Patentrecht

Europäisches Parlament gibt grünes Licht für eine Verordnung zu standardessentiellen Patenten

Das Europäische Parlament hat am 28. Februar 2024 dem Vorschlag der EU Kommission (COM(2023)0232) für eine Verordnung zu standardessentiellen Patenten („standard essential patents“, kurz „SEPs“) zugestimmt. Die Verordnung soll für mehr Transparenz bei der Lizenzierung von SEPs sorgen und einen institutionell-organisatorischen Rahmen bereitstellen, der allen Beteiligten bei der Lizenzierung von SEP helfen kann. Das Gesetzgebungsvorhaben ist zu begrüßen. Aufgrund der umfassenden Vernetzung durch IoT und Industrie 5.0 benötigen immer mehr Unternehmen auch in solchen Produkt- und Industriebereichen SEP Lizenzen, die sich mit diesem komplexen Spezialthema bislang nicht befassen mussten. Die geplante Verordnung wird zwar nicht alle Probleme der SEP-Lizenzierung lösen können. Sie stellt jedoch die richtigen Weichen.

Für welche Patente soll die Verordnung gelten?

Die Verordnung soll nur für standardessentielle Patente gelten. Dabei soll es allein darauf ankommen, ob das Patent von seinem Inhaber als für einen technischen Standard essentiell erklärt wurde (Art. 2 I Nr. 1 SEP-VO-E). Es soll nicht entscheidend sein, ob das Patent tatsächlich standardessentiell ist. Es soll auch nicht darauf ankommen, ob der SEP-Inhaber eine FRAND-Erklärung für das Patent abgegeben hat, also sich verpflichtet hat, das SEP zu fairen, angemessenen und nicht-diskriminierenden (FRAND)-Bedingungen zu lizenzieren.

In zeitlicher Hinsicht soll die Verordnung für alle Standardversionen gelten, die eine Standardisierungsorganisation nach dem Inkrafttreten der Verordnung veröffentlicht (Art. 1 II SEP-VO-E). Auf einen vor Inkrafttreten der Verordnung veröffentlichten Standard soll die Verordnung nur Anwendung finden, wenn die EU Kommission für den betreffenden Standard eine Verzerrung für den Binnenmarkt aufgrund von erheblichen Schwierigkeiten oder Ineffizienzen bei der Lizenzierung von SEP identifiziert.

Mehr Transparenz durch ein SEP-Register und eine Datenbank

Das grundlegende Problem bei SEP-Lizenzverhandlungen ist die Informationsasymmetrie zwischen SEP-Inhaber und Implementierer. Für Implementierer ist es bislang schwierig, eigenständig, d.h. unabhängig von SEP-Inhabern, Informationen zu zentralen Fragen der SEP-Lizenzierung zu erhalten: welche Patente sind für welchen Standard essentiell, welche SEP-Inhaber sind anzusprechen, welche Lizenzsätze gelten für welches SEP-Portfolio, wie hoch ist der Anteil eines bestimmten SEP-Portfolios am Gesamtbestand relevanter SEP, wie sind unterschiedliche SEP-Portfolios im Verhältnis zueinander zu gewichten etc.? Mit diesen Fragen sehen sich innovative Unternehmen frühzeitig im Rahmen der Entwicklung von neuen Produkten konfrontiert, die Gebrauch von Standards machen (z.B., weil sie WLAN-fähig sind). Denn die spätere Belastung mit Lizenzgebühren muss bei der eigenen Preisgestaltung berücksichtigt werden.

Der Verordnungsentwurf sieht zur Verbesserung der Transparenz vor, dass ein zentrales elektronisches SEP-Register und eine zentrale elektronische Datenbank eingerichtet werden (Art. 4 ff. SEP-VO-E), die u.a. Informationen enthalten sollen:

  • zum jeweiligen, als essentiell erklärten Patent (u.a. Patentnummer, Land der Registrierung), seinem Inhaber und dessen rechtlichen Vertreter in der EU,
  • zum relevanten technischen Standard (u.a. relevante Version des Standards, Angaben der jeweiligen Abschnitte des Standards, die vom Schutzbereich des Patents erfasst sein sollen) und zur FRAND-Erklärung des SEP-Inhabers,
  • zur Lizenzierungspraxis (u.a. Bestehen öffentlich zugänglicher Standardlizenzbedingungen, einschließlich Gebühren-, Gebührenbefreiungs- und Rabattsystem, Gesamtlizenzgebührensatz),
  • zur Verfügbarkeit von Lizenzen durch Patentpools,
  • zur Durchführung und zum Ergebnis von Prüfungen über die Standardessentialität eines Patents sowie
  • zu etwaigen gerichtlichen Verfahren in Bezug auf SEPs (zu Fragen der Verletzung, Rechtsbeständigkeit, Nichtdurchsetzbarkeit, Standardwesentlichkeit, missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung und Bestimmung von FRAND-Bedingungen).

