Kartellrecht

Referentenentwurf zur 11. GWB-Novelle

Am 26. September 2022, weniger als zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der 10. GWB-Novelle, hat das federführende Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz („BMWK“) den Referentenentwurf („RefE“) zur 11. GWB-Novelle („Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz“) veröffentlicht. Die zeitliche Planung des Gesetzgebungsverfahren ist derzeit noch nicht konkret absehbar, aber die ersten Anhörungen zum RefE sollen schon im Oktober stattfinden, so dass mit einem sehr zügigen Gesetzgebungsverfahren zu rechnen ist.

Ziel der Novelle ist es laut BMWK, den Wettbewerb dort zu stärken „wo die Marktstruktur dem Wettbewerb entgegensteht […]“. Damit soll es laut BMWK eine bessere Handhabe geben, wenn es auf Märkten zu erheblichen Störungen des Wettbewerbs kommt, die nicht auf einem Kartellverstoß oder dem missbräuchlichen Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens beruhen.
 

1. Wesentliche geplante Neuregelungen des Wettbewerbsdurchsetzungsgesetzes:

  • Einführung von neuen Eingriffsinstrumenten (§ 32e und § 32f RefE) nach britischem Vorbild:

    Durch neue Eingriffsinstrumente soll das Bundeskartellamt im Anschluss an eine Sektoruntersuchung erhebliche Störungen des Wettbewerbs schnell und effektiv abstellen können.

    Künftig soll das Bundeskartellamt Abhilfemaßnahmen nach Sektoruntersuchungen festlegen können, um wirksamen Wettbewerb durchzusetzen. Diese Maßnahmen sollen primär verhaltensorientierte oder quasi-strukturelle Verpflichtungen umfassen, wie etwa Verpflichtungen zum Zugang zu Schnittstellen oder Daten, zur Belieferung anderer Unternehmen, zur Lizenzgewährung oder zu gemeinsamen Normen und Standards oder zu Vorgaben zu bestimmten Vertragsgestaltungen einschließlich vertraglicher Regelungen zur Informationsoffenlegung sowie Verpflichtungen zur organisatorischen Trennung von Unternehmensbereichen.

    Als ultima ratio soll das Bundeskartellamt zur Beseitigung einer erheblichen, andauernden oder wiederholten Störung des Wettbewerbs auch eine missbrauchsunabhängige Entflechtung von Unternehmen anordnen können, wobei es bei vorherigen fusionskontrollrechtlichen Freigaben einen grundsätzlichen Vertrauensschutz von fünf Jahren geben soll.

    Als weitere Maßnahme soll das Bundeskartellamt nach einer Sektoruntersuchung Unternehmen verpflichten können, praktisch alle relevanten Zusammenschlüsse auf bestimmten Märkten zur Fusionskontrolle anzumelden. Der bisherige § 39a GWB soll damit in verschärfter Form in das neue Gesetz überführt werden.
     

  • Erleichterung der Abschöpfung von Vorteilen aus Kartellrechtsverstößen (§ 34 RefE):

    Vorteile, die Unternehmen durch Kartellrechtsverstöße erzielt haben, sollen künftig einfacher und effektiver abgeschöpft werden. Gewinne aus nachgewiesenen Wettbewerbsverstößen sollen nicht bei den Unternehmen verbleiben dürfen. Es soll die gesetzliche Vermutung gelten, wonach ein Unternehmen durch den nachgewiesenen Kartellrechtsverstoß einen Vorteil in Höhe von 1 % seiner Inlandsumsätze mit dem kartell- oder missbrauchsbefangenen Produkt oder Dienstleistung erzielt hat. Eine Obergrenze von 10 % des Vorjahresgesamtumsatzes bezogen auf die Behördenentscheidung soll Härten abfangen. Die Abschöpfung soll kein Verschulden voraussetzen.

  • Anpassung der Verfahrensvorschriften zur Durchsetzung des Digital Markets Acts („DMA“):

    Der RefE soll zugleich die rechtlichen Grundlagen schaffen, damit das Bundeskartellamt die Europäische Kommission bei der Durchsetzung des neuen DMA unterstützen kann. Auch die wirksame gerichtliche Durchsetzung des DMA in Deutschland („private enforcement“) ist Ziel der Novelle.

