
Im Hinblick auf die anzuwendenden gesetzlichen Kündigungsfristen für Dienstverträge von Geschäftsführern, die keine Mehrheitsgesellschafter sind, vertreten die obersten Bundesgerichte unterschiedliche Ansichten. Der BGH wendet in ständiger Rechtsprechung § 622 BGB an. Dem widersprach das BAG und wendete § 621 BGB an. Der BGH nutzte in seinem Urteil vom 5. November 2024 – II ZR 35/23 die Gelegenheit, die aus seiner Sicht gebotene Anwendung des § 622 BGB in einem obiter dictum zu bekräftigen.
Sachverhalt
Die Beklagte betrieb als Einheits-GmbH & Co. KG ein Biotechnologieunternehmen. Der Kläger war Kommanditist der Beklagten und führte als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH die Geschäfte der Beklagten. Für diese Tätigkeit bestand seit dem 1. Oktober 2001 ein Dienstvertrag mit der Beklagten. Darin war für die ordentliche Kündigung eine Frist von 12 Monaten und die Liquidation der Beklagten als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geregelt.
Die Gesellschafterversammlung der Beklagten beschloss am 8. März 2016 einstimmig deren sofortige Auflösung und die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Dienstvertrags des Klägers zum nächstmöglichen Datum. Am selben Tag beschloss die Gesellschafterversammlung der Komplementär-GmbH deren Auflösung sowie die Abberufung des Klägers aus seinem Amt als Geschäftsführer mit Wirkung zum 10. März 2016. Die Beklagten kündigte den Dienstvertrag des Klägers mit Schreiben vom 22. März 2016 das dem Kläger am 23. März 2016 zuging außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum nächstzulässigen Zeitpunkt. Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz nur noch um die Vergütung des Klägers für die Monate Mai und Juni 2016.
Die Entscheidung
Der zweite Zivilsenat des BGH sprach dem Kläger die begehrte Vergütung für die Monate Mai und Juni 2016 als Annahmeverzugslohn gem. § 615 S. 1 BGB zu. Der Dienstvertrag des Klägers habe jedenfalls bis einschließlich Juni 2016 fortbestanden, da die außerordentliche Kündigung vom 22. März 2016 den Dienstvertrag nicht beendet habe.
- Die Zwei Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB gelte auch für eine außerordentliche Kündigung aufgrund vertraglich vereinbarter wichtiger Gründe. Die Frist habe am 8. März 2016 mit dem Liquidationsbeschluss der Gesellschafter der Beklagten, der den Kündigungsgrund darstelle, begonnen und sei also am 22. März 2016 abgelaufen. Die dem Kläger am 23. März 2023 zugegangene Kündigung wahre daher die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht.
- Deshalb komme es nicht mehr darauf an, ob für die Kündigung des Dienstvertrags eines Geschäftsführers, der kein Mehrheitsgesellschafter ist, die Kündigungsfristen des § 622 oder § 621 BGB anzuwenden seien. Der BGH nutzte dennoch die Gelegenheit, sich in einem obiter dictum ausführlich mit der vom Berufungsgericht noch für entscheidungserheblich gehaltenen Frage auseinanderzusetzen. Er bekräftigte seine bisherige Rechtsprechung, dass für die Kündigung des Dienstvertrags eines Geschäftsführers, der kein Mehrheitsgesellschafter ist, die Fristen des § 622 BGB gelten. Kürzere Fristen als die in § 622 BGB geregelten könnten daher in einem Dienstvertrag nicht wirksam vereinbart werden. Auch wenn kürzere Fristen vereinbart werden, gelten die längeren Fristen des § 622 BGB.
- Der BGH widerspricht damit ausdrücklich der Rechtsprechung des BAG, das in dieser Konstellation die Fristen des § 621 BGB anwendet (Urteil vom 11. Juni 2020 – 2 AZR 374/19). Im Jahr 1993 habe der Gesetzgeber die Regelung des § 622 BGB reformiert. Dabei sei ihm die Rechtsprechung des BGH bekannt gewesen, nach der auf Dienstverträge mit Geschäftsführern, die keine Mehrheitsgesellschafter sind, die Kündigungsfristen des § 622 BGB anzuwenden sind. Dennoch habe der Gesetzgeber bei seiner Reform die Kündigungsfristen für Organmitglieder weder ausdrücklich angesprochen noch korrigiert. Damit habe er die Rechtsprechung des BGH offensichtlich gebilligt, an der deshalb nach wie vor festzuhalten sei.
- Einer Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes bedurfte es nicht, da die Frage, ob in dem vom BGH zu entscheidenden Fall die Fristen des § 622 BGB oder des § 621 BGB anzuwenden seien, nicht entscheidungserheblich war.
Gleiss Lutz kommentiert
Der BGH hat die Gelegenheit genutzt, seine Rechtsprechung zur Anwendung der Fristen des § 622 BGB für die Kündigung von Dienstverträgen mit Geschäftsführern, die keine Mehrheitsgesellschafter sind, zu bekräftigen. Er widerspricht damit ausdrücklich der gegenteiligen und auch im juristischen Schrifttum kritisierten Entscheidung des BAG (Urteil vom 11. Juni 2020 – 2 AZR 374/19). Da über die Kündigungen von Dienstverträgen mit Geschäftsführern aufgrund der Rechtswegzuständigkeit im Regelfall die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben, trägt die Entscheidung des BGH zu mehr Rechtssicherheit für die Praxis bei. Die Frage, ob die Fristen des § 622 BGB oder § 621 BGB anzuwenden sind, spielt in der Praxis jedoch dann keine Rolle, wenn – wie häufig – bereits in den Dienstverträgen der Geschäftsführer längere Fristen als diejenigen der §§ 621 bzw. 622 BGB vereinbart werden.
