Produkthaftung/-sicherheit

Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt

Unternehmen sollen zukünftig in Zwangsarbeit hergestellte Produkte auf dem Unionsmarkt weder in Verkehr bringen, bereitstellen, noch solche Produkte ausführen dürfen. Einen entsprechenden Vorschlag einer Verordnung zum Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten veröffentlichte die EU Kommission bereits am 24. September 2022. Nachdem das Europäische Parlament am 8. November 2023 hierzu Stellung bezogen hatte, legte nun der Rat am 26. Januar 2024 einen überarbeiteten Verordnungsvorschlag („VO-E“) vor. Auf dieser Grundlage begannen am 30. Januar 2024 die ersten Trilog-Verhandlungen in Brüssel. Für den 4. März 2024 ist ein weiterer Trilog angesetzt. 

Der VO-E soll die aktuell viel diskutierte EU-Lieferkettenrichtlinie („CS3D“) mit dem Ziel ergänzen, bis 2030 Zwangsarbeit abzuschaffen. Im Vordergrund stehen beim VO-E nicht die unternehmerischen Sorgfaltspflichten als Bemühenspflichten, sondern das konkrete Verbot von Produkten, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden. Verpflichtet werden alle Wirtschaftsakteure unabhängig von der Unternehmensgröße, der Rechtsform oder des Produktionsstandortes. Angesichts der verschobenen Abstimmung über die CS3D und dem anlaufenden Europawahlkampf, bleibt abzuwarten, ob es noch vor den Europawahlen im Juni 2024 zu einer Einigung über den VO-E kommen wird. 

Sofern eine Einigung tatsächlich noch gelingt, soll der VO-E 24 Monate (oder laut Ratsvorschlag 36 Monate, Art. 36 VO-E) nach Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft treten. Die EU-Kommission will innerhalb von 18 Monaten nach einer solchen Veröffentlichung Leitlinien für die praktische Umsetzung bereitstellen.

I. Ziel des Verordnungsvorschlages

Bis 2030 soll Zwangsarbeit abgeschafft sein, so das Ziel der internationalen Gemeinschaft. Dass Zwangsarbeit noch immer ein aktuelles Problem ist, zeigen die Zahlen der Internationalen Arbeitsorganisation („IAO“), nach denen weltweit 27,6 Millionen Menschen Zwangsarbeit leisten müssen. Äußerst gefährdet sind dabei marginalisierte Gruppen, insbesondere auch KinderDem will der Verordnungsvorschlag entgegentreten. Über das Verbot soll mittelbar ein System geschaffen werden, mit dem Menschenrechtsverstöße entlang der Wertschöpfungskette von Produkten untersucht, identifiziert und beendet werden.

II. Was wird konkret verboten?

Das Inverkehrbringen und Bereitstellen auf dem oder die Ausfuhr aus dem Unionsmarkt von Produkten, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden, wird gem. Art. 3 VO-E verboten. Zwangsarbeit, einschließlich Kinderzwangsarbeit, ist gem. Art. 2 lit. a VO-E i.V.m. Art. 2 des Übereinkommens Nr. 29 der IAO von 1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit bei jeder Art von Arbeit oder Dienstleistung zu bejahen, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat. Diese Definition der Zwangsarbeit findet sich auch im deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wieder.

Das Verbot adressiert alle Wirtschaftsakteure; insbesondere erfolgt keine Differenzierung nach Unternehmensgröße, Unternehmensstandort oder Rechtsform, vgl. Art. 2 lit. h VO-E.

III. Welche Produkte sind betroffen?

In den Anwendungsbereich der Verordnung fällt gem. Art. 2 lit. f VO-E jedes Produkt, das einen Geldwert hat und als solches Gegenstand von Handelsgeschäften sein kann. Dabei ist irrelevant, ob es gewonnen, geerntet, erzeugt oder hergestellt wird. Jede Be- oder Verarbeitung eines Produkts auf einer beliebigen Stufe der Lieferkette ist davon inbegriffen. Im Ergebnis fallen damit Produkte (und deren Bestandteile) aller Industriezweige unabhängig ihres Ursprungs in den Anwendungsbereich.

