Arbeitsrecht

Europäische Entgelttransparenzrichtlinie in Kraft getreten

Am 6. Juni 2023 ist die europäische Entgelttransparenzrichtlinie („EntgTranspRL“, „Richtlinie“) in Kraft getreten. Die Regelungen der Richtlinie gehen über die Vorgaben des aktuell in Deutschland geltenden Entgelttransparenzgesetzes („EntgTranspG“) hinaus. Die Mitgliedstaaten müssen die Richtlinie bis zum 7. Juni 2026 in nationales Recht umsetzen. Wir geben einen Überblick über die wichtigsten Regelungen.

Hintergrund

Bereits in den Römischen Verträgen von 1957 ist das Gebot des gleichen Entgelts von Frauen und Männern für gleiche und gleichwertige Arbeit verankert. In Deutschland wurde 2017 das EntgTranspG eingeführt, das dem Gebot zu praktischer Wirksamkeit verhelfen sollte. Die zentralen Instrumente des EntgTranspG sind ein individueller Auskunftsanspruch, betriebliche Prüfverfahren und Berichtspflichten. Die Richtlinie zielt ebenfalls auf die Umsetzung des Gebots des gleichen Entgelts für gleiche und gleichwertige Arbeit ab. Im Vergleich zum EntgTranspG sieht sie allerdings deutlich detailliertere und zum Teil weitergehende Regelungen vor. Es ist zu erwarten, dass der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben der Richtlinie durch eine Novelle des EntgTranspG in nationales Recht umsetzen wird.

Zentrale Inhalte der EntgTranspRL und Unterschiede zum EntgTranspG

  • Entgelttransparenz für Stellenbewerber (Art. 5 EntgTranspRL)
    Das EntgTranspG greift bislang erst ab Beschäftigungsbeginn. Nach der Richtlinie haben dagegen bereits Stellenbewerber das Recht, vom künftigen Arbeitgeber Informationen über das Einstiegsentgelt für die betreffende Stelle oder dessen Spanne und gegebenenfalls über die einschlägigen Bestimmungen eines für die Stelle anwendbaren Tarifvertrags zu erhalten (Art. 5 Abs. 1 EntgTranspRL). Bewerber sollen dadurch in die Lage versetzt werden, fundierte und transparente Gehaltsverhandlungen zu führen.
     
  • Informationspflichten und individuelles Auskunftsrecht (Art. 6 und 7 EntgTranspRL)
    Nach der Richtlinie haben Arbeitnehmer einen individuellen Auskunftsanspruch gegen ihren Arbeitgeber. Der Arbeitgeber hat – unabhängig von dessen Größe – schriftlich Auskunft über die individuelle Entgelthöhe und über die durchschnittlichen Entgelthöhen zu erteilen, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und für die Gruppe von Arbeitnehmern, die gleiche oder gleichwertige Arbeit wie sie verrichten (Art. 7 Abs. 1 EntgTranspRL). Der individuelle Auskunftsanspruch ist bereits heute das zentrale Instrument des EntgTranspG. Seine Ausgestaltung hat jedoch viel Kritik erfahren, da bei der Auskunft über die Entgelthöhe der statistische Median herangezogen wird. Dieser hat wenig Aussagekraft darüber, wie sich das eigene Gehalt in das Gehaltsgefüge der Vergleichsgruppe einordnet. Die Richtlinie stellt dagegen auf die Durchschnittsentgelte der Vergleichsgruppe ab und könnte dem Auskunftsanspruch zu mehr Durchschlagskraft verhelfen. Flankiert wird der individuelle Auskunftsanspruch der Richtlinie von Informationsrechten. Zum einen ist über den Auskunftsanspruch selbst zu informieren und zum anderen über die Kriterien der Entgeltfestlegung und -entwicklung (Art. 7 Abs. 2 und Art. 6 EntgTranspRL).
     
  • Berichtspflichten (Art. 9 EntgTranspRL) und gemeinsame Entgeltbewertung (Art. 10 EntgTranspRL)
    Die Richtlinie verschärft die bislang nach dem EntgTranspG vorgesehenen Berichtspflichten deutlich. Bislang sieht § 21 Abs. 1 EntgTranspG eine Berichtspflicht nur für private Arbeitgeber mit in der Regel mehr als 500 Beschäftigten vor, sofern sie nach den §§ 264 und 289 HGB zur Erstellung eines Lageberichts verpflichtet sind. Die Richtlinie verpflichtet nach einer Übergangsfrist bereits Arbeitgeber mit mindestens 100 Arbeitnehmern zur Berichterstattung (Art. 9 Abs. 1 EntgTranspRL). Auch inhaltlich werden die Berichtspflichten durch die Richtlinie deutlich erweitert. So ist über zahlreiche Indikatoren, insbesondere über das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle, Bericht zu erstatten. Der Bericht ist öffentlich zugänglich zu machen. Neu ist in der Richtlinie auch die Pflicht des Arbeitgebers in Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretern nach einem vorgegebenen Verfahren eine gemeinsame Entgeltbewertung vorzunehmen, sollte der Bericht Defizite bei der Entgeltgleichheit ergeben (Art. 10 Abs. 1 EntgTranspRL).
     
