Subventionen und Beihilfen
M&A-Transaktionen unter dem neuen EU Foreign Subsidies-Regime – ein Vorgeschmack auf das, was hier bevorsteht

Die EU‑Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen (englisch: Foreign Subsidies Regulation - FSR; abrufbar unter: EUR-Lex - 32022R2560 - DE - EUR-Lex (europa.eu)) ist am 12. Januar 2023 in Kraft getreten und wird ab 12. Juli 2023 anwendbar sein. Unter diesem neuen Regime kann die Kommission Subventionen prüfen, die von Drittstaaten (d.h. Nicht-EU-Staaten) an in der EU tätige Unternehmen gewährt werden.
Die FSR ist ein bunter Mix aus Beihilferecht und Fusionskontrolle. Sie soll eine „Regelungslücke“ schließen, die sich daraus ergibt, dass die EU‑Mitgliedstaaten den Beschränkungen des EU‑Beihilferechts unterliegen, wenn sie „ihre“ Unternehmen subventionieren wollen, während für die von Drittstaaten gewährten Subventionen kein vergleichbarer Beihilfekontrollmechanismus besteht.
Spoiler-Alarm!
In dieser Woche hat die Kommission Interessenträger aufgerufen, zum Entwurf der Durchführungsverordnung, die die FSR ergänzen soll, Stellung zu nehmen (derzeit nur auf Englisch verfügbar unter: Distortive foreign subsidies – procedural rules for assessing them (europa.eu)). Interessierte Kreise können ihre Stellungnahmen bis zum 6. März 2023 abgeben.
Mit dem neuen, etwa 60 Seiten umfassenden Paket hat die Kommission der juristischen Fachwelt einen kleinen Vorgeschmack darauf präsentiert, was hier bevorsteht. Der Entwurf vermittelt einen Einblick, wie die Verordnung in der Praxis angewendet werden wird. Die Botschaft scheint ziemlich klar: Es wird unangenehm werden – sowohl für die beteiligten Unternehmen als auch für deren Berater.
Eine kurze Zusammenfassung
Ab dem 12. Oktober 2023 gelten die neuen Anmeldepflichten für bestimmte M&A‑Transaktionen. Der Geltungsbereich der neuen Vorschriften ist extrem weit gefasst. Die Transaktionsbeteiligten sind verpflichtet, sog. „Zusammenschlüsse“ anzumelden, d.h. den Erwerb alleiniger oder gemeinsamer Kontrolle oder die Gründung eines Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmens, wenn
- das Zielunternehmen/Gemeinschaftsunternehmen (oder eine seiner Tochtergesellschaften) in der EU niedergelassen ist und im letzten Geschäftsjahr in der EU einen Gesamtumsatz von mindestens EUR 500 Mio. erzielt hat; und
- den an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen (d.h. den Unternehmensgruppen) innerhalb der letzten drei Geschäftsjahre drittstaatliche finanzielle Zuwendungen von mehr als EUR 50 Mio. gewährt wurden.
Anmeldepflichtige M&A‑Transaktionen dürfen nicht vollzogen werden, bevor die Kommission die Freigabe hierzu erteilt hat („Vollzugsverbot“). Verstöße gegen die Anmeldepflicht und/oder das Vollzugsverbot (sog. „gun jumping“) können mit erheblichen Geldbußen geahndet werden.
Auch wenn das neue Kontrollinstrument primär auf Drittstaaten abzielt, werden davon sowohl Nicht‑EU‑ als auch EU‑Unternehmen erfasst. Und natürlich gilt das neue System parallel zu anderen regulatorischen „Workstreams“, d.h. es kommt zur klassischen Fusionskontrolle, dem Außenwirtschaftsrecht (Foreign Direct Investment - FDI) und der Exportkontrolle hinzu. Für weitere Einzelheiten verweisen wir auf „EU-Fusionskontrolle II“ – Verordnung über drittstaatliche Subventionen offiziell verabschiedet | Gleiss Lutz und Auswirkungen der neuen EU-Foreign Subsidies Regulation auf M&A-Transaktionen | Gleiss Lutz.