IV. Wie werden mögliche Verstöße ermittelt?

Der Feststellung, dass ein Produkt in Zwangsarbeit hergestellt wurde, sind Untersuchungen der zuständigen Behörden vorgeschaltet. Nur wenn die Behörde bei diesen Voruntersuchungen zum Ergebnis kommt, dass ein begründeter Verdacht auf einen Verstoß vorliegt, beschließen die Behörden, eine konkrete Untersuchung bezüglich der betreffenden Produkte und Wirtschaftsakteure einzuleiten. Die Voruntersuchungen sind somit entscheidend, ob weitere Ermittlungen seitens der Behörde angestrengt werden und ob ein etwaiger Verstoß konkret geprüft wird.

Ausnahmsweise können die Voruntersuchungen auch von der Kommission selbst durchgeführt werden, sofern ein sog. Unionsinteresse besteht, vgl. Art. 14 Abs. 2, 3 VO-E. Das ist insbesondere der Fall, wenn Ausmaß und Schwere der mutmaßlichen Zwangsarbeit erheblich sind (lit. a), die Risiken der mutmaßlichen Zwangsarbeit außerhalb des Gebiets der Union liegen (lit. b) oder die betreffenden Produkte erhebliche Auswirkungen auf den Binnenmarkt haben (lit. c). Für die europaweite Koordination der Zwangsarbeitsbekämpfung soll ein zentrales Unionsnetzwerk aus Vertretern der Kommission und Vertretern der Mitgliedstaaten eingesetzt werden, Art. 6 VO-E.

1. Wahrscheinlichkeitsbewertung nach risikobasiertem Ansatz

Die Behörden bewerten die Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes nach einem risikobasierten Ansatz, Art. 14 Abs. 1 VO-E. Die Bewertung stützt sich dabei auf alle ihnen zur Verfügung stehenden Informationen, darunter: 

  • Informationen und Entscheidungen, die in das Informations- und Kommunikationssystem zur Marktüberwachung eingespeist wurden, einschließlich früherer Fälle der (Nicht-)Einhaltung eines Verstoßes durch einen Wirtschaftsakteur (lit. a);
  • Die von der Kommission bereitgestellte Datenbank nach Art. 9 VO-E, welche Produkte und Regionen auflistet, bei denen das Risiko der Zwangsarbeit besteht (lit. b);
  • Risikoindikatoren und sonstige Informationen einschließlich Berichte internationaler Organisationen, insbesondere der Internationalen Arbeitsorganisation, der Zivilgesellschaft, von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften sowie Erfahrungen mit der Umsetzung von Rechtsvorschriften der Union, in denen Sorgfaltspflichten in Bezug auf Zwangsarbeit festgelegt sind (lit. c);
  • Mitteilungen über mutmaßliche Verstöße (lit. d);
  • Informationen, die die zuständige Behörde von anderen Behörden, die für die Durchführung dieser Verordnung relevant sind, wie nationalen Sorgfaltspflicht-, Arbeits-, Gesundheits- oder Steuerbehörden, über die zu bewertenden Produkte und Wirtschaftsakteure erhält, es sei denn, die Weitergabe dieser Informationen steht nicht im Einklang mit dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht im Einklang mit dem Unionsrecht und beeinträchtigt die Durchführung der Tätigkeiten dieser Behörden erheblich (lit. e);
  • Konsultationen mit Organisationen der Zivilgesellschaft und Gewerkschaften (lit. ea).

Die zuständigen Behörden legen dabei den Fokus auf die Wirtschaftsakteure an den Stellen der Wertschöpfungskette, an denen es am ehesten zu Zwangsarbeit kommen könnte, Art. 15 Abs. 1 VO-E. Dabei finden die Größe und die wirtschaftlichen Ressourcen der Wirtschaftsakteure, die Menge der betreffenden Produkte sowie das Ausmaß mutmaßlicher Zwangsarbeit Berücksichtigung. 

