Healthcare und Life Sciences

Digitalisierungsschub im Gesundheitswesen: Das Digital-Gesetz

Nachdem Bundesrat und Bundestag zugestimmt haben, steht der Inhalt des neuen Digital-Gesetzes für das deutsche Gesundheitswesen fest. Das Gesetz wird in den nächsten Tagen im Bundesgesetzblatt verkündet werden. Das Gesetz hat grundlegende Auswirkungen auf die Einführung und Eigenschaften der elektronischen Patientenakte (ePA), des einheitlichen E-Rezepts, für Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) und das Angebot telemedizinischer Leistungen. 

In Kombination mit dem zeitgleich verabschiedeten Gesundheitsdatennutzungsgesetz (Beitrag vom 13. Februar 2024) bildet es einen weiteren großen Schritt zu dem erklärten Ziel der Bundesregierung, das deutsche Gesundheitswesen digitaler, nutzerfreundliche und leistungsfähiger zu gestalten. 

1. Die verpflichtende Einführung des elektronischen Rezepts

Bereits im Jahr 2022 wurde das elektronische Rezept („E-Rezept“) eingeführt. Der flächendeckende und verpflichtende Einsatz scheiterte bislang jedoch an technischen Voraussetzungen und auch datenschutzrechtlichen Bedenken. Auf der Grundlage des DigiG wird u.a. das E-Rezept weiterentwickelt und wurde bereits ab 1. Januar 2024 als verbindlicher Standard in der Arzneimittelversorgung etabliert. 

So funktioniert das E-Rezept

Das E-Rezept wird durch die Ärztin oder den Arzt digital erstellt, mit dem Heilberufsausweis elektronisch signiert und in der Telematikinfrastruktur gespeichert und verschlüsselt. Von dort kann es später von der Apotheke abgerufen werden. Technische Voraussetzung auf Praxisseite ist ein elektronischer Heilberufsausweis, eine Anbindung an die Telematikinfrastruktur mit einem entsprechenden Konnektor sowie ein E-Rezept-taugliches Praxisverwaltungssystem.

Patientinnen und Patienten erhalten einen Zugriffscode (den sogenannten E-Rezept-Token), den sie zum Einlösen des Rezepts an die Apotheke weitergeben. Apotheken sind verpflichtet, E-Rezepte einzulösen. Die Übermittlung des Tokens an die Patientinnen und Patienten, genauso wie das Einlösen des Rezepts bei der Apotheke, ist technisch auf verschiedenen Wegen möglich: 

  • Als digitale Lösung steht die E-Rezept-App zur Verfügung.
  • Darüber hinaus kann der Token auch – wie bisher – in Papierform ausgedruckt und an die Apotheke weitergegeben werden.
  • Schließlich ist es seit dem 1. Juli 2023 möglich, das E-Rezept über die elektronische Gesundheitskarte (eGK) einzulösen, indem diese in der Apotheke in ein entsprechendes Kartenterminal gesteckt wird.
  • Bereits zum 1. Januar 2024 trat eine weitere Möglichkeit hinzu: Alle privaten sowie gesetzlichen Krankenkassen können ihre ePA-Apps erweitern, sodass hierüber ebenfalls E-Rezepte empfangen und eingelöst werden können.

Das E-Rezept wird in die ePA integriert 

Die Integration des E-Rezepts in die ePA geht nach dem DigiG über die bloße Darstellung auf der Benutzeroberfläche der Apps hinaus: Daten zu den abgegebenen Arzneimitteln, deren Chargennummer und deren Dosierung (die sogenannten Dispensierinformationen) werden an die ePA übermittelt, wenn die Patientin oder der Patient dem nicht widersprochen hat. Auch hier setzt der Gesetzgeber also auf ein Opt-Out-Verfahren, was eine grundsätzliche Umkehr von dem zuvor verfolgten Einwilligungskonzept darstellt.

Die Datenübertragung soll zukünftig eine der Grundlagen für einen digital unterstützten Medikationsprozess bilden. Zusammen mit weiteren Informationen, etwa zu Allergien, Unverträglichkeiten und Schwangerschaften, werden die Daten den Arztpraxen (sofern der Patient nicht widerspricht) zugänglich gemacht und dadurch bei der Arzneimittelverordnung berücksichtigt werden. Damit verspricht das Zusammenspiel von E-Rezept und ePA nicht nur einen Mehrwert für eine zielführende Therapie unter Vermeidung von Doppelverordnungen sowie eine Verbesserung der Arzneimittelsicherheit, da der Arzt die Wechselwirkungen mit etwaigen bereits verordneten Arzneimitteln oder Vorerkrankungen besser beurteilen kann. Die Gesellschaft für Telematik (gematik) erhält weitere Kompetenzen und Aufgaben mit Blick auf die Ausgestaltung des E-Rezepts sowie bei der Weiterentwicklung der ePA.