Noch mehr Bürokratie: „EU-Fusionskontrolle II“
Zunächst nennt der Entwurf der Durchführungsverordnung einige verfahrenstechnische Einzelheiten (Ermittlungsinstrumente, Fristen, Verfahren zur Abgabe von Verpflichtungszusagen, Übermittlung von Stellungnahmen, Akteneinsicht, Vertraulichkeit von Informationen, usw.). Wie zu erwarten war, hat sich die Kommission dabei eng an die Vorschriften der FKVO angelehnt, insbesondere an die Durchführungsverordnung Nr. 802/2004.
Kernstück des Pakets sind jedoch die Anmeldeformulare, inklusive einiger einleitender Erläuterungen. Auch hier hat sich die Kommission stark vom (berüchtigten) Formblatt CO inspirieren lassen, das bei der EU‑Fusionskontrolle verwendet wird. Es zeigt sich deutlich, dass die Einführung einer „Quasi‑Fusionskontrolle“ im Rahmen der neuen Verordnung eine erhebliche Belastung für die Parteien bei internationalen M&A‑Transaktionen darstellen wird. Ein paar Highlights hierzu:
- Unternehmen müssen grundsätzlich alle „drittstaatlichen finanziellen Zuwendungen“ offenlegen, die sie innerhalb der letzten drei Jahre aus Nicht‑EU‑Ländern erhalten haben. Dies kann zu einer Herkulesaufgabe werden, insbesondere da der Begriff der „drittstaatlichen finanziellen Zuwendungen“ extrem weit gefasst ist und auch eine Vielzahl von Maßnahmen umfasst, die gar kein Subventionselement beinhalten. Das Anmeldeformular enthält eine detaillierte Vorlage (in Form einer Tabelle), wonach Informationen über das Empfängerunternehmen, die bewilligende Stelle, die Art der finanziellen Zuwendung, die Frage, ob die Zuwendung im Rahmen eines Vergabeverfahrens erfolgte, den Betrag, das Datum, potenzielle Bedingungen, den Beweggrund der jeweiligen Maßnahmen, den betroffenen Wirtschaftszweig, usw. anzugeben sind.
- Der Entwurf des Anmeldeformulars sieht einige (begrenzte) Ausnahmen im Hinblick auf den Umfang der Anmeldung vor. So müssen einzelne finanzielle Zuwendungen unterhalb von EUR 200.000 nicht angegeben werden. Das Gleiche gilt, wenn „der Gesamtbetrag der Zuwendungen pro Drittstaat und Jahr“ unter EUR 4 Mio. bleibt. Diese Ausnahme ist jedoch nur bedingt hilfreich. Sie entbindet die Parteien lediglich von der Pflicht, diese (kleineren) Beträge in der Anmeldung aufzuführen, nicht aber von der internen Compliance-Prüfung, ob die Anmeldeschwellen erreicht werden. In Anbetracht der hohen Geldbußen, die die Verordnung für Verstöße gegen die Anmeldepflicht oder unrichtige Angaben vorsieht, wird eine umsichtig handelnde Partei alle möglichen staatlichen Zuwendungen stets präzise prüfen, um die vollumfängliche Einhaltung der Vorgaben der Verordnung zu gewährleisten.
- Der Grundtenor der Entwürfe der Anmeldeformulare entspricht weitgehend dem durch die Kommission etablierten Modell der FKVO. Die Parteien müssen große Mengen an Unterlagen und Daten bereitstellen, wie z.B. Transaktionsdokumente, rechtliche und wirtschaftliche Einzelheiten über die jeweiligen Maßnahmen, Finanzdaten des Empfängers, Umsatzzahlen in allen Variationen, Kontaktdaten anderer Beteiligter, „Analysen, Berichte, Studien, Erhebungen, Präsentationen und vergleichbare Unterlagen, in denen der Zweck und die wirtschaftlichen Beweggründe für die drittstaatliche finanzielle Zuwendung dargelegt werden“, aktuelle Jahresabschlüsse oder Geschäftsberichte, etc. Sind diese Dokumente nicht in einer EU‑Amtssprache abgefasst, müssen sie übersetzt werden.