2. Im Einzelnen:

  • Sektoruntersuchungen, § 32e RefE

    Sektoruntersuchungen nach § 32e RefE sollen künftig weitreichendere Konsequenzen haben können als bisher. Bislang waren Sektoruntersuchungen folgenlos und erschöpften sich im Wesentlichen in Abschlussberichten (vgl. etwa die Abschlussberichte zu Kraftstoffen (2011), zu Stromerzeugung und -großhandel (2011), zu Nachfragemacht im Lebensmitteleinzelhandel (2014) oder zuletzt zu Krankenhäusern (2021) sowie zur Erfassung von Haushaltsabfällen (2021). Lediglich im Anschluss an die Sektoruntersuchungen Walzasphalt (2012) sowie Zement und Transportbeton (2017) kam es zu umfangreichen Entflechtungen von Gemeinschaftsunternehmen, die allerdings auf Verwaltungsverfahren auf Basis von § 1 GWB bzw. deren Androhung beruhten). Dem Bundeskartellamt soll nun die Möglichkeit gegeben werden, die Konsequenzen aus den festgestellten Missständen zu ziehen und regulatorisch einzugreifen – und zwar ohne den Nachweis von konkreten Kartellrechtsverstößen.

    Sektoruntersuchungen sollen nach § 32e Abs. 3 RefE künftig maximal 18 Monate dauern. Damit soll die Effektivität gestärkt werden und ein Eingriff in Märkte möglich sein, bevor sich diese weiterentwickelt haben. In § 32 Abs. 4 RefE wird das Bundeskartellamt künftig zur Veröffentlichung von Zwischen- bzw. zumindest Abschlussberichten verpflichtet. Es soll nicht mehr nur das Recht dazu haben. Diese Berichte können wettbewerbspolitische Empfehlungen gegenüber der Bundesregierung enthalten. Im Rahmen der Ermittlungen sollen zukünftig auch Beschlagnahmen möglich sein.

    Kern des neuen marktstrukturorientierten Eingriffsinstruments und damit wesentliche Neuerung ist der neue § 32f RefE. Die Norm verleiht dem Bundeskartellamt weitreichende Eingriffsbefugnisse nach Veröffentlichung eines Abschlussberichts zu einer Sektoruntersuchung.

    Zentraler Anknüpfungspunkt soll nach § 32f Abs. 3 und Abs. 4 RefE die erhebliche, andauernde oder wiederholte Störung des Wettbewerbs auf mindestens einem Markt oder marktübergreifendsein. § 32f Abs. 5 RefE sieht regelbeispielhaft aufgezählte Kriterien zur Konkretisierung vor. Je nach Fallgestaltung sollen sie isoliert oder kumulativ in einer Gesamtschau für eine Feststellung einer erheblichen Wettbewerbsstörung relevant sein. Sie greifen teilweise die Faktoren von § 18 Abs. 3 GWB auf, weichen aber auch davon ab, indem sie insbesondere wettbewerbsbeeinträchtigende Marktergebnisse und Verhaltensweisen in die Gesamtschau einbeziehen.

    § 32f Abs. 3 RefE sieht als Regelfall die Verpflichtung zu allen erforderlichen Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art vor. Dies knüpft an den bisherigen § 32 Abs. 2 GWB an. Verhaltensorientierte Maßnahmen sollen grundsätzlich Vorrang haben. Anders als in der präventiven Marktstrukturkontrolle von Zusammenschlüssen (vgl. § 40 Abs. 3 S. 2 GWB) sollen bei dieser neuartigen Marktstrukturkontrolle auch verhaltensorientierte Maßnahmen erlaubt sein, die eine laufende Verhaltenskontrolle nach sich ziehen.

    Das scharfe Schwert der Entflechtungsanordnungen nach § 32f Abs. 4 RefE soll unter strenger Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur das letzte Mittel (ultima ratio) sein, wenn die erhebliche Wettbewerbsstörung nicht anders beseitigt oder erheblich verringert werden kann. Die Begründung des RefE hält diese Maßnahme unter Verweis auf Gutachten der Monopolkommission von 2010 und 2022 für verfassungsrechtlich unbedenklich. § 32f Abs. 4 RefE sieht allerdings grundsätzlich einen fünfjährigen Vertrauensschutz für bestandskräftige fusionskontrollrechtliche Freigaben des Bundeskartellamtes und der Europäischen Kommission sowie für eine Ministererlaubnis vor.