Register und Datenbank sollen bei einem Kompetenzzentrum des Amts der Europäischen Union für Geistiges Eigentum (EUIPO) verwaltet werden. Die SEP-Inhaber sollen nach Eintragung eines neuen Standards in das Register sechs Monate Zeit haben, ihre SEPs dort zu registrieren.

Wer die Registrierung versäumt, soll bis zu ihrer Nachholung keine Ansprüche wegen der Verletzung des nicht-registrierten SEPs im Zusammenhang mit dem Standard geltend machen dürfen (Art. 24 SEP-VO-E). In der EU wird die Registrierung des streitgegenständlichen SEP also zur Zulässigkeitsvoraussetzung für Gerichtsverfahren. Hiervon unberührt bleiben sollen Ansprüche auf Grundlage von Verträgen (z.B. Lizenzverträgen), die vor Inkrafttreten der Verordnung geschlossen wurden und eine Lizenzgebühr für das nicht-registrierte SEP vorsehen.

Auch Patentpools sollen von der Verordnung stärker in die Pflicht genommen werden. Die Verordnung sieht u.a. Informationspflichten vor, wonach Pools auf ihrer Website Informationen zu den verwalteten Patenten bereitstellen müssen, u.a. den Standardlizenzvertrag, Lizenzgebühren, etwaigen Rabatte, einem etwaigen Gesamtlizenzgebührensatz und eine vollständige Liste der Lizenznehmer für jede Implementierung (Art. 9 SEP-VO-E).

Die vom EU-Gesetzgeber geplanten Informationsquellen können für alle Beteiligten von Vorteil sein, die Interesse an transparenten und zügigen SEP-Lizenzverhandlungen haben.

Gesamtlizenzgebühr

Aktuell ist die angemessene Gesamtlizenzgebühr (aggregate royalty) für ein standardkonformes Produkt – eine für SEP-Lizenzverhandlungen in mehrfacher Hinsicht wichtige Information – den an der SEP-Lizenzierung Beteiligten regelmäßig nicht bekannt. Das gilt auch dort, wo Patentpools zur Lizenzierung von SEPs gebildet wurden, decken sie doch häufig nicht sämtliche benötigten SEPs ab. Es ist daher zu begrüßen, wenn der Verordnungsentwurf vorsieht, dass ein Gesamtlizenzgebührensatz für die Nutzung eines Standards bestimmt werden soll.

Die an der Standardisierung beteiligten Personen (also insbesondere die SEP-Inhaber) sollen zusätzlich zur technischen Abstimmung einen angemessenen Gesamtpreis für die Nutzung des gesamten Standards ermitteln und dem Kompetenzzentrum des EUIPO zur Aufnahme in Register und Datenbank melden können. Scheitern sie mit der Festlegung und Aufteilung der Gesamtlizenzgebühr, soll ein Sachverständiger mit der Ausarbeitung eines unverbindlichen Vorschlags beauftragt werden können. Ein entsprechender Antrag kann von SEP-Inhabern (mit mindestens 20% der relevanten SEP) oder SEP-Nutzern (mit einem gemeinsamen EU-Marktanteil von mindestens 10%, alternativ zehn KMU oder Start-ups) gestellt werden. Diese Schwellen dürften im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahren noch weiter zu diskutieren sein.

Unabhängige und außergerichtliche Überprüfung der Standardessentialität

Einer der zentralen Diskussionspunkte, sowohl in den außergerichtlichen SEP-Lizenzverhandlungen als auch in den gerichtlichen Verletzungsverfahren ist die Frage, ob die vom Patent geschützte Lehre tatsächlich von einem standardkonformen Produkt notwendigerweise realisiert wird (das Patent also tatsächlich „standardessentiell“ ist). Denn die Erfahrung zeigt, dass ein beachtlicher Anteil der als standardessentiell deklarierten Patente tatsächlich nicht standardessentiell ist (z.B. infolge von Änderungen im Patentanmeldeverfahren oder Änderungen der technischen Spezifikationen im Standardisierungsprozess).