Das E-Rezept erfasst bisher nur verschreibungspflichtige Arzneimittel

Perspektivisch wird das E-Rezept alle Arten von Arzneimitteln erfassen. Derzeit fallen lediglich verschreibungspflichtige Arzneimittel darunter; der Anwendungsbereich des E-Rezepts soll jedoch schrittweise ausgeweitet werden. Dazu enthält § 360 SGB V – die zentrale gesetzliche Regelung zum E-Rezept – Fristen. Weil sich die verbindliche Einführung des E-Rezepts verzögert hat, werden diese Fristen durch das Gesetz im Rahmen des neuen § 360 SGB V nun jedoch noch einmal angepasst. Die Zeitpunkte der Erweiterung des E-Rezepts auf andere Leistungen zeigt die nachfolgende Übersicht:

Zeitplan E-Rezept

 

Zwischenfazit E-Rezept

Das E-Rezept wird das Ausstellen, Übermitteln und Einlösen von Rezepten im Behandlungsalltag vereinfachen. Profitieren dürften vom E-Rezept aber auch Online-Apotheken und Apotheken-Plattformen sowie Logistik-Dienstleister, die eine zeitnahe Direktlieferung zu den Patienten für Apotheken anbieten. 

Bislang spielte das E-Rezept insoweit praktisch kaum eine Rolle und konnte deshalb auch keinen spürbaren Beitrag für eine moderne und kundenorientierte Arzneimittelversorgung liefern. Die Verbesserungen mit Blick auch auf den Einsatz telemedizinischer Anwendungen werden die noch junge Branche weiter beleben. 

2. Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) und Telemedizin

Im Rahmen des DigiG werden zudem die regulatorischen Vorgaben für die sogenannten Apps auf Rezept maßgeblich verändert. In dem folgenden Abschnitt werden die wichtigsten geplanten Neuerungen für Versicherte und DiGA-Hersteller vorgestellt. Auch für telemedizinische Anwendungen gibt es einige regulatorische Verbesserungen. 

DiGAs als innovativer Bestandteil der Regelversorgung

Mit dem Digitale-Versorgungs-Gesetz (DVG) wurden 2019 die Weichen für die Einbindung von DiGAs in die Regelversorgung in Deutschland gestellt. In der Folge hat sich in diesem Bereich eine innovative Branche digitaler Medizinproduktehersteller herausgebildet. Derzeit werden 56 Apps im offiziellen DiGA-Register des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte geführt. Sechs Anwendungen, die bereits (vorläufig) als DiGAs zugelassen waren, wurden zwischenzeitlich aus dem Verzeichnis gestrichen – entweder auf Antrag des Herstellers oder, da kein positiver Versorgungseffekt nachgewiesen werden konnte. 

Die folgenden Regelungen im DigiG zielen darauf ab, dass DiGAs künftig eine noch größere in der Gesundheitsversorgung spielen. 

DiGAs nunmehr anderen Heil- und Hilfsmitteln gleichgestellt

Gesetzlich werden DiGAs nunmehr anderen Heil- und Hilfsmitteln gleichgestellt. Patienten haben künftig einen Anspruch auf die Nutzung der DiGAs.

Nutzungsmöglichkeit innerhalb von zwei Arbeitstagen

In Zukunft ist durch die Kassen zu gewährleisten, dass in der Regel innerhalb von zwei Arbeitstagen nach Eingang der Verordnung eine Nutzung der DiGA durch den Versicherten möglich ist. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen darf von dieser Frist abgewichen werden. Ein Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen ist nicht vorgesehen. Auch die Schaffung eines faktischen Genehmigungsvorbehalts durch die Krankenkassen ist unzulässig. Die rasche, zeitnahe Versorgung soll durch Vorbehalte dieser Art gerade nicht gefährdet werden.

DiGAs höherer Risikoklassen möglich

Nach aktueller Rechtslage sind lediglich digitale Medizinprodukte der Risikoklasse I (entsprechend der Klassifizierungsregeln des Anhangs VIII der Medical Device Regulation – MDR) geeignet, als DiGAs verschreibungsfähig zu werden. Durch das DigiG wird der gesetzliche Leistungsanspruch auf DiGAs künftig auch auf höhere Risikoklassen – nämlich solche der Risikoklasse IIb – ausgeweitet. Mit dieser Ausweitung werden DiGAs künftig auch für komplexere Behandlungsprozesse – z.B. für das Telemonitoring – genutzt werden können. Hier bieten sich ganz neue Geschäftsfelder für DiGA-Entwickler.

Konsequenterweise ist bei der Zulassung von DiGAs höherer Risikoklassen der Nachweis eines medizinischen Nutzens notwendig. Der Nachweis eines positiven Versorgungseffektes reicht nicht mehr.