    Nach § 32f Abs. 6 RefE können betroffene Unternehmen dem Bundeskartellamt (freiwillige) Verpflichtungszusagen anbieten, die das Bundeskartellamt für verbindlich erklären kann. Im Gegenzug soll es sich selbst binden können, von den Befugnissen nach § 32f Abs. 3 und 4 RefE keinen Gebrauch zu machen.

    § 32f Abs. 7 RefE schreibt eine Regelverfahrensdauer für die Festlegung von Abhilfemaßnahmen nach § 32f RefE von 18 Monaten vor. Auch dies ist eine Soll-Vorschrift, um die zeitnahe Abhilfe sicherzustellen.

    Abhilfemaßnahmen nach § 32f RefE sollen nach der Begründung des RefE auch für bereits laufende Sektoruntersuchungen in Betracht kommen, die erst nach dem Inkrafttreten der Neuregelung abgeschlossen werden. Zu denken ist insoweit insbesondere an die derzeit laufende Sektoruntersuchung zur nicht-suchgebundenen Online-Werbung. In dem kürzlich veröffentlichten Zwischenbericht zu dieser Untersuchung stellt das Bundeskartellamt bereits Überlegungen zur etwaigen Notwendigkeit weitreichender regulatorischer Eingriffe an.

  • Erweiterte Fusionskontrolle durch Einzelverfügung

    Erst mit der 10. GWB-Novelle wurde § 39a GWB eingeführt. Danach kann das Bundeskartellamt Unternehmen durch Verfügung aufgeben, für drei Jahre bestimmte Zusammenschlüsse auch unterhalb der Schwellenwerte des § 35 GWB in bestimmten Wirtschaftszweigen anzumelden, wenn diese Wirtschaftszweige zuvor Gegenstand einer Sektoruntersuchung gewesen sind. Voraussetzungen beim Adressaten sind danach derzeit weltweite Umsätze von EUR 500 Mio., ein Anteil von 15 % am inländischen Angebot (bzw. der Nachfrage auf Einkaufsseite) sowie objektiv nachvollziehbare Anhaltspunkte für erhebliche Wettbewerbsbehinderungen durch zukünftige Zusammenschlüsse. Die Anmeldepflicht gilt dann auch für Zusammenschlüsse mit Unternehmen, die lediglich EUR 2 Mio. Umsatz haben und mehr als zwei Drittel ihrer Umsätze im Inland erwirtschaften.

    Diese noch junge Norm soll nach dem RefE mit der 11. GWB-Novelle gestrichen, in § 32f Abs. 2 RefE überführt und dabei weiter verschärft werden. Systematisch wird sie damit aus dem bisher klar abgegrenzten Bereich der Fusionskontrollnormen der §§ 35 ff. GWB gelöst und an die weitreichenden Regeln der Sektoruntersuchung „angedockt“. Inhaltlich wird die Norm deutlich verschärft. Die Beschränkung auf Unternehmen mit 15 % Anteil am inländischen Angebot entfällt. Zudem sollen die Schwellenwerte auf die zwei Inlandsumsatzschwellen von EUR 50 Mio. für den Erwerber und EUR 0,5 Mio. für die Zielgesellschaft abgesenkt werden. Die weltweite Umsatzschwelle sowie die Zweidrittelvorgabe für den Inlandsumsatz der Zielgesellschaft entfallen. Die Bagatellmarktklausel des § 36 Abs. 2 Satz Nr. 2 GWB wird für nicht anwendbar erklärt. Wie in § 39a GWB soll die Anmeldepflicht und damit das Vollzugsverbot drei Jahre ab Zustellung der Verfügung gelten und mehrfach um drei Jahre verlängert werden können.

    Auch für Verfügungen auf Grundlage von § 32f Abs. 2 RefE soll die 18-Monatsfrist des Abs. 7 gelten. Relativ versteckt regelt § 187 Abs. 11 RefE für die Fusionskontrollnorm des § 32f Abs. 2 RefE eine Rückwirkung für im Zeitpunkt des Inkrafttretens der 11. GWB-Novelle bereits abgeschlossene Sektoruntersuchungen, wenn die Veröffentlichung des Abschlussberichts nicht mehr als ein Jahr zurückliegt. Somit soll dem Bundeskartellamt ermöglicht werden, bis zum Inkrafttreten der 11. GWB-Novelle noch weitere Sektoruntersuchungen einleiten und sie als Grundlage für Verfügungen nach dem neuen § 32f Abs. 2 RefE verwenden zu können.

