Öffentliches Recht

BGH-Entscheidung zur richtlinienkonformen Auslegung des Anwendungsbereichs der Kundenanlage

Mit Beschluss vom 13. Mai 2025 (Az. EnVR 83/20) hat der BGH entschieden, wie der Begriff der Kundenanlage in § 3 Nr. 24a EnWG im Einzelfall auszulegen ist. Der Beschluss setzt eine Entscheidung des EuGH aus November 2024 um, in welcher der Gerichtshof entschied, dass die deutsche Anlagenkategorie der Kundenanlage unionsrechtswidrig ist. Die Entscheidungsgründe des BGH sind bislang noch nicht veröffentlicht. Abrufbar ist bislang nur eine Pressemitteilung.

Rechtliche Ausgangslage der Kundenanlage i.S.d. § 3 Nr. 24a EnWG

Bisher galt die Kundenanlage als unregulierte Form innerhalb der lokalen Netzebene, deren Betrieb keine Betriebs- oder Entgeltgenehmigungen erforderte und auf die die regulatorischen Anforderungen des Verteilernetzes nicht anwendbar waren. Dies ist damit zu begründen, dass die Kundenanlage meist die Letztverbraucher in eng begrenzten Gebieten mit Energie versorgt und daher von großen Verteilernetzen abzugrenzen ist. Bisher konnte die Privilegierung als Kundenanlage gemäß der Rechtsprechung des BGH nur dann nicht mehr angenommen werden, wenn: (i) mehrere Hundert Letztverbraucher angeschlossen sind, (ii) die Anlage eine Fläche von deutlich über 10.000 m² versorgt, (iii) die jährliche Menge an durchgeleiteter Energie voraussichtlich 1.000 MWh deutlich übersteigt und (iv) mehrere Gebäude angeschlossen sind.

Verfahren vor dem BGH

Die Beschwerdeführerin in dem Verfahren vor dem BGH – ein Energieversorgungsunternehmen – betreibt an mehreren Standorten unter anderem Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, Nahwärmenetze und Energieanlagen zur Abgabe von Energie, mit denen sie Letztverbraucher mit Wärme und Strom versorgt. Aufgrund eines Wärmelieferungsvertrags mit einer Grundstückseigentümerin versorgt sie vier Wohnblöcke mit 96 Wohneinheiten sowie sechs Wohnblöcke mit 160 Wohneinheiten durch jeweils eine Energiezentrale und ein daran angeschlossenes Nahwärmenetz mit Wärme und Warmwasser. Die Stromversorgung der Wohnblöcke erfolgt über das Elektrizitätsverteilernetz der Antragsgegnerin, der örtlichen Verteilnetzbetreiberin.

Die Anmeldung zweier getrennter Kundenanlagen bei der Antragsgegnerin führte schließlich zum Streit: Die Errichtung und der Betrieb zweier Blockheizkraftwerke und zweier getrennter elektrischer Leitungssysteme, an welche die in den Wohnblöcken wohnenden Mieter angeschlossen werden sollten, fielen nach Ansicht des Netzbetreibers nicht unter den Begriff der Kundenanlage, weshalb sie den Antrag ablehnte.

Zwischenzeitlich ergangene EuGH-Entscheidung

Der BGH hatte Ende 2022 das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage zur Auslegung der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/944) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Über die daraufhin im November 2024 ergangene Entscheidung des EuGH (Az. C-293/23) zur Auslegung des Begriffs der Kundenanlage und zur Vereinbarkeit mit der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie berichteten wir bereits hier. Danach ist die deutsche Anlagenkategorie der Kundenanlage und deren regulatorische Privilegierung in der jetzigen Form unionsrechtswidrig. Neben den unionsrechtlich vorgesehenen Netzarten dürften die Mitgliedstaaten keine zusätzlichen Kriterien heranziehen, um bestimmte Netzarten vom Begriff des Verteilernetzes auszunehmen. Die Rechtsprechung und die regulatorische Ausgestaltung durch die Mitgliedstaaten haben sich vielmehr an den in der Richtlinie abschließend vorgesehenen Ausnahmen zu orientieren. Diese Vorgaben des EuGH hatte der BGH nun in seiner Entscheidung umzusetzen.

