Restrukturierung

„Blind in die Krise segeln“ – Wie fehlende Krisen-Compliance den D&O-Versicherungsschutz riskiert

Aktuelle Entscheidungen des OLG Frankfurt zeigen: Wer als Geschäftsführer bei Krisenanzeichen untätig bleibt, begründet nicht nur persönliche Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken, sondern riskiert auch den Verlust des D&O-Versicherungsschutzes. Eine saubere Krisen-Compliance und gerichtsfeste Dokumentation werden damit zum entscheidenden Schutzschild in unsicheren Zeiten.

Krisen-Compliance in der Unternehmensleitung – Pflicht zur Insolvenzantragstellung und die Konsequenzen bei Untätigkeit

Gemäß § 15a Abs. 1 InsO sind Geschäftsführer verpflichtet, bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft unverzüglich einen Insolvenzantrag zu stellen. Was in der Praxis oft unterschätzt wird: Die Pflicht zur Krisen-Compliance setzt bereits deutlich früher an – nämlich bereits dann, wenn erste Krisenanzeichen auftreten. Ab diesem Zeitpunkt sind Geschäftsführer verpflichtet, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens aktiv zu überwachen und das Vorliegen von Insolvenzgründen fortlaufend zu prüfen. Wer hier versäumt, rechtzeitig und systematisch zu reagieren, setzt sich erheblichen Risiken aus – strafrechtlich, haftungsrechtlich und zunehmend auch versicherungsrechtlich.

Dies bekräftigen zwei aktuelle Entscheidungen des OLG Frankfurt (Urteil vom 5. März 2025 – 7 U 134/23 und Urteil vom 8. Mai 2025 – 3 U 113/22) noch einmal nachdrücklich. Gegenstand beider Verfahren war die Inanspruchnahme des Versicherers durch den Insolvenzverwalter, nachdem dieser jeweils bereits erfolgreich einen Haftungsprozess gegen den Geschäftsleiter wegen Verstößen gegen das insolvenzrechtliche Zahlungsverbot gemäß § 64 GmbHG a.F./§ 15b InsO geführt hatte.

Nach § 64 GmbHG a.F./§ 15b InsO dürfen Geschäftsleiter einer juristischen Person nach Eintritt der Insolvenzreife grundsätzlich keine Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen mehr leisten. Ausnahmen bestehen für Zahlungen, die der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters entsprechen. Für Zahlungen, die entgegen dem Verbot geleistet werden, haftet der Geschäftsleiter persönlich und muss diese zurückerstatten.

Grundsätzlich sind Ansprüche aus § 64 GmbHG a.F./§ 15b InsO vom Deckungsschutz der D&O-Versicherung umfasst. Selbst wenn diese Ansprüche nicht ausdrücklich in den Versicherungsbedingungen genannt sind, gilt nach der Rechtsprechung des BGH, dass es sich dabei um ersatzfähige Schadensersatzansprüche im Sinne der D&O-AVB handelt (BGH, Urteil v. 18.11.2020, IV ZR 217/19). Der Schutz der D&O-Versicherung entfällt jedoch bei wissentlichen Pflichtverletzungen. Eine wissentliche Pflichtverletzung liegt vor, wenn der Versicherte Kenntnis von der ihn treffenden Pflicht sowie der Verletzung dieser Pflicht durch sein Handeln hat. Für das Vorliegen einer wissentlichen Pflichtverletzung ist grundsätzlich der Versicherer darlegungs- und beweisbelastet. Soweit es sich jedoch um die Verletzung einer beruflichen Kardinalpflicht handelt, wird zugunsten des Versicherers vermutet, dass die Pflichtverletzung wissentlich war.

Die Pflicht zur unverzüglichen Insolvenzantragstellung bei Insolvenzreife ist eine Kardinalpflicht. Bisher galt daher bereits: Eine Insolvenzverschleppung führt regelmäßig zu einer wissentlichen Pflichtverletzung. Neu an den beiden zitierten Entscheidungen des OLG Frankfurt ist:
Die Insolvenzverschleppung indiziert nach Auffassung des Gerichts auch die wissentliche Verletzung des insolvenzrechtlichen Zahlungsverbots. Anders gesagt: Es kann nach Ansicht des OLG Frankfurt angenommen werden, dass derjenige, der wissentlich gegen § 15a InsO verstößt, regelmäßig auch § 64 GmbHG a.F./§ 15b InsO wissentlich verletzt – mit der Folge, dass der D&O-Versicherungsschutz für Ansprüche aus § 64 GmbHG a.F./§ 15b InsO entfällt.

Diese Sichtweise hat erhebliche praktische Konsequenzen: Liegt eine Insolvenzverschleppung vor, kann der D&O-Versicherer sich bei Ansprüchen aus § 64 GmbHG a.F./§ 15b InsO künftig leichter auf Leistungsfreiheit wegen vorsätzlicher Pflichtverletzung berufen. Ungeachtet der bereits laut gewordenen Kritik an diesen beiden Entscheidungen, die derzeit beim BGH anhängig sind (Az. IV ZR 66/25 und IV ZR 108/25), bedeutet das für die Praxis: Eine unzureichende oder gar fehlende Krisen-Compliance begründet nicht nur persönliche Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken – sie kann auch den D&O-Deckungsschutz kosten.

Fazit und Empfehlung

Geschäftsführer sollten Krisenanzeichen im Unternehmen nicht auf die leichte Schulter nehmen. Stattdessen ist es zwingend geboten, eine strukturierte und gut dokumentierte Krisen-Compliance zu etablieren. Das umfasst insbesondere:

  • die laufende Prüfung und Überwachung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens, insbesondere der Zahlungsfähigkeit und einer positiven insolvenzrechtlichen Fortführungsprognose,
  • die regelmäßige Dokumentation der Prüfung und des Nichtvorliegens von Insolvenzgründen, sowie
  • die Prüfung der D&O Police, insbesondere im Hinblick auf den Schutz bei unerlaubten Zahlungen.

Die aktuelle Rechtsprechung des OLG Frankfurt verdeutlicht: Wer seine Pflichten kennt, frühzeitig handelt und sauber dokumentiert, schützt sich nicht nur vor persönlicher Haftung – sondern sichert auch den D&O-Versicherungsschutz. Geschäftsführern, die „blind in die Krise segeln“, droht hingegen doppelter Schaden: Sie tragen neben Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken auch das Risiko, ihren D&O-Versicherungsschutz zu verlieren.

Wir unterstützen Sie beim Aufbau und der laufenden Umsetzung einer rechtssicheren Krisen-Compliance – präventiv, praxisnah und mit Blick auf Ihre individuelle Unternehmenssituation.

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