Arbeitsrecht

Anspruch auf Zuschläge für freigestellte Betriebsratsmitglieder?

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied bereits im Jahr 2016, dass freigestellten Betriebsratsmitgliedern Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonn,- und Feiertagsarbeit unter bestimmten Umständen gem. § 37 Abs. 2 BetrVG nicht zu zahlen sind. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen entwickelt diese Rechtsprechung in seiner Entscheidung vom 13. Juni 2023 (Az. 12 Sa 1293/22) nun weiter.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Zahlung von Wechselschichtzulagen sowie um die Höhe einer Zulagenpauschale, die bei dem Beklagten tarifvertraglich bezahlt wird (sog. „Funktionszulage“). Der Beklagte ist ein gemeinnütziger Verein, der unter anderem einen Rettungsdienst betreibt. Der Kläger ist dort seit 2013 als Notfallsanitäter beschäftigt. Der Kläger ist freigestelltes Mitglied des Betriebsrats. Vor Beginn der Freistellung war der Kläger ausschließlich in Wechselschicht tätig. Die Betriebsratstätigkeiten führt der Kläger regelmäßig zu üblichen Bürozeiten von Montag bis Freitag aus, in denen er Zuschläge für Nacht-, sowie Sonn- und Feiertagsarbeit und eine Rufbereitschaftspauschale nicht verdienen kann. Er führt die Betriebsratstätigkeit auch nicht in Wechselschicht aus. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Wechselschichtzulage und die Funktionszulage stünden ihm während seiner Freistellung in voller Höhe zu. Wäre er nämlich nicht freigestellt, wäre er vollständig in das Schichtsystem der Beklagten integriert und würde dementsprechend die Zuschläge erhalten. Sein Anspruch ergäbe sich insbesondere aus § 37 Abs. 2 und Abs. 4 BetrVG. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das LAG Hessen bestätigte dies und wies die Berufung zurück. Eine Revision vor dem BAG ist anhängig.

Die Entscheidung

Das LAG Hessen stellt zunächst mit Verweis auf die BAG-Rechtsprechung (BAG vom 18. Mai 2016   7 AZR 401/14) fest, dass § 37 Abs. 2 BetrVG keinen eigenständigen Vergütungsanspruch begründet, sondern den Entgeltanspruch des Betriebsratsmitglieds aus § 611a Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag sowie dem ggf. anzuwendenden Tarifvertrag sichert. Das Verbot der Minderung des Arbeitsentgelts bedeute, dass dem Betriebsratsmitglied das Arbeitsentgelt weiterzuzahlen sei, das es verdient hätte, wenn es keine Betriebsratstätigkeit geleistet, sondern gearbeitet hätte. Das Arbeitsentgelt ist nach dem Lohnausfallprinzip fortzuzahlen. Dabei gehören zum Arbeitsentgelt grundsätzlich alle Vergütungsbestandteile, d.h. neben der Grundvergütung auch Zuschläge für Mehr-, Über-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit. Diese werden für die Erschwernis der Arbeit zu ungünstigen Zeiten gewährt und dienen nicht dem Ersatz von tatsächlichen Mehraufwendungen, die dem Arbeitnehmer bei der Erbringung der Arbeitsleistung entstehen.

Nach Ansicht des LAG Hessen stehen dem Kläger für die Zeit seiner Betriebsratstätigkeit weder die Funktions- noch die Wechselschichtzulage zu, weil er die Betriebsratstätigkeit zu Zeiten erbrachte, zu welchen die Zulagen nicht zu zahlen seien. Er verrichtete die Betriebsratstätigkeiten weder in Wechselschicht, noch sei er im Rahmen seiner Freistellung nachts oder an Sonn- oder an Feiertagen tätig geworden. Auch habe er sich nicht in Rufbereitschaft befunden. Der Umstand, dass der Kläger die entsprechenden Zulagen im Rahmen seiner Betriebsratstätigkeit nicht erhält, beruhe ferner nicht auf seiner Freistellung, sondern darauf, dass er die Betriebsratstätigkeiten nur zu üblichen Geschäftszeiten ausführe. Im Gegensatz zu dem vom BAG beschiedenen Sachverhalt des Rechtsstreits 7 AZR 401/14 habe es zwar vorliegend keine ausdrückliche Vereinbarung zwischen den Parteien gegeben, wonach der Kläger für die Dauer seiner Freistellung nur zu den üblichen Geschäftszeiten Betriebsratstätigkeiten erbringen soll, hierauf komme es jedoch auch nicht entscheidend an. Maßgebend sei, dass der Kläger diese Zeiten eigenverantwortlich wählt; er sei für die geänderte Arbeitszeitlage verantwortlich.

