Healthcare und Life Sciences

BMG-Referentenentwurf zur Anpassung des Medizinproduktrechts

Ab dem 26. Mai 2020 ist die Verordnung über Medizinprodukte (EU 2017/745 Medical Device Regulation – MDR) in der EU verbindlich anzuwenden und ersetzt die zuvor geltenden nationalen Medizinproduktgesetze. Die Verordnungen erfordern allerdings an vielen Stellen Umsetzungsregeln und Konkretisierungen durch die Mitgliedstaaten.

Am 29. August 2019 hat das Bundesgesundheitsministerium hierzu den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der deutschen Medizinproduktregelungen an die MDR vorgestellt (MPAnpG-E, hier abrufbar).

Dr. Enno Burk, Counsel bei Gleiss Lutz und spezialisiert im Medizinprodukt- und Pharmarecht, erläutert die wichtigsten Inhalte des Entwurfs.

Worum geht es?

Kernbestandteil des Entwurfs ist das neue Medizinprodukte-Durchführungsgesetz (MDG), welches auf den Regelungen der MDR basiert und das bisherige MPG zum 26.05.2020 ersetzt. Der jetzt vom BMG vorgestellt Entwurf soll die reibungslose Anwendung der MDR zum 26.05.2020 ermöglichen. Mit Geltungsbeginn der Verordnung über In-Vitro Diagnostika ((EU) 2017/747, IVDR) am 20. Mai 2022 wird der Anwendungsbereich des MDG auch auf In-Vitro-Diagnostika ausgedehnt.

Die wichtigsten Neuerungen des Entwurfs und ihre Auswirkungen

1. Ausnahme von der CE-Zertifizierung – Sonderzulassung von Medizinprodukten durch die zuständige Bundesoberbehörde

  • Mit der MDR steigen die Anforderungen für eine positive Konformitätsbewertung insbesondere bei Hochrisikomedizinprodukten der Klasse III. Hierauf wird mit der Möglichkeit nationaler Sonderzulassungen von Medizinprodukten in § 5 MDG i.V.m. Art. 59 Abs. 1 MDR reagiert, die das Konformitätsbewertungsverfahren noch nicht durchlaufen haben.
  • Das BMG erwartet, dass zukünftig wesentlich häufiger Sonderzulassungen erteilt werden müssen, weil insbesondere bei Medizinprodukten für seltene Erkrankungen die klinischen Nachweise für eine erfolgreiche Konformitätsbewertung nach den strengeren Anforderungen der MDR noch nicht vorhanden sein werden.
  • Die Zulassungsverfahren werden vom Bundesgesundheitsministerium in einer Verordnung festgelegt, welche auch die Aufgaben der zuständigen Bundesoberbehörden über die vorzulegenden Nachweise ausgestalten soll.

Die Sonderzulassung kann eine Alternative für Anbieter dringend benötigter Medizinprodukte sein, um ihre Produkte rasch auf den Markt zu bringen und um Daten für die erfolgreiche Konformitätsbewertung zu sammeln.

2. Klassifizierung von Medizinprodukten bei Meinungsverschiedenheiten

  • Meinungsverschiedenheiten zwischen einem Hersteller und seiner benannten Stelle über die Klassifizierung eines Medizinprodukts sind dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als ausschließlich hierfür zuständige Bundesoberbehörde zur Entscheidung vorzulegen (§ 9 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 Nr. 1 MDG). Auf Antrag entscheidet das BfArM über die Klassifizierung des Medizinprodukts bzw. seinen rechtlichen Status.

Dieses Verfahren dürfte angesichts der absehbaren Unsicherheit bei der Klassifizierung von Medizinprodukten in die Risikoklassen der MDR praktisch an Bedeutung gewinnen.