  • Vereinfachte Vorteilsabschöpfung

    Die Begründung des RefE bemängelt, dass die derzeitigen rechtlichen Hürden für die Vorteilsabschöpfung gemessen am gesamtwirtschaftlichen Schaden von Kartellrechtsverstößen zu hoch sind und die relevante Norm daher nicht angewendet wird. So müssten die Kartellbehörden derzeit komplexe Berechnungen des wirtschaftlichen Vorteils vornehmen und zusätzlich nachweisen, dass ein Unternehmen vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Mit der Neuregelung sollen Vorteilsabschöpfungen erleichtert werden und Unternehmen dadurch von Kartellrechtsverstößen abgehalten werden.

    Für die Abschöpfung soll keine Rolle spielen, ob ein Unternehmen schuldhaft gehandelt hat. Nach der Gesetzesbegründung soll es ausreichen, wenn der Vorteil durch einen objektiven Verstoß gegen das Kartellrecht entstanden ist.

    Nach § 34 Abs. 4 RefE soll die pauschale Vermutung gelten, dass ein Unternehmen mit dem nachgewiesenen Kartellrechtsverstoß einen Vorteil in Höhe von 1 % seiner Inlandsumsätze mit dem Produkt oder Dienstleistung erzielt hat, das mit dem Kartellrechtsverstoß über den gesamten Zeitraum des Verstoßes in Zusammenhang steht. Allerdings soll eine Deckelung bei 10 % des weltweiten Konzerngesamtjahresumsatzes im Vorjahr der Behördenentscheidung gelten. Für Art und Umfang wird auf die BGH-Rechtsprechung zu zivilrechtlichen Schadenersatzverfahren verwiesen. Die Vermutung soll nur widerlegt werden können, soweit das Unternehmen nachweist, dass weder die am Verstoß unmittelbar beteiligte juristische Person noch das Unternehmen insgesamt im relevanten Zeitraum einen Gewinn in entsprechender Höhe erzielt hat. Der RefE äußert sich nicht dazu, ob die 1%-Regelung auch auf Verstöße anwendbar ist, die vor Inkrafttreten begangen wurden, weshalb insoweit mit Rechtsunsicherheit gerechnet werden muss.

    In § 34 Abs. 5 RefE soll aus generalpräventiven Gründen die formelle Frist für die Anordnung der Vorteilsabschöpfung von sieben auf zehn Jahren seit Beendigung der Zuwiderhandlung verlängert werden. Hingegen wird nach den Plänen des RefE der bisherige materielle Höchstzeitraum von fünf Jahren, auf den sich eine Abschöpfung erstrecken darf, als nicht sachgemäße Privilegierung gestrichen. Auch hier kommt der geplante Verschärfungscharakter für das Instrument der Vorteilsabschöpfung zur Geltung.

  • Anpassung der Verfahrensvorschriften zum Digital Markets Act („DMA“)

    Die Anpassungen an den DMA betreffen im Wesentlichen eine neu eingeführte Befugnis des Bundeskartellamtes, selbst Ermittlungen im Hinblick mögliche Verstöße gegen Artikel 5, 6 und 7 DMA zu führen (vgl. § 32g RefE). Außerdem sollen die privaten Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten gestärkt werden. Die Begründung des RefE lehnt sich an die Vorschriften zur Erleichterung der privaten Rechtsdurchsetzung in Kartellsachen an, mit der die Kartellschadensersatzrichtlinie umgesetzt wurden. Diese werden, dort wo es geboten ist, im DMA-Kontext für anwendbar erklärt. Einige der für kartellrechtliche Privatklagen geltenden Erleichterungen werden für anwendbar erklärt. Insbesondere soll eine bestandskräftige Entscheidung der Europäischen Kommission, mit der ein Verstoß gegen die Verpflichtungen gemäß Art. 5-7 DMA festgestellt wurde, Bindungswirkung in Follow-on-Schadensersatzprozessen vor den deutschen Gerichten haben. Damit wird der Gerichtsstandort Deutschland für solche Klagen erheblich gestärkt.

