Die Bundesregierung hat am 1. November 2023 einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) beschlossen. Damit sollen in der Praxis bestehende Rechtsunsicherheiten bei der Festsetzung der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern beseitigt werden. Welche Änderungen vorgesehen sind, lesen Sie in diesem Beitrag.
Hintergrund
In der Praxis führte zuletzt das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10. Januar 2023 (6 StR 133/22) zur Frage der Strafbarkeit wegen Untreue bei Verstößen gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot vermehrt zu Rechtsunsicherheiten bei der Anwendung der sich aus § 37 Abs. 4 und § 78 BetrVG ergebenden Grundsätze. Der BGH stellte fest, dass der Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB erfüllt sein kann, wenn ein Vorstand oder Prokurist einer Aktiengesellschaft unter Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot einem Mitglied des Betriebsrats ein überhöhtes Arbeitsentgelt gewährt.
Der „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes“ der Bundesregierung soll nun Klarheit schaffen. Ausweislich der Gesetzesbegründung bezog sich der BGH in seiner Urteilsbegründung auch auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), dabei seien aber nicht alle Aspekte zur Bestimmung der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern deutlich geworden. Infolge der sich hieraus ergebenden Rechtsunsicherheiten hätten Unternehmen vermehrt präventiv die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern gekürzt. Um negative Folgen für die betriebliche Mitbestimmung künftig auszuschließen und das Risiko von Verstößen gegen das betriebsverfassungsrechtliche Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot zu reduzieren, bildete das Bundesarbeitsministerium (BMAS) eine Expertenkommission, bestehend aus dem Präsidenten des BSG Prof. Dr. Rainer Schlegel, der ehemaligen Präsidentin des BAG Ingrid Schmidt und Prof. Dr. Gregor Thüsing, Direktor des Lehrstuhls für Arbeitsrecht am Institut für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit in Bonn. Ende September 2023 unterbreitete die Kommission schließlich einen Vorschlag zur Änderung des BetrVG, der sich nahezu identisch im Gesetzesentwurf der Bundesregierung wiederfindet. Vorgesehen sind Ergänzungen der § 37 Abs. 4 und § 78 BetrVG. Neue oder zusätzliche Entgeltansprüche werden nicht geschaffen.
Wesentlicher Inhalt der vorgesehenen Gesetzesänderung
Dem § 37 Abs. 4 BetrVG werden die Sätze 3 bis 5 angefügt, in denen es heißt:
- „Zur Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer nach Satz 1 ist auf den Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamts abzustellen, soweit nicht ein sachlicher Grund für eine spätere Neubestimmung vorliegt. Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer regeln. Die Konkretisierung der Vergleichbarkeit in einer solchen Betriebsvereinbarung kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden; Gleiches gilt für die Festlegung der Vergleichspersonen, soweit sie einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erfolgt und in Textform dokumentiert ist.“
Der § 78 BetrVG soll um den folgenden Satz 3 ergänzt werden:
- „Eine Begünstigung oder Benachteiligung liegt im Hinblick auf das gezahlte Arbeitsentgelt nicht vor, wenn das Mitglied einer in Satz 1 genannten Vertretung in seiner Person die für die Gewährung des Arbeitsentgelts erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt.“
Im Einzelnen zu § 37 BetrVG
Nach § 37 Abs. 1 und 2 BetrVG handelt es sich bei dem Betriebsratsamt um ein unentgeltliches Ehrenamt. Betriebsratsmitglieder sind von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts im notwendigen Umfang zu befreien, um ihr Betriebsratsamt ausüben zu können. Während der Freistellung ist das Arbeitsentgelt nach dem Lohnausfallprinzip fortzuzahlen. Diese Grundsätze sollen auch durch die Änderung des BetrVG nicht angetastet werden. § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG konkretisiert das Benachteiligungsverbot gegenüber Betriebsratsmitgliedern gemäß § 78 S. 2 BetrVG in Form eines Mindestentgeltanspruchs. Danach darf die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung.
Zu den geplanten Änderungen, § 37 Abs. 4 S. 3 - 5 BetrVG-E:
- Mit Einführung des § 37 Abs. 4 S. 3 BetrVG-Änderungsentwurf (BetrVG-E) soll klargestellt werden, was nach ständiger Rechtsprechung des BAGs bereits galt: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung von Vergleichsgruppen ist derjenige der Amtsübernahme. Liegt ein sachlicher Grund vor, kann jedoch auch zu einem späteren Zeitpunkt eine Neubestimmung der Vergleichsgruppe erfolgen. In welchen Fällen ein solcher Grund vorliegt, wird nicht konkretisiert. In der Gesetzesbegründung wird mit Verweis auf das Urteil des BAG vom 23. November 2022 (7 AZR 122/22) als Beispiel der Fall eines beruflichen Aufstiegs eines Betriebsratsmitglieds genannt, das die Anforderungen einer höherdotierten Stelle erfüllt und mit dem Arbeitgeber einen entsprechenden Änderungsvertrag schließt. In einem solchen Fall soll es möglich sein, die Vergleichsgruppe aus sachlichem Grund neu zu bestimmen. Erhält das Betriebsratsmitglied kein solches Vertragsangebot, bliebe es bei der bisherigen Vergleichsgruppe, auch wenn darin eine Benachteiligung gem. § 78 S. 2 BetrVG liegen könne (dazu sogleich).