Zukünftig soll eine unabhängige Prüfung der Essentialität eines Patents möglich sein, ohne hierfür ein Gerichtsverfahren führen zu müssen. Unabhängige Gutachter sollen im Auftrag des Kompetenzzentrums die im zentralen Register eingetragenen Patente stichprobenhaft überprüfen (Art. 28 ff. SEP-VO-E). Außerdem können SEP-Inhaber ihre SEPs freiwillig dem Kompetenzzentrum zur Essentialitätsprüfung vorlegen (Art. 4a SEP-VO-E). Die Prüfung soll nach sechs Monaten abgeschlossen werden. Das Ergebnis der Prüfung soll zwar rechtlich unverbindlich sein, gleichwohl jedoch in der zentralen SEP-Datenbank eingetragen werden. Trotz rechtlicher Unverbindlichkeit gibt es eine Indikation in die ein oder andere Richtung und kann entsprechend in SEP-Lizenzverhandlungen oder in Gerichtsverfahren genutzt werden, was Streitpunkte, Aufwand, Zeit und Kosten reduzieren kann.

Neues Verfahren zur Bestimmung von FRAND-Bedingungen

Zur Beantwortung der Kernfrage der SEP-Litigation, welche Bedingungen als FRAND anzusehen sind, soll den SEP-Inhabern und SEP-Nutzern ein Schlichtungsverfahren (FRAND determination procedure) zur Verfügung gestellt werden (Art. 34 ff. SEP-VO-E). Fachlich erfahrene und unabhängige Streitschlichter sollen den Parteien nach spätestens neun Monaten einen Einigungsvorschlag unterbreiten.

Die EU Kommission geht davon aus, dass eine außergerichtliche Streitbeilegung im Durchschnitt achtmal kostengünstiger sei als ein entsprechendes Gerichtsverfahren. Insbesondere gegenüber gerichtlichen Verfahren in Deutschland wäre ein solches Streitschlichtungsverfahren zur Bestimmung konkreter FRAND-Bedingungen ein Fortschritt. Denn hierzulande fühlen sich Gerichte bislang nicht dazu berufen, festzulegen, welche vertraglichen Bedingungen und insbesondere welche Gebührensätze konkret als FRAND anzusehen sind. Mit dem neuen Verfahren könnten die an der SEP-Lizenzierung Beteiligten relative zügig eine Indikation zur Höhe Lizenzgebühren durch einen objektiven Dritten erhalten.

Nach dem Entwurf soll das Gericht eines Mitgliedsstaates der EU oder das Einheitliche Patentgericht (EPG) nicht über eine Verletzungsklage entscheiden solange das Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt worden ist. Stets möglich bleiben „einstweilige Verfügungen finanzieller Art“ (provisional injunctions of a financial nature) (Art. 34 SEP-VO-E), womit in Deutschland z.B. der Arrest gemeint sein dürfte, wohl aber nicht eine Unterlassungsverfügung.

Den Parteien steht frei, ob sie das Ergebnis des Streitbeilegungsverfahrens als verbindlich anerkennen. Der vom Streitschlichter zu erstellende Bericht mit einer Einschätzung der FRAND-Bedingungen wird stets – in seinen nicht vertraulichen Teilen – in der elektronischen Datenbank öffentlich zugänglich gemacht und kann in Gerichtsverfahren berücksichtigt werden.

Fazit 

Mit seinem Votum vom 28. Februar 2024 trägt das Europäische Parlament die von der Europäischen Kommission eingeleitete Reform der SEP-Lizenzierung mit. Trotz der – vor allem von Seiten der SEP-Inhaber geäußerten – deutlichen Kritik am Verordnungsentwurf schlägt das Europäische Parlament keine grundlegenden Änderungen vor, sondern lässt den Vorschlag der Europäischen Kommission in seinem Kern unverändert. Der Verordnungsentwurf liegt nun beim Rat der Europäischen Union. Falls der Rat Änderungen am Entwurf vornehmen will, folgen interinstitutionelle Verhandlungen zwischen Kommission, Rat und Parlament ("Trilog"), in denen der finale Text abgestimmt werden wird. Die Gesamtdauer des weiteren legislativen Prozesses ist schwer einzuschätzen und hängt auch davon ab, ob der Rat über das Gesetzgebungsvorhaben noch vor den im Juni 2024 anstehenden EU-Wahlen entscheiden wird. Bei dem im letzten Jahr verabschiedeten Data Act der EU lagen zwischen dem Votum des Europäischen Parlaments und der Veröffentlichung im Amtsblatt nur gut neun Monate. Es wäre wünschenswert, wenn die SEP-Verordnung ähnlich zügig Gesetzeskraft erlangen würde.

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