Kartellrecht

Regierungsentwurf zur 11. GWB-Novelle

Am 5. April 2023 hat das Bundeskabinett die 11. GWB-Novelle („Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz“) beschlossen. Der Regierungsentwurf („RegE“) wird nun in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Voraus ging eine monatelange Kontroverse über den Referentenentwurf („RefE“) des federführenden Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz („BMWK“) aus dem September (Beitrag vom 28. September 2022). Die wesentlichen Elemente des RefE sind erhalten geblieben, insbesondere dessen erhebliche Kompetenzerweiterungen für das Bundeskartellamt. Sie wurden aber infolge der massiven Kritik vor allem aus der Wirtschaft, Teilen der Wissenschaft und der Anwaltschaft etwas abgemildert, und die verfahrens- und rechtsstaatlichen Sicherungsmechanismen erhöht. Letztlich bleibt es aber dabei, dass die 11. GWB-Novelle, sofern sie so umgesetzt wird, eine erhebliche Verschärfung des GWB bewirkt und damit zu einem Paradigmenwechsel führt.

Ziel der Novelle ist es laut Bundesregierung, dass „Störungen des Wettbewerbs im Sinne der Verbraucher besser abgestellt werden können. Dort, wo die Marktstruktur dem Wettbewerb entgegensteht, etwa weil es nur wenige Anbieter im Markt gibt und regelmäßig parallele Preisentwicklungen zu Lasten der Verbraucher zu beobachten sind, sollen die Eingriffsinstrumente des Kartellrechts geschärft werden“. Die Intention des BMWK ist es, ein Kartellrecht mit „Klauen und Zähnen“ zu implementieren.

I. Wesentliche geplante Neuregelungen der 11. GWB-Novelle

1. Einführung von neuen Eingriffsinstrumenten (§ 32e und § 32f RegE) nach britischem Vorbild

Durch neue Eingriffsinstrumente soll das Bundeskartellamt im Anschluss an eine Sektoruntersuchung erhebliche und fortwährende Störungen des Wettbewerbs schnell und effektiv abstellen können.

Künftig soll das Bundeskartellamt Abhilfemaßnahmen nach Sektoruntersuchungen festlegen können, um wirksamen Wettbewerb durchzusetzen. Möglich sollen insbesondere verhaltensorientierte oder quasi-strukturelle Verpflichtungen sein, etwa Verpflichtungen zum Zugang zu Schnittstellen oder Daten. Auch sollen beispielsweise Vorgaben zu Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen auf den untersuchten Märkten und auf verschiedenen Marktstufen oder zu bestimmten Vertragsgestaltungen (inklusive Informationsoffenlegung) sowie Verpflichtungen zur organisatorischen Trennung von Unternehmensbereichen möglich sein.

Als ultima ratio soll das Bundeskartellamt zur Beseitigung einer erheblichen, andauernden oder wiederholten Störung des Wettbewerbs eine missbrauchsunabhängige Entflechtung von marktbeherrschenden Unternehmen anordnen können. Allerdings soll es für Unternehmen nach schon freigegebenen Zusammenschlüssen einen grundsätzlichen Vertrauensschutz von zehn Jahren geben.

Als weitere Maßnahme soll das Bundeskartellamt nach einer Sektoruntersuchung Unternehmen verpflichten können, praktisch alle relevanten Zusammenschlüsse auf bestimmten Märkten zur Fusionskontrolle anzumelden. Anzumelden sind danach Zusammenschlüsse, bei denen der Erwerber im letzten Geschäftsjahr Umsatzerlöse in Deutschland von mehr als 50 Millionen Euro und das zu erwerbende Unternehmen mehr als 500 000 Euro Umsatz erzielt hat. Der bisherige § 39a GWB soll damit in deutlich verschärfter und erweiterter Form in das neue Gesetz überführt werden.

