Im Zuge der Umsetzung der reformierten Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III) wurde auch der § 245e Abs. 5 Baugesetzbuch (BauGB) angepasst. Die Anwendungspraxis der sog. Gemeindeöffnungsklausel war aufgrund einer möglichen Unionrechtswidrigkeit mit Rechtsunsicherheiten belastet. Der planungsrechtliche Spielraum von Gemeinden bei der Ausweisung von Windenergiegebieten wird durch die Anpassung gestärkt, da das bislang vorgesehene Zielabweichungsverfahren nun nicht mehr erforderlich ist.
Hintergrund
Gemeinden müssen ihre Flächennutzungs- und Bebauungspläne an die Ziele der Raumordnung anpassen (vgl. § 1 Abs. 4 BauGB). Flächenausweisungen für die Windenergienutzung sind in Raumordnungsplänen häufig sog. Ziele der Raumordnung. Wollen die Gemeinden von den Zielen der Raumordnung abweichen, müssen sie zuvor ein Zielabweichungsverfahren bei der Raumordnungsbehörde gemäß § 6 Abs. 2 Raumordnungsgesetz (ROG) durchlaufen. Die Vorschrift des § 245e Abs. 5 (sog. Gemeindeöffnungsklausel), die im Januar 2024 in das BauGB aufgenommen wurde, sah bislang Modifizierungen für ein solches Zielabweichungsverfahren vor. Danach sollten die Raumordnungsbehörden bis zum Erreichen der Flächenbeitragswerte nach § 5 Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG) einem Zielabweichungsverfahren nach § 6 Abs. 2 ROG stattgeben, wenn eine Gemeinde ein Windenergiegebiet ausweisen wollte, das mit einem Ziel der Raumordnung nicht vereinbar ist. Dadurch wurden die inhaltlichen Voraussetzungen für die Zulassung einer Zielabweichung erleichtert: Während eine Zielabweichung nach § 6 Abs. 2 ROG grundsätzlich voraussetzt, dass die Abweichung unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist und die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, sollte der Zielabweichung gemäß § 245e Abs. 5 BauGB a.F. bereits dann stattgegeben werden, wenn der Raumordnungsplan keine mit der Windenergie unvereinbare Nutzungen oder Funktionen festlegt.
In der Praxis lief die Gemeindeöffnungsklausel in § 245e Abs. 5 BauGB a.F. allerdings weitgehend leer. Zurückzuführen ist dies auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. September 2023. Darin hatte das Gericht klargestellt, dass Zielabweichungsverfahren nach § 6 Abs. 2 ROG als „Plan“ der SUP-Richtlinie (2001/42/EG) anzusehen sind. Nach den Vorgaben der Richtlinie muss im Rahmen eines Zielabweichungsverfahrens daher geprüft werden, ob mit der Zielabweichung eine erhebliche Umweltauswirkung einhergeht. Ist dies der Fall, muss für die Zielabweichung eine umfassendere Umweltprüfung i.S.d. Richtlinie durchgeführt werden. In § 245e Abs. 5 BauGB a.F. war eine Prüfung der Umweltauswirkungen aber nicht vorgesehen. Die Vorschrift löste deshalb Zweifel hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht und damit Rechtsunsicherheiten in der Anwendungspraxis aus.
Änderungen durch die Reform des § 245e Abs. 5 BauGB
Mit der Reform des § 245e Abs. 5 BauGB, die im Zuge der Umsetzung der RED III erfolgte, soll die Unionsrechtskonformität wieder hergestellt und die Gemeindeöffnungsklausel „revitalisiert“ werden. Nach der neuen Fassung der Vorschrift kann eine Gemeinde ein Windenergiegebiet auch dann ausweisen, wenn die Ausweisung mit einem Ziel der Raumordnung nicht vereinbar ist, es sei denn, bei diesem Ziel handelt es sich um ein Vorranggebiet für mit der Windenergie unvereinbare Nutzungen oder Funktionen. Ein gesondertes Zielabweichungsverfahren ist dann nicht mehr erforderlich. Nach der Auffassung des Gesetzgebers unterfällt die faktische Zielabweichung ohne ein förmliches Verfahren nicht mehr der SUP-Richtlinie. Zu beachten ist, dass im Rahmen der Aufstellung von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen ohnehin eine Umweltprüfung durch die Gemeinden erfolgt (vgl. § 2 Abs. 4 BauGB). Durch die Gesetzesänderung wird also eine doppelte Umweltprüfung (durch die Gemeinde und durch die Raumordnungsbehörden im Rahmen eines Zielabweichungsverfahrens) vermieden (vgl. BT-Drs. 21/797). In der Praxis könnte umstritten sein, wann in der Zielausweisung eine „unvereinbare“ Nutzung liegt; dies wird nun nicht mehr in einem Zielabweichungsverfahren geprüft, sondern von den Gemeinden in ihrer Bauleitplanung festgestellt.
Im Übrigen gelten die bisherigen Anforderungen an die Gemeindeöffnungsklausel fort. Ihr Anwendungsbereich ist weiterhin zeitlich auf den Zeitpunkt befristet, an dem die Flächenbeitragswerte gemäß WindBG erreicht werden.
Auswirkungen auf anhängige Zielabweichungsverfahren
Unklar bleibt, welche Auswirkungen die Novellierung der Gemeindeöffnungsklausel auf bereits angestoßene Zielabweichungsverfahren hat. Für diese Verfahren hat der Gesetzgeber keine Regelungen getroffen. Im Einzelfall sollte das verfahrensrechtliche Vorgehen in Abstimmung mit der Raumordnungsbehörde geprüft werden.
Bewertung
Mit der Reform wird die Gemeindeöffnungsklausel in der Praxis wieder anwendbar. Das erweitert den Planungsspielraum der Gemeinden. Positiv zu bewerten ist, dass eine doppelte Umweltprüfung zukünftig vermieden wird. Eine Umweltprüfung erfolgt nunmehr ausschließlich auf gemeindlicher Ebene im Rahmen der Aufstellung der Flächennutzungs- oder Bebauungspläne gemäß § 2 Abs. 4 BauGB. Zu kritisieren ist aber, dass der Gesetzgeber die Gelegenheit des Gesetzgebungsverfahrens nicht dazu genutzt hat, um zugleich bestehende Rechtsunsicherheiten, bspw. im Hinblick auf den inhaltlichen Anwendungsbereich („unvereinbar“) klarzustellen.