    Wie sonst auch im Kartellrecht soll eine Zuständigkeitskonzentration herbeigeführt werden, so dass die Kartellspruchkörper auch für Streitigkeiten zum DMA zuständig sein sollen (§§ 87, 89 Abs. 1 RefE). Schließlich wird für das Bundeskartellamt die Möglichkeit geschaffen, sich in Gerichtsverfahren mit Bezug zum DMA am Verfahren zu beteiligen.

3. Fazit

Der RefE stärkt die Befugnisse des Bundeskartellamtes durch die weiteren Eingriffsinstrumente deutlich. Mit der geplanten verstoß- und missbrauchsunabhängigen Marktstrukturkontrolle soll das Kartellrecht eine vierte Säule erhalten, die neben dem Kartellverbot, der Missbrauchsaufsicht und der (präventiven) Fusionskontrolle gelten soll. Die vorgeschlagenen Änderungen folgen der aktuellen wettbewerbspolitischen Diskussion. Die Eingriffsbefugnisse der Wettbewerbsbehörden werden als unzureichend empfunden, wenn eine Störung des Wettbewerbs ohne nachweisbaren Verstoß vorliegt, die marktstrukturelle Ursachen haben könnte. Wettbewerbsbehörden sollen dann nicht nur negative Strukturveränderungen verhindern können (Fusionskontrolle), sondern als vorzugswürdig definierte Strukturen gestalten können. In der Begründung des RefE wird auf die Ideen des inzwischen verworfenen New Competition Tools der Europäischen Kommission und des DMA sowie auf die britische Praxis der Sektoruntersuchungen verwiesen. Die Begründung des RefE nennt keine besonders im Fokus stehenden Branchen, gleichwohl verweist die Pressemitteilung des BMWK paradigmatisch auf die Situation an den „Zapfsäulen“ und auf Branchen wie den Baustoffbereich, Flughäfen, den Verkehrs- und Finanzbereich sowie den Lebensmitteleinzelhandel, in denen auf Grundlage eines ähnlichen Instruments in Großbritannien durch die CMA der Wettbewerb belebt worden sei.

Ob die beschriebene Regelungslücke tatsächlich vorliegt, wird kontrovers beurteilt. Die Diskussion wird im Gesetzgebungsverfahren weitergeführt werden. Die geplanten Eingriffsbefugnisse bedeuten für das Kartellrecht einen Paradigmenwechsel: Unternehmensinternes Wachstum, Effizienz und wirtschaftlicher Erfolg im Leistungswettbewerb könnten künftig Anlass für Eingriffe sein. Die verfassungsrechtliche Prüfung am Maßstab von Art. 12 und Art. 14 GG wird bei diesen neuen Instrumenten daher besonders gründlich vorzunehmen sein.

Durch die neuen Regeln kann das Bundeskartellamt auch die präventive Fusionskontrolle unterhalb der Schwellenwerte des § 35 GWB weiter ausdehnen. Auch dies entspricht parallelen Entwicklungen auf europäischer Ebene, wie die Neupositionierung der Europäischen Kommission zu Verweisungen nach Art. 22 FKVO auch von nicht originär zuständigen Mitgliedsstaaten zeigt. Die Rechtssicherheit für Unternehmenskäufe wird dadurch deutlich eingeschränkt.

Die grundrechtlichen Maßstäbe werden auch bei der vereinfachten Vorteilsabschöpfung nochmals genau zu analysieren sein, insbesondere in Bezug auf die Verschuldensunabhängigkeit und die pauschale Vermutung eines Verletzergewinns. Das Verhältnis zu Schadensersatzzahlungen und eine denkbare Privilegierung von Kronzeugen werden derzeit nicht geregelt. Hier könnten Anpassungen sinnvoll sein.

Die 11. GWB-Novelle soll nur einen ersten Teil der wettbewerbspolitischen Agenda des BMWK vom Februar 2022 mit zehn Punkten für nachhaltigen Wettbewerb als Konkretisierung des Koalitionsvertrages umsetzen. Weitere Elemente der Zehn-Punkte-Agenda wie mehr Rechtssicherheit für Kooperationen von Unternehmen für mehr Nachhaltigkeit sowie ein stärkerer Verbraucherschutz sollen Gegenstand einer 12. GWB-Novelle noch in dieser Legislaturperiode werden. Auch deshalb ist damit zu rechnen, dass das BMWK die jetzige 11. GWB-Novelle sehr rasch umsetzen will.

 

 

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