Arbeitsrecht

Ausschluss des Konzernprivilegs bei Arbeitnehmerüberlassung

Das BAG entschied mit Urteil vom 12. November 2024 – 9 AZR 13/24, dass die Anwendung des Konzernprivilegs nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG auch dann ausgeschlossen sei, wenn der Arbeitnehmer zwar nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt wurde, sich sein späterer Einsatz in einem Konzernunternehmen jedoch als Beschäftigung zum Zweck der Überlassung erweise. Nach Ansicht des BAG reicht es aus, dass entweder die Einstellung „oder“ die Beschäftigung Überlassungszwecken dient.

Sachverhalt 

Der Kläger war bei der S-GmbH als Sitzfertiger angestellt. Seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit verrichtete er auf dem Werksgelände der mit der S-GmbH konzernverbundenen Beklagten. Der Kläger behauptet, auf dem Gelände der Beklagten in einen von dieser organisierten Arbeitsprozess eingegliedert gewesen zu sein. Er habe von den Mitarbeitern der Beklagten Weisungen hinsichtlich der Erbringung seiner Arbeitsleistung erhalten. Der Kläger beantragte festzustellen, dass zwischen ihm und der Beklagten aufgrund einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei. Die Beklagte behauptete, der Kläger sei aufgrund einer werkvertraglichen Vereinbarung zwischen ihr und der S-GmbH tätig geworden. Zudem berief sie sich auf das Konzernprivileg des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG, nach dem eine Anwendung des AÜG zwischen Konzernunternehmen ausscheidet, wenn „der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird“. Beide Vorinstanzen wiesen die Klage unter Verweis auf das Konzernprivileg ab. Dessen Anwendung sei nur ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer kumulativ zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt werde.

Die Entscheidung

Das BAG hob die Entscheidung des LAG auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Das Konzernprivileg ist nach Ansicht des BAG nicht nur dann ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer kumulativ zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird. Für einen Ausschluss sei ausreichend, dass alternativ entweder die Einstellung „oder“ die Beschäftigung Überlassungszwecken diene. Das ergebe eine dem Sinn und Zweck der Vorschrift und dem Willen des historischen Gesetzgebers entsprechende Auslegung der Vorschrift.

  • Die im Wortlaut des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG verwendete Konjunktion „und“ stehe dem nicht entgegen. Sie bedinge nicht zwingend ein kumulatives Verständnis, sondern könne auch eine Aufzählung oder Aneinanderreihung ausdrücken.
  • Ein alternatives Verständnis entspreche dem Willen des historischen Gesetzgebers. Im Gesetzgebungsverfahren sei ursprünglich allein ein Ausschluss bei einer Einstellung zu Überlassungszwecken vorgesehen gewesen. Die Beschäftigung zum Zwecke der Überlassung sei erst später eingefügt worden. Dies habe nach dem Willen des Gesetzgebers eine Umgehung des Konzernprivilegs verhindern sollen, indem der Arbeitsvertrag nach der Einstellung geändert und der Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung als Leiharbeitnehmer beschäftigt werde.
  • Die Rechtsfolgen des AÜG werden nach dessen Systematik regelmäßig nicht durch die vertragliche, sondern durch die tatsächliche Überlassung ausgelöst. Der Anwendungsbereich des AÜG sei unabhängig davon eröffnet, ob der Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung an Dritte eingestellt worden sei. Dadurch solle die praktische Wirksamkeit des durch das AÜG vermittelten Schutzes gewährleistet werden.
  • Entgegen der Auffassung des LAG geht das BAG davon aus, dass dem Konzernprivileg auch bei einem alternativen Begriffsverständnis von Einstellung und Beschäftigung zum Zweck der Überlassung ein eigenständiger Anwendungsbereich verbleibe. Das Vorliegen einer Einstellung und/oder Beschäftigung zum Zweck der Überlassung sei anhand des Arbeitsvertrages oder einer Gesamtbetrachtung der Umstände der Beschäftigung festzustellen. Eine Einstellung zum Zweck der Überlassung liege bspw. vor, wenn der Arbeitsvertrag als Leiharbeitsvertrag bezeichnet bzw. ausgestaltet sei oder der Arbeitnehmer direkt nach der Einstellung an ein Konzernunternehmen verliehen werde. Eine Beschäftigung zum Zweck der Überlassung könne bspw. dann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer regelmäßig oder für einen außergewöhnlich langen Zeitraum an Dritte überlassen werde oder die Überlassung der Erledigung regelmäßig beim Entleiher anfallender Aufgaben diene.

Gleiss Lutz kommentiert

Das BAG schafft Klarheit für die Reichweite des Konzernprivilegs des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG. Zu der umstrittenen Frage der Europarechtskonformität des Konzernprivilegs äußerte sich das BAG mangels Entscheidungserheblichkeit jedoch nicht. Die Entscheidung scheint mit einer restriktiven Anwendung des Konzernprivilegs und seinem größtmöglichen Ausschluss den europarechtlichen Konflikt der Vorschrift für die Praxis entschärfen zu wollen. Gleichwohl verpasst das BAG die Gelegenheit, durch eine Stellungnahme zur Europarechtskonformität des Konzernprivilegs in einem obiter dictum mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Unternehmen, die mit erlaubnisfreier Arbeitnehmerüberlassung im Konzern arbeiten, sollten zur Vermeidung von unerwünschten arbeitsrechtlichen Folgen oder Bußgeldern sorgfältig prüfen, ob die Einstellung und/oder die Beschäftigung zum Zweck der Überlassung erfolgt.

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