„Begleit-Apps“ nicht erfasst

Der Anwendungsbereich der DiGAs wird andererseits begrenzt: Anwendungen, die nur der Steuerung von therapeutischen Produkten dienen, scheiden als zulassungsfähige DiGAs genauso aus wie Apps, die (fest) an ganz bestimmte Hilfs- oder Arzneimittel gekoppelt sind.

Erfolgsabhängige Preisgestaltung soll verpflichtend werden

Die zulässige Preisgestaltung für DiGAs wird verändert, indem diese stärker an Erfolgskriterien ausgerichtet werden soll. So ist vorgesehen, dass der Anteil erfolgsabhängiger Preisbestandteile mindestens 20 Prozent des Vergütungsbetrags umfassen muss. Für DiGAs mit bereits bestehender Preisvereinbarung wird es Übergangsfristen geben. Details der Ausgestaltung der künftigen Preisbildung sind noch offen. 

Erlöschen des Vergütungsanspruchs abhängig vom Patientenverhalten nicht mehr im DigiG

Im Referentenentwurf des DigiG war noch vorgesehen, dass der Anspruch eines DiGA-Herstellers auf die Vergütung entfallen soll, wenn der Versicherte innerhalb von 14 Tagen nach erstmaliger Nutzung der DiGA erklärt, die App nicht dauerhaft zu nutzen. Diese Neuregelung, die erhebliche Unsicherheiten für DiGA-Hersteller mit sich gebracht hätte, wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens nach starker Kritik gestrichen. 

Ausweitung des Zuweisungs- und Abspracheverbots

Das bereits bestehende sog. Zuweisungs- und Abspracheverbot wird ausgeweitet. Künftig sollen DiGA-Hersteller mit Herstellern von Arzneimitteln oder Hilfsmitteln keine Rechtsgeschäfte vornehmen oder Absprachen treffen dürfen, die geeignet sind, die Wahlfreiheit der Versicherten bei der Auswahl der Arzneimittel oder Hilfsmittel zu beschränken. Damit will die Bundesregierung verhindern, dass sog. Lock-in-Effekte auftreten. Das heißt, dass es künftig unzulässig sein wird, DiGAs zu konzipieren, die auf die Begleitung einer Therapie mit nur einem bestimmten Arzneimittel oder Hilfsmittel zugeschnitten sind. 

Leihweise Zurverfügungstellung technischer Geräte 

DiGA-Hersteller müssen den Versicherten künftig im Einzelfall die erforderliche technische Ausstattung zur Nutzung ihrer DiGA leihweise zur Verfügung stellen. Damit soll zum Zwecke der Kostenreduktion und zur Stärkung der Nachhaltigkeit sichergestellt werden, dass kostenintensive begleitende Hardware zukünftig auf dem Leihwege zur Verfügung gestellt wird. Welche konkreten Fälle dies umfasst, ist noch offen.

DiGAs in der Schwangerschaft

DiGAs sollen anderen Heil- und Hilfsmitteln als Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft gleichgestellt werden, sodass künftig ein Anspruch auf die Nutzung auch von entsprechenden DiGAs während der Schwanger- und Mutterschaft besteht.

Authentifizierung des Versicherten

Die Versicherten sollen selbst entscheiden können, auf welchem Authentifizierungsniveau der DiGA-Zugang erfolgt. Auf Wunsch kann auch ein niedrigeres Authentifizierungsniveau gewählt werden.

DiGA-Monitoring

Für alle im Verzeichnis gelisteten DiGAs wird eine anwendungsbegleitende Erfolgsmessung verpflichtend vorgegeben, deren Ergebnisse fortlaufend an das BfArM gemeldet und im Verzeichnis ab dem 1. Januar 2026 veröffentlicht werden. Von dem Ergebnis der anwendungsbegleitenden Erfolgsmessung hängt – wie bereits erwähnt – künftig auch ein Teil der Vergütung der DiGA-Hersteller ab.

Aufbruch für Telemedizin

Zudem werden telemedizinische Anwendungen künftig fester Bestandteil der Gesundheitsversorgung. Aus diesem Grund wurden die bisher geltenden Mengenbegrenzungen mit dem DigiG aufgehoben. Vertragsärztinnen und Vertragsärzte können nach Umsetzung durch die ärztliche Selbstverwaltung Videosprechstunden noch flexibler und umfassender Einsetzen. 

Mit der assistierten Telemedizin in Apotheken soll zudem ein niedrigschwelliger Zugang zur Versorgung geschaffen werden. Außerdem wird nun die Erbringung telemedizinischer Leistungen durch Einrichtungen wie Hochschulambulanzen oder Psychiatrische Institutsambulanzen sowie psychotherapeutische Sprechstunden ermöglicht. 

Die Rahmenbedingungen für Patienten wie Telemedizinanbieter werden dadurch insgesamt verbessert. 

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