- Die Regelung des § 37 Abs. 4 S. 4 BetrVG-E soll – ebenfalls im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BAG – klarstellen, dass die Betriebsparteien in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer regeln können. Diese Betriebsvereinbarungen sollen nach Satz 5 künftig nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit gerichtlich überprüfbar sein. Gleiches soll für die einvernehmliche Festlegung konkreter Vergleichspersonen gelten, sofern sie durch Arbeitgeber und Betriebsrat in Textform (§ 126b BGB) festgehalten werden. Durch die Regelung soll ein Anreiz für die Betriebsparteien geschaffen werden, Vergleichsgruppen transparent festzulegen.
Im Einzelnen zu § 78 S. 2 BetrVG
§ 78 S. 2 BetrVG sieht ein umfassendes Benachteiligungs- sowie Begünstigungsverbot von Betriebsratsmitgliedern vor. Diese dürfen wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden, auch im Hinblick auf ihre berufliche Entwicklung. Der Arbeitgeber muss einem Betriebsratsmitglied die berufliche Entwicklung gewähren, die es ohne seine Amtstätigkeit durchlaufen hätte und das entsprechende Entgelt dazu zahlen. Daneben kann ein Betriebsratsmitglied, das nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen wäre, den Arbeitgeber nach ständiger Rechtsprechung des BAG auf Zahlung der höheren Vergütung nach § 611a BGB iVm. § 78 S. 2 BetrVG in Anspruch nehmen (sog. „fiktiver Beförderungsanspruch“).
Zu der geplanten Änderung, § 78 S. 3 BetrVG-E:
- Die durch die Rechtsprechung des BAG bereits vorgezeichneten Anspruchsvoraussetzungen einer solchen „fiktiven Beförderung“ sollen nun durch § 78 S. 3 BetrVG-E konkretisiert werden. Eine Benachteiligung oder Begünstigung im Hinblick auf das gezahlte Entgelt soll demnach nicht vorliegen, wenn der jeweilige Amtsträger in seiner Person die für die Gewährung des Entgelts erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt. Der Wortlaut der Regelung ist wenig aussagekräftig. Ausweislich der Gesetzesbegründung müssen hypothetische Gehalts- und Karriereentwicklungen im Rahmen der Ermessensentscheidung zutreffend berücksichtigt werden. Unternehmen können bei der Stellenbesetzung auch während der Amtstätigkeit erworbene Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen berücksichtigen, soweit sie im Unternehmen auch außerhalb des Betriebsratsamts für die jeweilige Stelle karriere- und vergütungsrelevant sind. Wiederum in Anlehnung an die Rechtsprechung (BGH, 6 StR 133/22) soll der Umstand, dass das Betriebsratsmitglied in seiner Amtstätigkeit "auf Augenhöhe verhandelt" oder in "unternehmerische Entscheidungskomplexe eingebunden" ist, nicht berücksichtigungsfähig sein, da dies in unzulässiger Weise an die Betriebsratstätigkeit anknüpfe. Existiert eine freie Stelle im Unternehmen, deren Anforderungsprofil das Betriebsratsmitglied erfüllt, könne es auf diese Stelle ohne Begünstigung versetzt werden. Gleiches gelte, wenn das Betriebsratsmitglied freigestellt ist; in diesem Fall müsse der Arbeitgeber die Stelle regelmäßig zusätzlich mit einem anderen Bewerber besetzen (sog. Doppelbesetzung).
Fazit
Der Gesetzesentwurf betrifft eine Thematik mit hoher praktischer Relevanz. Zahlreiche Betriebe und Unternehmen müssen sich regelmäßig mit der schwierigen Frage auseinandersetzen, wie die Betriebsratsvergütung auszugestalten ist. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung schafft in weiten Teilen Abhilfe. Er enthält viele Klarstellungen und setzt die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze um.
Zu begrüßen ist, dass der Gesetzesentwurf die Möglichkeit vorsieht, Vergleichsgruppen neu zu bestimmen. Damit kann auf tatsächliche Änderungen der für die Vergleichsgruppen relevanten Umstände besser reagiert werden. Für die Praxis bleibt abzuwarten, ob und in welchem Umfang Unternehmen hiervon tatsächlich Gebrauch machen werden. Auch die Begrenzung der Überprüfungsmöglichkeit von Betriebsvereinbarungen über die Verfahren zur Festlegung von Vergleichsgruppen und -personen ist erfreulich. Das schafft einen gewissen Beurteilungsspielraum der Betriebsparteien und mehr Rechtssicherheit, auch wenn die durch die Rechtsprechung entwickelten Vorgaben im Rahmen solcher Vereinbarungen weiterhin zu beachten sind. Auch wenn die vorgesehene Ergänzung des Gesetzes in § 78 S. 3 BetrVG keine konkreten Kriterien für die Beurteilung der Voraussetzung einer benachteiligungs- und begünstigungsfreien Entgeltgewährung normiert, finden sich einige Kriterien und konkrete Beispiele in der Gesetzesbegründung; hieran wird man sich in der Praxis in Zukunft orientieren können.
Obwohl der Gesetzesentwurf überwiegend nur klarstellende Wirkung entfaltet, ist er insgesamt zu begrüßen. Die Betriebsratsvergütung bleibt jedoch ein schwieriges Thema, mit dem sich Arbeitgeber intensiv auseinandersetzen sollten. In einem nächsten Schritt werden Bundestag und Bundesrat über den Gesetzesentwurf beraten. Wann die Gesetzesänderung in Kraft tritt, und ob der bisherige Entwurf noch geändert werden wird, bleibt damit abzuwarten.