2. Erleichterung der Abschöpfung von Vorteilen aus Kartellrechtsverstößen (§ 34 RegE)

Vorteile, die Unternehmen durch Kartellrechtsverstöße erzielt haben, sollen künftig einfacher und effektiver abgeschöpft werden. Gewinne aus nachgewiesenen Wettbewerbsverstößen sollen nicht bei den Unternehmen verbleiben dürfen. Es soll die gesetzliche Vermutung gelten, wonach ein Unternehmen durch den nachgewiesenen Kartellrechtsverstoß einen Vorteil in Höhe von 1 % seiner Inlandsumsätze mit dem kartell- oder missbrauchsbefangenen Produkt oder Dienstleistung erzielt hat. Eine Obergrenze von 10 % des Vorjahresgesamtumsatzes bezogen auf die Behördenentscheidung soll Härten abfangen.. Die Widerlegung der Vermutung soll nur unter sehr restriktiven Kriterien möglich sein.

3. Anpassung der Verfahrensvorschriften zur Durchsetzung des Digital Markets Acts („DMA“)

Der RegE soll zugleich die rechtlichen Grundlagen schaffen, damit das Bundeskartellamt die Europäische Kommission bei der Durchsetzung des neuen DMA unterstützen kann. Auch die wirksame gerichtliche Durchsetzung des DMA in Deutschland („private enforcement“) ist Ziel der Novelle.

II. Wesentliche Änderungen des RegE gegenüber dem RefE

1. Einschränkungen der Ankernorm und des Zentralbegriffs der Wettbewerbsstörung des § 32f Abs. 3 RegE

Beim neuen Eingriffsinstrument des § 32f Abs. 3 RegE wurde der Wortlaut zum Teil deutlich gegenüber dem RefE geändert, um der heftigen Kritik aus Wirtschaft (vgl. nur die Stellungnahmen des BDI und anderer Wirtschaftsverbände vom 8. Dezember 2022 sowie die Stellungnahme des BDI vom 10. Oktober 2022), Teilen der Wissenschaft (vgl. nur z.B. Thomas, ZWeR 2022, 333 ff.; Ackermann, ZWeR 2023, 1 ff.; Grzeszick, NZKart 2023, 52 ff.; Körber, NZKart 2023, 193f.) und der Anwaltschaft (vgl. nur Stellungnahme der Studienvereinigung Kartellrecht vom 28. Oktober 2022 oder Stellungnahme 39/2022 der Bundesrechtsanwaltskammer) Genüge zu tun. Im Grundsatz bleibt es aber bei den weitreichenden neuen Befugnissen des Bundeskartellamtes. Satz 1 lautet nunmehr: „Das Bundeskartellamt kann durch Verfügung feststellen, dass eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs auf mindestens einem mindestens bundesweiten Markt, mehreren einzelnen Märkten oder marktübergreifend vorliegt, soweit die Anwendung der Befugnisse nach Teil 1 [des GWB] nach den im Zeitpunkt der Entscheidung beim Bundeskartellamt vorliegenden Erkenntnissen voraussichtlich nicht ausreicht, um der festgestellten Störung des Wettbewerbs angemessen entgegenzuwirken.“

  • Satz 1 a. E. ordnet eine „weiche“ Subsidiarität, vor allem gegenüber dem Kartellverbot und Missbrauchsregeln der §§ 1 und 19 ff GWB an. Wie im Einzelnen das Bundeskartellamt nachweisen soll, dass die „sonstigen Befugnisse nach [dem GWB] nach den im Zeitpunkt der Entscheidung beim Bundeskartellamt vorliegenden Erkenntnissen voraussichtlich nicht ausreichen, um der festgestellten Störung des Wettbewerbs angemessen entgegenzuwirken“, ist nicht geregelt. Laut Begründung sollen die Darlegungsanforderungen hieran für das Bundeskartellamt aber nicht allzu hoch sein. Es bleibt offen, wie diese Subsidiarität in der Praxis umgesetzt werden soll.
     
  • Beim Kernbegriff der „erheblichen […] Störung des Wettbewerbs“ wurden die Tatbestandsmerkmale „wiederholte oder andauernde Störung“ durch „fortwährende Störung“ ersetzt. Auch wurde der Referenzrahmen auf „mindestens bundesweiter Markt“ bzw. „mehrere Einzelmärkte“ erweitert statt bislang lediglich „einem Markt“. Ob und mit welchen relevanten inhaltlichen Änderungen gegenüber dem RefE dies verbunden ist, bleibt fraglich.
     