3. Aufbewahrungspflicht von Dokumenten auch nach Geschäftsaufgabe oder Insolvenz

  • Neu ist, dass § 11 Abs. 1 MDG die Anbieter von Medizinprodukten verpflichtet, die regulatorische Dokumentation auch bei Beendigung der Geschäftstätigkeit für die in der MDR genannten Aufbewahrungsfristen bereitzuhalten. Dies gilt auch im Falle der Insolvenz. Näheres wird in einer Verordnung vom Bundesgesundheitsministeriums auf Grundlage von § 11 Abs. 3 MDG geregelt.
  • Die Verordnung kann auch bestimmen, dass die Hersteller, Sponsoren oder sonstige Verantwortliche durch die Verordnung verpflichtet werden können, gemeinsam eine Hinterlegungsstelle einzurichten und zu unterhalten haben, die für den Fall der Beendigung ihrer jeweiligen Geschäftstätigkeiten die geordnete Aufbewahrung von Unterlagen sicherstellt. Vergleichbare Dokumentationserfordernisse gab es bislang nicht.

4. Ergänzende Anforderungen für klinische Prüfungen von Medizinprodukten

  • Die §§ 17 ff. MDG enthalten ergänzende nationale Anforderungen für die Durchführung klinischer Prüfungen, insbesondere Regeln für die Genehmigung klinischer Prüfungen und – bei Prüfungen weniger risikoträchtiger Produkte – ihrer vorherigen Anzeige bei den zuständigen Bundesbehörden. § 19 MDG regelt das Verfahren vor der Ethik-Kommission, deren Zustimmung zur klinischen Prüfung weiterhin regelmäßig erforderlich ist.
  • Neu geschaffen wird die Sonderkategorie der „sonstigen klinischen Prüfung“. Eine „sonstige klinische Prüfung“ ist gemäß § 3 Abs. 4 MDG eine klinische Prüfung, die nicht Teil eines systematischen und geplanten Prozesses zur Produktentwicklung oder der Produktbeobachtung eines gegenwärtigen oder künftigen Herstellers ist und die nicht mit dem Ziel durchgeführt wird, die Konformität eines Produkts mit den Anforderungen der MDR nachzuweisen.  

5. Zentrale Zuständigkeit des Bundes für die Medizinprodukt-Überwachung

  • § 38 Abs. 1 MDG legt fest, dass es den zuständigen Bundesoberbehörden (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukt –BfArM, Paul-Ehrlich-Institut – PEI) obliegt, die nach der MDR den mitgliedstaatlichen Behörden zugewiesenen Vigilanz-Aufgaben zentral zu erfüllen, um eine zentrale Bewertung von Meldungen über schwerwiegende Vorkommnisse und Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld sicherzustellen.

6. Bundeszuständigkeit für Maßnahmen zur Gefahrenabwehr

  • §§ 44, 45 MDG normieren eine Abkehr von dem bisherigen Konzept der Aufgabenverteilung zwischen den Bundesoberbehörden und den zuständigen Behörden der Länder in Bezug auf die Risikoabwehr. Bislang sind die Bundesoberbehörden zuständig für die zentrale Erfassung und Bewertung von Vorkommnismeldungen, während die Anwendung von Maßnahmen zur Abwehr der Risiken den zuständigen Behörden der Länder obliegt, welche über die notwendigen Maßnahmen entscheiden.
  • Nach dem MDG übermittelt die nach Landesrecht zuständige Überwachungsbehörde bei begründetem Verdacht auf ein von einem Produkt ausgehendes unvertretbares Risiko den Vorgang zur Durchführung einer Risikobewertung an die zuständige Bundesoberbehörde.
  • Die Bundesoberbehörde ordnet dann gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 MDG die zum Gesundheitsschutz erforderlichen Maßnahmen selbst an (etwa öffentliche Warnungen, eine Anordnung des Produktrückrufs oder ein Verbot des Inverkehrbringens, § 45 Abs. 2 MDG).
  • Bei Gefahr im Verzug kann die zuständige Landesbehörde weiterhin alle Maßnahmen treffen, die zum Schutz der Gesundheit oder Sicherheit von Patienten oder sonstigen Personen erforderlich sind.

Ob die Bundesländer verfassungsrechtliche Einwände gegen die Übertragung ihrer Verwaltungszuständigkeit erheben, wird das weitere Gesetzgebungsverfahren zeigen.