2. Informationsabgabe seitens der Wirtschaftsakteure

Im Rahmen der Voruntersuchung fordert die zuständige Behörde von den Wirtschaftsakteuren Informationen an, Art. 15 Abs. 2 VO-E. Darin müssen die Wirtschaftsakteure ihre Maßnahmen darlegen, die sie ergreifen, um das Zwangsarbeitsrisiko in ihren Geschäftstätigkeiten und Wertschöpfungsketten zu ermitteln, zu verhindern, zu minimieren oder zu beenden. Dieser Aufforderung müssen die Wirtschaftsakteure gem. Art. 15 Abs. 3 VO-E innerhalb von 30 Arbeitstagen nachkommen. Innerhalb von 60 Arbeitstagen nach dem Auskunftsersuchen schließen die zuständigen Behörden die Voruntersuchung mit der Entscheidung ab, ob aufgrund der übermittelten Informationen ein (un-)begründeter Verdacht auf einen Verstoß vorliegt, Art. 15 Abs. 5 VO-E.

3. Vorliegen eines (un-)begründeten Verdachts

Kommt die zuständige Behörde zum Ergebnis, dass kein begründeter Verdacht auf einen Verstoß vorliegt, so unterbleibt eine Hauptuntersuchung, worüber die betroffenen Wirtschaftsakteure informiert werden, Art. 15 Abs. 6 VO-E. Stellt die zuständige Behörde hingegen einen begründeten Verdacht fest, so leitet sie gem. Art. 16 Abs. 2 VO-E eine Untersuchung in Bezug auf die betreffenden Produkte und Wirtschaftsakteure damit ein, dass sie ihren Entschluss zur Einleitung der Untersuchung durch das Informations- und Kommunikationssystem mitteilt.

V. Wie läuft die Hauptuntersuchung ab?

Die federführenden zuständigen Behörden, die eine Untersuchung einleiten, teilen dies über das Informations- und Kommunikationssystem zur Marktüberwachung mit, Art. 18 Abs. 1 VO-E. Zudem unterrichten sie die betroffenen Wirtschaftsakteure gem. Art. 18 Abs. 1 VO-E innerhalb von fünf Arbeitstagen nach dem Beschluss über die Einleitung der Untersuchung über diese und ihre möglichen Folgen (lit. a), die untersuchungsgegenständlichen Waren (lit. b), die Gründe für die Einleitung der Untersuchung (lit. c) sowie über die Möglichkeit, der zuständigen Behörde weitere Unterlagen oder Informationen vorzulegen (lit. d).

Auf Ersuchen der zuständigen Behörden übermitteln die betroffenen Wirtschaftsakteure innerhalb von 30 Arbeitstagen alle Informationen, die für die Untersuchung relevant und erforderlich sind, Art. 18 Abs. 2 VO-E. Dazu zählen Informationen zur Identifizierung der zu untersuchenden Produkte, des Herstellers oder Erzeugers dieser Produkte und der Produktlieferanten. Auch hier erfolgt durch die zuständige Behörde eine Priorisierung derjenigen Wirtschaftsakteure an den Stellen der Wertschöpfungskette, die dem Bereich am nächsten liegen, in dem es zu Zwangsarbeit kommen könnte, Art. 18 Abs. 3 lit. a VO-E. Zudem werden gem. Art. 18 Abs. 3 lit. b VO‑E die Größe und die wirtschaftlichen Ressourcen der Wirtschaftsakteure, die Menge der betreffenden Produkte sowie das Ausmaß der mutmaßlichen Zwangsarbeit berücksichtigt. Schließlich können die zuständigen Behörden gem. Art. 18 Abs. 5, Art. 19 VO-E notwendige Kontrollen und Überprüfungen durchführen. Besteht das Risiko der Zwangsarbeit in einem Drittland, so kann die Kommission die Regierung des Drittlandes ersuchen, eine Inspektion durchzuführen, einschlägige Informationen zu übermitteln oder von den Wirtschaftsteilnehmern vorgelegte Nachweise zu überprüfen, Art. 19 Abs. 4a VO-E. 

Der Vorschlag des Europäischen Parlaments, zur Entlastung der Behörden bei ihrer Untersuchungsarbeit die Beweislast für das Nicht-Vorhandensein von Zwangsarbeit bei Hochrisikoprodukten umzukehren und den Wirtschaftsakteuren aufzuerlegen, wurde vom Rat der Europäischen Union nicht übernommen und verbleibt damit ein Thema für den Trilog. Der Vorschlag wird in der Praxis stark kritisiert.