  • ​Das Verfahren ist nunmehr zweistufig ausgestaltet. Der Adressat von Abhilfemaßnahmen kann schon die Verfügung gerichtlich überprüfen lassen, mit der festgestellt wird, dass eine erhebliche und fortwährende Wettbewerbsstörung vorliegt. Die Ergebnisse der Sektoruntersuchung können damit gerichtlich überprüft werden. Im RefE war noch vorgesehen, dass der Rechtsschutz erst gegen die belastenden Abhilfemaßnahmen möglich ist. Die Ergebnisse der Sektoruntersuchung hätten damit nur inzident angefochten werden können. Insoweit reagiert der RegE auf die harsche Kritik aus der Praxis, wonach dem Rechtsschutzbedürfnis von Unternehmen nicht ausreichend Rechnung getragen wurde.
     
  • ​Auch präzisiert § 32f Abs. 3 S. 3 und S. 4 RegE die Kriterien für die Adressatenauswahl. Adressat kann nur noch sein, wenn das Unternehmen einen wesentlichen Kausalitätsbeitrag zur Wettbewerbsstörung geleistet hat. Auch ist die Marktstellung zu berücksichtigen. Zwar erhält das Bundeskartellamt nach § 32f Abs. 3 S. 5 RegE die Möglichkeit, die Verfügung später auf weitere Unternehmen auszudehnen. Im Ergebnis dürften dennoch primär Unternehmen von den Abhilfemaßnahmen betroffen sein, die auf Grund ihrer Marktstellung schon heute den Vorschriften für marktmächtige oder marktstarken Unternehmen unterliegen. Einzelheiten bleiben jedoch vage.

2. Konkretisierung des Begriffs der Wettbewerbsstörung

  • § 32f Abs. 5 S. 1 RegE konkretisiert anhand von (nicht abschließenden) Regelbeispielen vielschichtiger wettbewerbsrechtlicher Schadenstheorien, wann die erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs vorliegen soll, die bislang dem deutschen Recht nicht bekannt war. Hierzu werden „insbesondere“ vier Fallgruppen genannt: (Nr. 1) einseitige Angebots- oder Nachfragemacht, (Nr. 2) Beschränkungen des Marktzutritts, des Marktaustritts oder der Kapazitäten von Unternehmen oder des Wechsels zu einem anderen Anbieter oder Nachfrager, (Nr. 3) gleichförmiges oder koordiniertes Verhalten oder (Nr. 4) die Abschottung von Einsatzfaktoren oder Kunden durch vertikale Beziehungen. Dieser Konkretisierungsversuch nimmt einen wesentlichen Kritikpunkt am RefE auf. Allerdings verbleibt unverändert ein hoher Grad an Unbestimmtheit.
  • Auch bei den Kriterien, die für eine mögliche Störung des Wettbewerbs relevant sein sollen, kam es in § 32f Abs. 5 S. 2 RegE zu Nachbesserungen. § 32f Abs. 5 S. 2 Nr. 1-7 RegE enthält jedoch weiterhin kein verbindliches Prüfraster, sondern ist lediglich eine Soll-Vorschrift für das Bundeskartellamt. Die Norm beschreibt mögliche Anhaltspunkte, die auf eine Störung des Wettbewerbs hindeuten können (wie etwa Unternehmensverflechtungen (Nr. 2), Preise, Mengen, Auswahl und Qualität der angebotenen Waren (Nr. 3). Neu ist dabei das Kriterium des Grads der Marktdynamik (Nr. 6). Nach § 32f Abs. 5 S. 2 Nr. 7 RegE ist nunmehr auch eine Effizienzverteidigung möglich.
  • § 32f Abs. 5 S. 3 RegE stellt nunmehr klar, dass die Wettbewerbsstörung nur dann fortwährend ist, „wenn diese über einen Zeitraum von drei Jahren dauerhaft vorgelegen hat oder wiederholt aufgetreten ist und zum Zeitpunkt der Verfügung nach Absatz 3 keine Anhaltspunkte bestehen, dass die Störung innerhalb von zwei Jahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entfallen wird“. Im RefE fand sich dazu noch keine Angabe.