7. Überwachung der Hersteller und Anbieter von Medizinprodukten

  • Gemäß § 42 Abs. 1 MDG unterliegen Betriebe und Einrichtungen, die Medizinprodukte herstellen, in Verkehr bringen oder mit ihnen umgehen, der Überwachung. Die Einzelheiten werden in einer Verwaltungsvorschrift niedergelegt, die Zuständigkeit verbleibt bei den Landesbehörden.
  • § 42 Abs. 3 MDG schreibt nunmehr ausdrücklich fest, dass die zuständigen Behörden über die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendige personelle und sachliche Ausstattung verfügen und für eine hinreichende Fortbildung der überwachenden Mitarbeiter sorgen müssen.

8. Einführung des DMIDS (Deutsches Informations- und Datenbanksystem über Medizinprodukte)

  • Das Deutsche Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) soll das bislang betriebene Informationssystem für Medizinprodukte den Anforderungen der MDR anpassen. Das neue „Deutsche Informations- und Datenbanksystem über Medizinprodukte“ (DMIDS) soll bis spätesten 31.12.2021 voll funktionsfähig sein und den Datenaustausch mit der europäischen Datenbank für Medizinprodukte (EUDAMED) gewährleisten.
  • Das nationale Datenbanksystem soll grundsätzlich nur Behörden zugänglich sein. Zugriffsrechte sind auch für professionell tätige Dritte wie benannte Stellen vorgesehen. Ein freier Informationszugang von Anwendern und Patienten ist nicht geplant. Näheres wird in einer noch zu erlassenden Verordnung durch das Bundesgesundheitsministerium geregelt.
  • Sollte sich die Einführung der zentralen europäischen Medizinproduktedatenbank EUDAMED oder von DMIDS verzögern, kann das Bundesgesundheitsministerium bekannt machen, wie die Mitteilungspflichten übergangsweise erfüllt werden können.

9. Strafvorschriften im MDG

  • Die §§ 59 ff. MDG enthalten unterschiedliche Strafvorschriften, die insbesondere Freiheits- und Geldstrafen im Falle des Inverkehrbringens, Herstellens oder Lagerns potenziell unsicherer und gesundheitsgefährdender Produkte vorsehen. Das Gleiche gilt bei gefälschten Produkten, gefälschtem Zubehör zu Medizinprodukten oder Komponenten.
  • Abhängig von der Schwere der Fälle kann bei vorsätzlicher Begehung eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe verhängt werden. Die fahrlässige Begehung ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bewehrt.
  • Weitere Vorschriften regeln die Strafen bei Durchführung klinischer Prüfungen von Medizinprodukten ohne Einholung der erforderlichen Genehmigung oder ohne vorherige Anzeige bei der zuständigen Behörde. Praktisch relevant ist auch die Strafbarkeit irreführender Angaben in der Medizinproduktwerbung, welche neben die wettbewerbsrechtlichen Konsequenzen (insbesondere Unterlassungsanspruch) tritt. Daneben werden weniger schwerwiegende Rechtsverstöße als Ordnungswidrigkeiten sanktioniert.

10. Kein verbindlicher Haftpflichtversicherungsschutz für Medizinprodukthersteller

  • Der Entwurf sieht keine Deckungsvorsorge mit bestimmten Mindestdeckungssummen für Medizinproduktehersteller vor. Es gilt weiterhin die allgemeine Regelung in Art. 10 Abs. 16 Unterabsatz 2 MDR, die den Herstellern lediglich vorschreibt, dass sie angemessene Vorkehrungen für potenzielle Haftungsfälle zu treffen haben.

Wie geht es weiter?

Das Gesetz bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Insbesondere die Zentralisierung der Zuständigkeiten bei der Medizinproduktüberwachung auf Bundesebene dürfte wegen des damit einhergehenden Kompetenzverlusts der Landesbehörden zu Diskussionen führen. Von Branchenverbänden wurde bereits die Befürchtung geäußert, die personelle Ausstattung der Bundesbehörden seien für die gewachsenen Aufgaben unzureichend.

Derzeit liegt der Referentenentwurf bei den anderen Ressorts zur Abstimmung. Es ist zu erwarten, dass das Bundesgesundheitsministerium die Abstimmung und das Gesetzgebungsverfahren trotz absehbarer Bedenken forcieren wird, damit am 26.05.2020 bei Inkrafttreten der MDR ein funktionsfähiges Regelungsgerüst vorhanden ist.

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