Der geltend gemachte Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 78 S. 2 BetrVG. Zwar erhalte der Kläger im Gegensatz zu seinen Kollegen, die im Wechselschichtsystem tätig sind, die Wechselschicht- und Funktionszulagen nicht, allerdings sei er mit diesen Mitarbeitern auch nicht vergleichbar. Die besonderen Erschwernisse und Belastungen, die durch die Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, die Rufbereitschaft und das Wechselschichtsystem ausgelöst werden, träfen ihn nicht. Ganz im Gegenteil: Die Zahlung der Zulagen an den Kläger für Freistellungszeiten während der üblichen Geschäftszeiten würden diesen nach Auffassung des LAG Hessen gegenüber den anderen Mitarbeitern sogar besserstellen. Nach § 78 S. 2 BetrVG dürfen Mitglieder des Betriebsrats wegen ihrer Tätigkeit jedoch weder benachteiligt noch begünstigt werden.

Praxishinweis

Das BAG entschied zuletzt im Jahr 2016, dass Nachtarbeitszuschläge für ein Betriebsratsmitglied, das außerhalb der Nachtarbeitsstunden Betriebsratsaufgaben wahrnimmt, nach § 37 Abs. 2 BetrVG nicht zu gewähren sind, wenn es vor der Amtsübernahme Nachtarbeit geleistet hat und seine Arbeitszeit anlässlich der Amtsübernahme einvernehmlich auf die Tagarbeitsstunden verschoben wurde (Urteil vom 18. Mai 2016 – 7 AZR 401/14). Vorliegend gab es im Gegensatz zu dem vom BAG entschiedenen Fall zwar keine ausdrückliche Vereinbarung zwischen den Parteien, dass der Kläger für die Dauer seiner Freistellung nur zu den üblichen Geschäftszeiten Betriebsratstätigkeiten erbringen soll, hierauf kommt es aus Sicht des LAG Hessen jedoch nicht entscheidend an. Maßgebend sei vielmehr, dass der Kläger die Zeiten eigenverantwortlich gewählt habe und damit für die geänderte Arbeitszeitlage verantwortlich sei. Darüber hinaus unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von dem BAG-Urteil im Jahre 2016 darin, dass der Kläger gem. § 38 BetrVG vollständig freigestellt war. Das LAG Hessen knüpft hieran in der Sache keine unterschiedliche Bewertung.

Mit dieser Entscheidung geht das LAG Hessen über die BAG-Entscheidung aus dem Jahr 2016 hinaus und hebt sich zugleich von anderen LAG-Entscheidungen ab (vgl. LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. September 2019 – 19 Sa 15/19, kritisch auch bzgl. der vollständigen Freistellung nach § 38 BetrVG). Es bleibt abzuwarten, ob sich das BAG den Ausführungen des LAG im Rahmen der bereits anhängigen Revision anschließen wird. In jedem Fall wird die zu erwartende Entscheidung für die Praxis ein wichtiger Wegweiser sein. Erst kürzlich beschloss die Bundesregierung den Gesetzesentwurf zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes hinsichtlich der Vorschriften über die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern (Beitrag vom 27. November 2023). Die Entscheidung des LAG Hessen reiht sich damit in ein äußerst aktuelles Thema ein.
 

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