3. Änderungen bei den Abhilfemaßnahmen

  • Die weitgehenden regelbeispielhaften und damit nicht abschließenden Verhaltensmaßnahmen in § 32f Abs. 3 S. 7 Nr. 1-6 RegE wurden im Vergleich zum RefE vor allem sprachlich etwas präzisiert. Der RegE enthält zudem zwei Maßnahmen nicht mehr: (i) eine explizite Belieferungspflicht – die aber immer noch zumindest abstrakt unter die Nr. 2 mit „Vorgaben zu den Geschäftsbeziehungen“ fallen kann – sowie (ii) behördliche oder vergleichbare Zulassungen oder Genehmigungen. Der RegE führt hingegen nunmehr in Nr. 5 das Verbot der einseitigen Offenlegung von Informationen, die ein Parallelverhalten von Unternehmen begünstigen, als Katalogmaßnahme ein.
  • Die ultima ratio der weiterhin verstoßunabhängigen Entflechtungsanordnung des § 32f Abs. 4 RegE wird nunmehr auf marktbeherrschende Unternehmen beschränkt, und die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit leicht präzisiert. Eine Entflechtung ist – wie schon im RefE – nur bei Gewähr einer Beseitigung oder erheblichen Verringerung der Wettbewerbsstörung möglich, sofern die verhaltensorientierten Abhilfemaßnahmen des § 32f Abs. 3 S. 6 RegE nicht möglich oder mindestens gleich wirksam wären.
  • § 32f Abs. 4 S. 7 und 8 RegE legt einen Mindesterlös von 50 % des Werts als Voraussetzung für die Durchführung der Entflechtung fest und führt eine Entschädigungsregelung bei Wertunterschreitungen fest. Unterschreitet der tatsächliche Verkaufserlös den Wert des Unternehmensteils, den der vom Bundeskartellamt beauftragte Wirtschaftsprüfer festgestellt hat, so hat der Staat die Hälfte der Differenz zwischen dem ermittelten Wert des Vermögensteils und dem erzielten Verkaufserlös an den Adressaten der Entflechtungsverfügung zu zahlen. Auch das Wertgutachten ist vom Staat zu zahlen. So soll den verfassungsrechtlichen Bedenken an der Entflechtung Rechnung getragen werden.
  • Im Vergleich zum RefE wird bei einer Entflechtungsmaßnahme der Bestandschutz einer fusionskontrollrechtlichen Freigabe oder Ministererlaubnis von fünf auf zehn Jahre erhöht.

4. Weitere verfahrensrechtliche Ergänzungen

  • § 32f. Abs. 8 RegE sieht für regulierte Märkte (Eisenbahn, Post und Telekommunikation sowie die regulierten Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetze) bei Abhilfemaßnahmen eine Einvernehmensregelung mit der Bundesnetzagentur vor, und die Bundesnetzagentur wird zu einer Stellungnahme dazu verpflichtet. Auch dies soll sicherstellen, dass die neuen Befugnisse des Bundeskartellamtes möglichst abgestimmt umgesetzt werden.
  • Aufgrund der Eingriffstiefe muss das Bundeskartellamt jetzt bei den Abhilfemaßnahmen des § 32f Abs. 3 S. 6 und Abs. 4 RegE als Ausprägung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs und im Hinblick auf das Transparenzgebot nach § 56 Abs. 7 RegE zwingend eine öffentliche mündliche Verhandlung durchführen, es sei denn die Beteiligten verzichten darauf.
  • Schließlich ordnet § 66 Abs. 1 RegE – im Unterschied zum RefE – an, dass ein Rechtsmittel gegen eine Entflechtungsmaßnahme aufschiebende Wirkung hat. Dies gilt jedoch nicht für die anderen Maßnahmen nach § 32f Abs. 3 S. 6 RegE. Auch insoweit soll verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung getragen werden. Eine Entflechtung wird daher in der Praxis kein Mittel sein, mit dem das Ziel des Gesetzgebers, Märkte in einem bestimmten Sinne zu ändern, kurz- oder mittelfristig umgesetzt werden kann. Dennoch wollte der Gesetzgeber nicht auf dieses Mittel als ultima ratio verzichten.

