergütungshöhe über dem jeweiligen Hamburger Tarifvertrag fest und führe zu einer Erhöhung des Garantiegehaltes. Die Betriebsparteien hätten nicht nur Entgeltgrundsätze geregelt, sondern absolute Entgelthöhen ausgewiesen. Da die Entgelthöhe nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig sei, sei hier ausschließlich die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG zu beachten. Auf den Tarifvorbehalt nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbsatz BetrVG komme es nicht an. Gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verstoßende Regelungen in einer Betriebsvereinbarung seien unwirksam. Die Unwirksamkeitsfolge erstrecke sich im vorliegenden Fall nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB auf das in der Betriebsvereinbarung in der Höhe mit einem bestimmten prozentualen Anteil „des Gehalts" festgelegte Weihnachts- und Urlaubsgeld.

Ausgehend von der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung prüft das Gericht die Umdeutung der Betriebsvereinbarung in eine Gesamtzusage. Da eine Gesamtzusage langfristiger binde als eine kündbare Betriebsvereinbarung, kommt eine Umdeutung nach Auffassung des BAG nur dann in Betracht, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, der Arbeitgeber habe unabhängig von der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung die Leistungen gewähren wollen. Im entschiedenen Fall fehle es an Anhaltspunkten für einen solchen Rechtsbindungswillen.

Gleiss Lutz Kommentar

Die Entscheidung überzeugt, ohne zu überraschen: Die Kriterien für eine Umdeutung von unwirksamen Betriebsvereinbarungen in Gesamtzusagen sind nicht neu.
Eine wertvolle Erinnerung enthält die Entscheidung im Hinblick auf die in der Praxis gerne übersehene Tarifsperre. Das BAG erläutert das Verhältnis zwischen Tarifsperre (§ 77 Abs. 3 BetrVG) und Tarifvorrang (§ 87 Eingangssatz BetrVG) und betont, dass zwischen mitbestimmungspflichtigen und mitbestimmungsfreien Regelungsgegenständen zu unterscheiden ist. Nur Gegenstände der erzwingbaren Mitbestimmung führen zum Tarifvorbehalt nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbsatz BetrVG. Mitbestimmungsfreie Gegenstände wie insbesondere die Höhe des Entgelts und die Dauer der Wochenarbeitszeit unterliegen unabhängig von der Tarifbindung des Arbeitgebers der Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG, soweit sie üblicherweise geregelt sind.

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