
Seit der Veröffentlichung des Rechtsprechungsupdate 2024/II (Beitrag vom 18. November 2024) hat sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit wieder in zahlreichen Fällen mit dem Thema Windenergie an Land beschäftigt. Wir geben einen Überblick über einige Entscheidungen in unserem Rechtsprechungsupdate 2025/I.
Lärmschutz – Auflagen zugunsten außerhalb des Einwirkungsbereiches liegender Bereiche rechtswidrig
Das BVerwG hat mit Urteil vom 23. Januar 2025 (7 C 4.24) zur Anwendbarkeit der TA Lärm im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren die Rechtssicherheit für Vorhabenträger bei Windenergieprojekten verbessert. Die Klägerin, Betreiberin mehrerer Windenergieanlagen in Brandenburg, wandte sich gegen Nebenbestimmungen in drei Genehmigungen, die einen schallreduzierten Betriebsmodus während der Nachtstunden vorsahen. Ziel der Auflagen war es, die für Wohngebäude nach TA Lärm ermittelte Lärmbelastung nicht erheblich zu überschreiten.
Obwohl die von den Anlagen der Klägerin ausgehende Mehrbelastung deutlich unterhalb der Richtwerte liegt, hatte das OVG Brandenburg die Klage zunächst abgewiesen: Angesichts der kumulativen Vorbelastung durch über 20 bestehende Windenergieanlagen könnten die neuen Anlagen gleichwohl zur Überschreitung der Richtwerte beitragen. Das BVerwG hob diese Entscheidung nun auf: Die Prüfung der Einhaltung der Anforderungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG richte sich vorrangig nach der Regelfallprüfung gemäß Nr. 3.2.1 TA Lärm. Diese umfasse die Ermittlung der Gesamtbelastung am maßgeblichen Immissionsort, der gemäß Nr. 2.3 TA Lärm im Einwirkungsbereich der jeweiligen Anlage liegen müsse. Dieser Einwirkungsbereich sei durch Nr. 2.2 TA Lärm abschließend und verbindlich definiert. Eine kumulative Betrachtung im Hinblick auf bereits bestehende Vorbelastungen bei der Abgrenzung des Einwirkungsbereichs sei nicht zulässig. Eine Sonderprüfung nach Nr. 3.2.2 TA Lärm sei zudem nur angezeigt, wenn besondere Umstände innerhalb des Einwirkungsbereichs vorlägen.
Planungsrecht – Vorranggebiet ohne Sperrwirkung für außerhalb des Gebiets geplante Windenergievorhaben
Vorranggebiete im Rahmen der Regionalplanung wirken nach innen – sie reservieren Flächen, schließen aber Vorhaben außerhalb dieser Gebiete nicht generell aus. Das hat das OVG Brandenburg in seinem Beschluss vom 2. April 2025 (OVG 7 S 3/24), mit dem es den Eilantrag der Stadt Bernau gegen die Zulassung eines Windenergievorhabens ablehnte, noch einmal bekräftigt.
Das Vorhaben umfasst sieben Windenergieanlagen, von denen zwei auf dem Gebiet der Antragstellerin errichtet werden sollen. Die Stadt hatte zuvor ihr Einvernehmen verweigert. Die Genehmigung wurde dennoch erteilt. Die Stadt Bernau hatte sich in ihrer Argumentation maßgeblich auf den in Aufstellung befindlichen Regionalplan der Regionalen Planungsgemeinschaft Uckermark-Barnim, der Vorranggebiete für Windenergie vorsieht, gestützt.
Das OVG hat in seiner Entscheidung hingegen betont, dass ein Ziel der Raumordnung zwar bereits im Planaufstellungsverfahren als „sonstiges Erfordernis der Raumordnung“ (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 ROG) Berücksichtigung finden könne – dies jedoch nur bei ausreichender Konkretisierung und Verfestigung. Zudem würde die bloße Zulassung von Anlagen außerhalb eines Vorranggebietes die Zielfestlegungen des Regionalplanes nicht berühren. Vielmehr habe der Gesetzgeber mit § 249 BauGB bewusst auf eine Positivplanung ohne außergebietliche Ausschlusswirkung hingewirkt. Eine Regelvermutung der Unzulässigkeit von Windenergieanlagen außerhalb eines Vorranggebietes ergebe sich aus der Entprivilegierung gemäß § 35 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 249 BauGB nicht. Solche Vorhaben seien nach Maßgabe des § 35 Abs. 2 BauGB im Rahmen einer Einzelfallabwägung zu beurteilen. Dabei dürfe das gesetzliche Prinzip aus § 2 EEG, wonach der Ausbau der Windenergie im überragenden öffentlichen Interesse liegt, dem Windenergievorhaben zugutekommen.
Abstandsflächen – Stärkung der Genehmigungsbeständigkeit in räumlich enger Nachbarschaft
Dem Urteil des OVG Brandenburg vom 18. Februar 2025 (OVG 7 A 42/24) lag die Klage eines Grundstückseigentümers zugrunde, der sein Grundstück an einen Windenergieanlagenbetreiber verpachtet. Der Pächter beabsichtigte die Errichtung einer Windenergieanlage in 169 m Entfernung zu einer auf dem Nachbargrundstück bereits genehmigten Windenergieanlage. Aufgrund des geringeren Abstands wurde in den für beide Anlagen erteilten Genehmigungen eine Reduzierung der Abstandsflächen nach § 6 Abs. 11 BbgBO zugelassen. Die Genehmigung für die Anlage des klagenden Pächters sah allerdings zudem Abschaltzeiten vor, um die gegenseitige technische Beeinflussung zu minimieren. Der Kläger begehrte die Aufhebung der Nachbargenehmigung unter Berufung auf unzulässige Abstandsflächenunterschreitung, Einnahmeeinbußen sowie eine eingeschränkte Bebaubarkeit seines Grundstücks.