5. Änderungen bei der Vorteilsabschöpfung

  • Bei der Vorteilsabschöpfung des § 34 bleibt es im Grundsatz bei den Vorschlägen des RefE. Der RegE hält aber anders als der RefE am Verschuldenserfordernis fest. Eine Verschärfung gegenüber dem RefE besteht aber darin, dass die Widerlegung der Vermutungsregel, wonach der pauschalierte Vorteil mindestens 1 % der tatbezogenen Inlandsumsätze beträgt, dahingehend erschwert wird, dass „nicht vorgebracht werden [kann], dass kein wirtschaftlicher Vorteil oder ein Vorteil in nur geringer Höhe angefallen ist“. Eine Möglichkeit, die Vermutung zu widerlegen, kommt jedoch nach dem RegE in Betracht, „wenn die Erlangung eines Vorteils aufgrund der besonderen Natur des Verstoßes ausgeschlossen ist." Die Begründung nennt hier sehr spezifische Ausnahmekonstellationen, bei denen es an der Kausalität des Verstoßes fehlt, wie z. B. bei einer bei Submissionsabsprachen, bei der kein an der Absprache beteiligtes Unternehmen den Zuschlag erhält oder einem Verstoß gegen das Boykottverbot, das sich im „Auffordern“ erschöpft, ohne dass dieser Aufforderung Folge geleistet wurde. Außerdem bleibt es bei der Möglichkeit aus dem RefE, die Vermutung zu widerlegen, wenn das betroffene Unternehmen nachweist, dass weder die am Verstoß unmittelbar beteiligte juristische Person noch das Unternehmen insgesamt im relevanten Zeitraum einen Gewinn in entsprechender Höhe erzielt hat.
  • Das Fristenregime der Vorteilsabschöpfung wird im Gegensatz zu den Plänen des RefE nicht verschärft. Es bleibt also bei einer Frist sieben Jahren (statt zehn Jahren) nach Beendigung des Verstoßes. Der maximale Abschöpfungszeitraum bleibt auf fünf Jahre begrenzt.

III. Fazit

Der RegE stärkt die Befugnisse des Bundeskartellamtes durch die weiteren Eingriffsinstrumente deutlich. Mit der geplanten verstoß- und missbrauchsunabhängigen Marktstrukturkontrolle erhält das Kartellrecht faktisch eine vierte Säule, die neben dem Kartellverbot, der Missbrauchsaufsicht und der (präventiven) Fusionskontrolle gelten soll, auch wenn für § 32f im RegE in sehr weicher Form eine Subsidiarität angeordnet wird.

Es bleibt daher auch nach dem RegE bei dem grundsätzlichen neuen Ansatz: Die Eingriffsbefugnisse der Wettbewerbsbehörden werden aus Sicht der Bundesregierung als unzureichend empfunden, wenn eine Störung des Wettbewerbs ohne nachweisbaren Verstoß vorliegt, die marktstrukturelle Ursachen haben könnte. Wettbewerbsbehörden sollen dann nicht nur negative Strukturveränderungen verhindern können (Fusionskontrolle), sondern als vorzugswürdig definierte Strukturen gestalten können.

Ob die beschriebene Regelungslücke tatsächlich vorliegt, wird weiterhin kontrovers beurteilt und von Seiten der Wirtschaftsverbände und Teilen der Wissenschaft und Praxis stark in Zweifel gezogen. Die Regierungsbegründung enthält hierzu keine neuen Argumente gegenüber dem RefE. Es ist zu erwarten, dass diese Diskussion im Gesetzgebungsverfahren weitergeführt wird. Die geplanten Eingriffsbefugnisse bedeuten für das Kartellrecht einen Paradigmenwechsel: Unternehmensinternes Wachstum, Effizienz und wirtschaftlicher Erfolg im Leistungswettbewerb könnten künftig Anlass für Eingriffe sein. Die verfassungsrechtliche Prüfung am Maßstab von Art. 12 und Art. 14 GG sowie der Verfahrensgrundrechte wird bei diesen neuen Instrumenten daher besonders gründlich vorzunehmen sein. Insofern sind die Änderungen durch den RegE mit den verfahrensrechtlichen Änderungen und Präzisierungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hilfreich. Insbesondere die zweistufige Ausgestaltung des Verfahrens ist unter rechtsstaatlichen Aspekten für betroffene Unternehmen ein Fortschritt gegenüber dem RefE. Die zusätzlichen Darlegungs- und Verfahrenshürden wurden vom Bundeskartellamt in ersten Reaktionen allerdings verhalten und mit Zweifeln in Bezug auf die Praktikabilität und das Ziel der Verfahrensbeschleunigung aufgenommen (vgl. hierzu GCR vom 6. April 2023).