Entscheidung des BGH

Mit Beschluss vom 13. Mai 2025 hat der BGH die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin erwartungsgemäß zurückgewiesen. Er setzt damit die Entscheidung des EuGH um und legt das EnWG richtlinienkonform aus: Die in Streit stehenden Leitungsanlagen fallen nicht unter den Begriff der Kundenanlagen gemäß § 3 Nr. 24a EnWG und waren daher nicht an das Verteilernetz anzuschließen. Die Vorschrift sei, so der BGH, richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass eine Kundenanlage nur dann gegeben sei, wenn sie kein Verteilernetz im Sinne von Art. 2 Nr. 28 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie ist. Die Leitungsanlagen der Antragstellerin seien aber gerade Verteilernetze in diesem Sinne, denn sie dienen der Weiterleitung von Elektrizität, die zum Verkauf an Endkunden durch die Antragstellerin bestimmt ist. Als solche unterfielen sie auch der für Verteilernetze geltenden Regulierung. Für eine genauere Begründung dieser Erkenntnisse bleiben allerdings die Entscheidungsgründe des Beschlusses, der bislang nur aus einer Pressemitteilung des Gerichts bekannt ist, abzuwarten.

Einordnung der Entscheidung des BGH

In Anbetracht des vorausgegangenen Urteils des EuGH ist die Entscheidung des BGH nun wenig überraschend. Auch die Bundesnetzagentur („BNetzA“) hatte sich zwischenzeitlich schon mit einer Stellungnahme zu Wort gemeldet, in welcher sie andeutete, dass für die bislang in § 3 Nr. 24a EnWG geregelten Ausnahmen von den Verpflichtungen eines Verteilernetzbetreibers nach der Entscheidung des EuGH wohl kaum noch ein Anwendungsbereich verbliebe.

Die Wirkung des Beschlusses über den konkret zur Entscheidung vorliegenden Fall hinaus lässt sich mangels Veröffentlichung der Entscheidungsgründe derzeit noch nicht überblicken. Der BGH scheint die Kategorie der Kundenanlage allerdings nicht vollständig aufzugeben. Es stellt sich jedoch tatsächlich die Frage, welche Konstruktionen nun noch unter die vom BGH angedachte richtlinienkonforme Auslegung gefasst werden können, wonach eine Kundenanlage nur dann gegeben ist, wenn sie kein Verteilernetz im Sinn von Art. 2 Nr. 28 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie ist. Von einem substanziellen Anwendungsbereich dieser Auslegung kann man jedenfalls derzeit nicht ausgehen. Vielleicht bringen die Entscheidungsgründe in dieser Hinsicht mehr Klarheit.

Ausblick

Es besteht weiterhin ein Bedürfnis für lokale Leitungsnetze, die nicht die bürokratischen Lasten eines Verteilernetzes tragen. Zudem sind einige wirtschaftliche Vorteile mit der Nicht-Durchleitung durch ein Netz verbunden, die beim Wegfall der Kundenanlage ebenfalls wegfallen könnten.

Da die Kundenanlage in Deutschland eine breite Anwendungspraxis hat, wird die neue Bundesregierung in Folge der Entscheidungen dringend den Gesetzgeber zur Anpassung der Netzsystematik an die veränderten rechtlichen Bedingungen bewegen müssen. Auch auf EU-Ebene könnten Anpassungen vorgenommen werden, denn dezentrale Versorgungslösungen werden dort bislang nicht ausreichend berücksichtigt. Die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie selbst könnte bspw. Kriterien für die Abgrenzung von nicht regulierungsbedürftigen Gebäudeanlagen zu regulierungsbedürftigen Netzen aufstellen.

Insbesondere bei anstehenden Investitionsentscheidungen, ist die fortwährende Rechtsunsicherheit eine missliche Situation. Netzbetreiber weigern sich vielfach bereits seit dem EuGH-Urteil, neue Anschlüsse als Kundenanlagen zu realisieren. Diese Unwägbarkeiten müssen in etwaige Investitionsentscheidungen mit einbezogen werden. Aber auch für bestehende Kundenanlagen, bspw. in Wohnquartieren, Industrieparks, Gewerbegebieten, Flughäfen oder auf Forschungs- oder Universitätsgeländen bleiben trotz der Entscheidung weiter Unsicherheiten bestehen. Sobald es Weiterleitungen von Strom an Dritte über die lokalen Leitungsanlagen gibt, könnte hier nun ein Verteilernetz anzunehmen sein. Zudem droht die Rückabwicklung aufgrund der Kategorisierung als Kundenanlage gewährter Vorteile. In jedem Fall sollten Unternehmen eine Bestandsaufnahme vornehmen, in welchen Konstellationen sie ggf. selbst eine Kundenanlage betreiben oder von den regulatorischen Vorteilen einer Kundenanlage profitieren.

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