  • Anspruch auf Schadensersatz und Entschädigung (Art. 16 EntgTranspRL)
    Nach der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Arbeitnehmer, die durch die Verletzung von Rechten oder Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts einen Schaden erlitten haben, Schadensersatz oder Entschädigung erhalten (Art. 16 EntgTranspRL). Der Anspruch umfasst die vollständige Nachzahlung entgangener Entgelte und damit verbundener Boni oder Sachleistungen sowie den Schadensersatz für entgangene Chancen, immateriellen Schaden und andere relevante Schäden, die auch durch eine Kombination mehrerer Diskriminierungsgründe entstehen können sowie Verzugszinsen. Bislang können Arbeitnehmer entgangenen Lohn unmittelbar aus Art. 157 AEUV sowie aus §§ 3 Abs. 1, 7 EntgTranspG und Entschädigung gemäß Art. 15 Abs. 2 AGG i.V.m. § 2 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG fordern.
     
  • Beweislastumkehr (Art. 18 EntgTranspRL)
    Machen Arbeitnehmer Tatsachen glaubhaft, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Entgeltdiskriminierung vermuten lassen, muss der Arbeitgeber nach der Richtlinie nachweisen, dass keine derartige Diskriminierung vorliegt. Dasselbe gilt für die Verletzung von Pflichten nach den Art. 5, 6, 7, 9 und 10 EntgTranspRL (Art. 18 Abs. 1, 2 EntgTranspRL). Die Richtlinie verlangt, die Beweislastumkehr durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen. Das Bundesarbeitsgericht („BAG“) leitet bei Entgeltgleichheitsklagen eine Beweislastumkehr bislang aus § 22 AGG ab (vgl. BAG, Urt. v. 21.01.2021, 8 AZR 488/19). Inhaltlich geht die durch die Richtlinie geforderte Beweislastumkehr weiter als der bislang durch die Rechtsprechung des BAG geprägte Anwendungsbereich. Die Beweislastumkehr gilt nicht nur für den Anspruch auf Entgeltgleichheit, sondern auch auf die weiteren Pflichten der Richtlinie (z. B. Berichtspflichten).
     
  • Sanktionen (Art. 23 EntgTranspRL)
    Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende“ Sanktionen für die Verletzung der Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts festzulegen (Art. 23 Abs.1 EntgTranspRL). Dazu gehören auch Geldbußen, die gemäß dem nationalen Recht festgesetzt werden. Das EntgTranspG sieht keine vergleichbaren Sanktionen vor.

Praxishinweis

Bereits heute ist das Gebot des gleichen Entgelts von Männern und Frauen für gleiche und gleichwertige Arbeit durch das EntgTranspG gesetzlich verankert. Die Wirksamkeit des Gesetzes wird regelmäßig evaluiert (zuletzt: Zweiter Bericht der Bundesregierung vom 23. August 2023). Auch die neuere Rechtsprechung des BAG hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Position von Arbeitnehmern bei der Durchsetzung des Anspruchs auf gleiches Entgelt für gleiche und gleichwertige Arbeit gestärkt wurde (BAG, Urt. v. 21.01.2021 – 8 AZR 488/19 sowie BAG, Urt. v. 16.02.2023 – 8 AZR 450/21). Die Richtlinie wird zu einer Verschärfung des EntgTranspG führen. Arbeitgeber müssen sich auf deutlich umfangreichere Verpflichtungen im Hinblick auf die Herstellung von Entgelttransparenz und Entgeltgleichheit einstellen. Zudem drohen strengere Konsequenzen bei Verstößen. Derzeit besteht noch kein unmittelbarer Handlungsbedarf. Der Gesetzgeber hat die Vorgaben der Richtlinie bis zum 7. Juni 2026 in nationales Recht umzusetzen. Die Zeit bis zur Umsetzung der Richtlinie sollten Arbeitgeber nutzen, um sich auf die neuen Verpflichtungen vorzubereiten und ihre Entgeltstrukturen auf geschlechtsspezifische Entgeltdiskriminierung zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Auch sollten Arbeitgeber Prozesse entwickeln oder überprüfen, nach denen Entgeltauskünfte erteilt werden.

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