Letztlich bleibt der RegE auf der wesentlichen Linie des RefE. Er lässt vor allem das neue Eingriffsinstrument des § 32f als „Herzstück“ der Novelle im Kern bestehen, so dass ein erheblicher Machtzuwachs des Bundeskartellamts unbestritten ist. Im gleichen Maße wächst die Aufgabe für das Bundeskartellamt, mit diesem neue Eingriffsinstrument verantwortungsbewusst und mit Augenmaß umzugehen und es nicht, wie von manchen Kritikern befürchtet, für politische Zwecke zu instrumentalisieren.

Die Ausdehnung der präventiven Fusionskontrolle unterhalb der Schwellenwerte des § 35 GWB, die auch im RegE unverändert vorgesehen ist, entspricht parallelen Entwicklungen auf europäischer Ebene. Dies zeigt die Neupositionierung der Europäischen Kommission und des Gerichts (Illumina/Grail) zu Verweisungen nach Art. 22 FKVO auch von nicht originär zuständigen Mitgliedsstaaten sowie die jüngste Rechtsprechung des EuGH (Towercast) zur Anwendung von Art. 102 AEUV auf nicht anmeldepflichtige Zusammenschlüsse durch die nationalen Kartellbehörden. Die Rechtssicherheit für Unternehmenskäufe wird dadurch deutlich eingeschränkt, zumal die Ausweitung regulatorischer Verfahren im Bereich der Investitionskontrolle (FDI) und die neu eingeführte Kontrolle drittstaatlicher Subventionen auf EU-Ebene (FSR) weitere Hürden aufstellt.

Die grundrechtlichen Maßstäbe werden auch bei der vereinfachten Vorteilsabschöpfung nochmals genau zu analysieren sein, insbesondere in Bezug auf die pauschale Vermutung eines Verletzergewinns. Das Verhältnis zu Schadensersatzzahlungen und eine denkbare Privilegierung von Kronzeugen werden unverändert nicht geregelt. Hier wären Änderungen sinnvoll. 

Hilfreich ist jedoch, dass der RegE am Verschuldenserfordernis festhält und die Vorteilsabschöpfung damit nicht zu einer verschuldensunabhängigen (Zusatz-)Haftung bei GWB-Verstößen führt.

Die 11. GWB-Novelle soll nur einen ersten Teil der wettbewerbspolitischen Agenda des BMWK aus dem Februar 2022 mit zehn Punkten für nachhaltigen Wettbewerb als Konkretisierung des Koalitionsvertrages umsetzen (vgl. hierzu BMWK – 10 Punkte für nachhaltigen Wettbewerb als Grundpfeiler der sozial-ökologischen Marktwirtschaft vom 21. Februar 2022). Weitere Elemente der Zehn-Punkte-Agenda, etwa mehr Rechtssicherheit für Kooperationen von Unternehmen für mehr Nachhaltigkeit sowie ein stärkerer Verbraucherschutz, sollen Gegenstand einer 12. GWB-Novelle noch in dieser Legislaturperiode werden. Dies belegt die zum 6. April 2023 beendete Konsultation zur im Auftrag des BMWK durchgeführten Studie „Wettbewerb und Nachhaltigkeit in Deutschland und der EU“ von Ende März 2023 (vgl. hierzu BMWK – Transformation zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft vom 22. März 2023). 

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