Das OVG hat die Klage abgewiesen und insbesondere hervorgehoben, dass dem Kläger kein Abwehrrecht aus dem Abstandsflächenrecht zusteht, wenn seine eigene Anlage eine vergleichbare Abstandsflächenunterschreitung aufweist. Dies folge aus dem Grundsatz der wechselseitigen Abstandsflächenverletzung, der dem bauplanungsrechtlichen nachbarlichen Rücksichtnahmegebot entspringt: Wer selbst den Abstandsflächenanspruch seines Nachbarn nicht achtet, kann diesen Schutz spiegelbildlich nicht in Anspruch nehmen. Unabhängig davon hielt das Gericht die im Genehmigungsbescheid festgesetzte Reduzierung der Abstandsfläche für rechtmäßig. Nach § 6 Abs. 11 i.V.m. § 67 Abs. 1 Satz 1 BbgBO ist eine Abweichung von den Abstandsflächen zulässig, wenn die Schutzziele – namentlich Belichtung, Belüftung, Besonnung und sozialer Abstand – gewahrt bleiben. Der Schutz wirtschaftlicher Interessen Dritter, etwa durch Pachteinnahmen oder maximale Grundstücksausnutzung, sei hingegen kein Schutzzweck des Abstandsflächenrechts.
Planungsrecht – Strenge Anforderungen an die Aussetzung immissionsschutzrechtlicher Verfahren nach § 36 Abs. 3 LPlG NRW
In einem Verfahren aus dem Dezember 2024 begehrte die Betreiberin eines Windenergieprojekts, das im Kreisgebiet Detmold errichtet werden soll, einen Vorbescheid nach § 9 Abs. 1 BImSchG für drei Windenergieanlagen. Auf Anweisung der Bezirksregierung Detmold setzte die Genehmigungsbehörde das Verfahren gemäß § 36 Abs. 3 Landesplanungsgesetz NRW aus – die Antragstellerin beantragte daraufhin Eilrechtsschutz. Nach § 36 Abs. 3 LPlG NRW können die Bezirksregierungen die Genehmigungsbehörde im Einzelfall anweisen, die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben der Windenergie im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB auszusetzen, wenn sich ein Raumordnungsplan in Aufstellung befindet oder geändert wird, um den Flächenbeitragswert im Sinne des § 3 Abs. 1 WindBG oder eines daraus abgeleiteten Teilflächenziels zu erreichen, und zu befürchten ist, dass die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde.
Das OVG NRW gab der Antragstellerin in seinem Beschluss vom 20. Dezember 2024 (8 B 906/24.AK) recht. Die durch das LPlG NRW geschaffene Möglichkeit der Aussetzung diene dem Schutz konkret verfolgter Planungsziele zur Umsetzung der Flächenbeitragswerte nach dem WindBG. Eine Beeinträchtigung der Raumplanung könne zwar konkret darin liegen, dass sich durch den Zubau die Beurteilungsgrundlagen für die Identifikation und Abwägung der Windenergiegebiete während des Planungsverfahrens ändern und eine den weiteren Planungsprozess verzögernde Umplanung erforderlich mache. Es könne, so das OVG, aber nicht jedes außerhalb der sich aus den Entwürfen der Regionalplanung ergebenden Windenergieflächen zu realisierende Vorhaben per se die Befürchtung begründen, die Durchführung der Planung unmöglich zu machen oder wesentlich zu erschweren. Das Recht der Bezirksregierungen, die Genehmigungsbehörde zur Aussetzung der Entscheidung anzuweisen, sei auf den „Einzelfall“ begrenzt und setzt überdies eine „wesentliche“ Erschwerung der Durchführung der Planung voraus. Es müssten gerade die spezifischen Umstände des konkret zur Genehmigung oder Vorbescheidung gestellten Vorhabens die Befürchtung begründen, dass hierdurch entweder eine Umplanung der im Entwurf der Regionalplanung vorgesehenen Windenergiefläche erforderlich werden könne oder der planungsrechtliche Außenbereich in einer mit den künftig zu beachtenden Vorgaben des § 35 Abs. 2 BauGB unvereinbaren Weise in Anspruch genommen zu werden drohe.
Offen gelassen hat das OVG hingegen die Frage, ob § 36 Abs. 3 LPlG NRW gegen § 73 BImSchG verstößt und daher nach der Kollisionsregel des Art. 31 GG nichtig ist. Dies hatte das OVG in einer vorangegangenen Entscheidung vom 26. September 2024 (22 B 727/24.AK) in der Tendenz bejaht: Denn nach § 73 BImSchG kann von den bundesimmissionsschutzrechtlichen Regelungen des Verwaltungsverfahrens nicht durch Landesrecht abgewichen werden. Genau dies geschehe aber durch § 36 Abs. 3 LPlG, der zu einer temporären Aussetzung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren bei Windenergieanlagen führt.
Zusammenfassung
Insbesondere für windenergetisch bereits dicht genutzte Regionen wurde der behördliche Spielraum für zusätzliche Betriebsbeschränkungen einerseits und der Nachbarschutz andererseits klarer konturiert. Schließlich werden die Planungsträger durch die obige Rechtsprechung angehalten, frühzeitig verbindliche Planungen aufzustellen. Bezüglich der Entscheidung zu § 36 Abs. 3 LPlG NRW ist aber zu berücksichtigen, dass der Landesgesetzgeber mit § 36a LPlG NRW eine neue gesetzliche Grundlage für die Unterbrechung des Genehmigungsverfahrens geschaffen hat.