VI. Welche Entscheidung trifft die zuständige Behörde?

Nach Prüfung aller durch die zuständigen Behörden eingeholten Informationen und Nachweisen stellt die Kommission gem. Art. 20 Abs. 1 VO-E fest, ob ein Verstoß gegen das Verbot von Produkten, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden, gegeben ist. Weigert sich ein Unternehmen oder die Behörde eines Nicht-EU Staates zu kooperieren, ergeht die Entscheidung auf Basis der verfügbaren Informationen, Art. 20 Abs. 2 VO-E. Eine negative Feststellung führt zu einer Einstellung der Untersuchung, über die der Wirtschaftsakteur in Kenntnis gesetzt wird, Art. 20 Abs. 3 VO-E. Ergeht hingegen eine positive Feststellung eines Verstoßes, lässt die Kommission unverzüglich eine Entscheidung mit folgendem Inhalt, Art. 20 Abs. 4 VO-E:

  • Ein Verbot des Inverkehrbringens oder der Bereitstellung der betreffenden Produkte auf dem Unionsmarkt sowie ein Verbot ihrer Ausfuhr (lit. a);
  • Eine Anordnung an die von der Untersuchung betroffenen Wirtschaftsakteure, die betreffenden bereits auf dem Markt in Verkehr gebrachten oder bereitgestellten Produkte vom Unionsmarkt zu nehmen (lit. b);
  • Eine Anordnung an die von der Untersuchung betroffenen Wirtschaftsakteure, die betreffenden Waren zu spenden, zu recyceln oder unbrauchbar zu machen (lit. c).

Die Entscheidungen werden in Form nicht vertraulicher Zusammenfassungen in einem speziell hierfür errichteten, öffentlich zugänglichen Portal veröffentlicht, Art. 12 lit. d, lit. e VO-E. Kommt der Wirtschaftsakteur der Entscheidung nicht nach, so stellen die zuständigen Behörden sicher, dass der Inhalt umgesetzt wird, Art. 22 Abs. 1 VO-E. Hierfür können insbesondere die Zollbehörden einbezogen werden, die betroffene Produkte an den EU-Außengrenzen identifizieren und stoppen, Art. 25 VO-E. 

Hat sich der Sachverhalt, auf dem die Entscheidung beruht, wesentlich geändert, Art. 20 Abs. 7 lit. a VO-E, oder beruht die Entscheidung auf unvollständigen, unrichtigen oder irreführenden Angaben, Art. 20 Abs. 7 lit. b VO-E, so kann die Kommission von sich aus oder auf Antrag eines betroffenen Wirtschaftsakteurs die erlassene Entscheidung jederzeit überprüfen, ändern oder aufheben, Art. 20 Abs. 7 VO-E.

VII. Welche Sanktionen sind zu befürchten und wie werden sie durchgesetzt?

Die Mitgliedstaaten erlassen Vorschriften über Sanktionen, die bei Nichteinhaltung einer Entscheidung gem. Art. 20 Abs. 4 VO-E zu verhängen sind, und treffen alle für die Anwendung der Sanktionen erforderlichen Maßnahmen nach Maßgabe des nationalen Rechts, Art. 34 Abs. 1 VO E. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein, Art. 34 Abs. 2 VO-E. Dabei wird die Schwere und Dauer des Verstoßes (lit. a), etwaige einschlägige frühere Verstöße des Wirtschaftsakteurs (lit. b), das Ausmaß der Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden (lit. c) und alle sonstigen mildernden oder erschwerenden Umstände des Einzelfalls, wie etwa die durch den Verstoß (in-)direkt erzielten finanziellen Vorteile oder vermiedenen Verluste, berücksichtigt. Die Geldbußen dürfen die Obergrenze von 5 % des gesamten unionsweiten Jahresumsatzes des Wirtschaftsakteurs, welcher im Geschäftsjahr vor der Entscheidung über die Geldbuße erzielt wurde, gem. Art. 34 Abs. 2a VO-E nicht übersteigen.

Darüber hinaus hatte das Europäische Parlament vorgeschlagen, eine Vorschrift aufzunehmen, wonach Wirtschaftsakteure finanzielle und nicht-finanzielle Wiedergutmachung an Betroffene leisten sollen (sog. Remediationen). Ob diese von der Praxis kritisierte und vom Rat nicht übernommene Regelung im Rahmen des Trilogs Einzug in die Verordnung finden wird, bleibt abzuwarten.

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