- Der Informationshunger der Kommission ist groß und wirkt zuweilen etwas bizarr. Findet der „Zusammenschluss im Rahmen eines strukturierten Bieterverfahrens“ statt, müssen die Beteiligten u.a. angeben, wie viele andere Bieter kontaktiert wurden, welche Bieter ihr Interesse bekundet oder ein Angebot abgegeben haben, welches Profil ein jeder Bieter hat, welche Bieter sich in welcher Phase des Verfahrens zurückgezogen haben und, ob die anmeldende Partei von einem Berater unterstützt wurde. Zudem müssen Kopien von allen Due Diligence‑Berichten und Kontaktdaten von allen anderen Bietern usw. übersendet werden. Dies ist dem Erwerber selbst in aller Regel gar nicht möglich. Denn ein Bieter verfügt nicht über derlei Informationen, da diese Verfahren, auch aus wettbewerbsrechtlichen Gründen, streng vertraulich sind.
- Die Parteien können eine Verzichtserklärung (sog. waiver) beantragen, d.h. sie können die Kommission ersuchen, die anmeldenden Parteien von der Pflicht zur Übermittlung bestimmter Informationen zu befreien. Dies wird jedoch nur gewährt werden, wenn die Kommission der Ansicht ist, dass diese Informationen „für die Prüfung der Anmeldung nicht erforderlich sind“. Das Gleiche gilt für Informationen, die den Parteien „nach vernünftigem Ermessen nicht zur Verfügung stehen“.
- Zwar orientiert sich der Entwurf des Anmeldeformulars an den Vorschriften zur EU‑Fusionskontrolle (Formblatt CO), wodurch eine gewisse Konvergenz in Bezug auf Zuständigkeitsfragen sichergestellt wird (Begriff des Zusammenschlusses, der Kontrolle, des Unternehmensbegriffs, der anmeldenden Parteien, usw.). Trotzdem scheinen die möglichen Synergien zwischen den beiden Verfahren eher begrenzt zu sein. Beide Regimes verfolgen unterschiedliche Ziele und auch die inhaltlichen Fragen sind verschieden.
- Ebenso wie im Rahmen der FKVO werden die Parteien dazu „ermuntert“, auf Grundlage eines Anmeldungsentwurfs Pränotifizierungsgespräche zu führen. Es ist zu erwarten, dass dies de facto zur Regel werden wird. Solche Gespräche sind zeitaufwendig (sie dauern meist mindestens einige Monate), was im Hinblick auf den Zeitplan der Transaktion zu berücksichtigen ist.
Was das Paket verschweigt
Zur künftigen Anwendung der materiellen Vorschriften der FSR gibt das Paket nur spärliche Hinweise:
- Da die Dokumente nur verfahrensrechtliche Themen behandeln, trifft der Entwurf keine Aussagen zu den Schlüsselbegriffen der Verordnung, wie z.B. „Subvention“, „Verzerrung auf dem Binnenmarkt“ oder zur Anwendung der „Abwägungsprüfung“ („balancing test“). Diese Begriffe sind denen des Artikels 107 AEUV sehr ähnlich, weshalb es wahrscheinlich ist, dass sie im Einklang mit der Rechtsprechung bzw. der Entscheidungspraxis der Kommission zum EU‑Beihilferecht ausgelegt werden.
- Im Gegensatz zum Abschnitt über „finanzielle Zuwendungen“ ist der Abschnitt über „mögliche positive Auswirkungen“ sehr knapp gehalten. Der Entwurf enthält keine konkreten Beispiele dafür, welche Auswirkungen hier in Betracht gezogen werden könnten. Die Kommission scheint der Ansicht zu sein, dass dies der Phantasie der Parteien überlassen bleibt und die Beweislast alleine bei ihnen liegt.
- Eine vertane Chance: Das Verhältnis zwischen der Verordnung und den mit Nicht-EU-Staaten geschlossenen Freihandelsabkommen wird im Entwurf komplett außer Acht gelassen. Artikel 44 Abs. 9 FSR sieht jedoch vor, dass die Instrumente der Verordnung nicht angewendet werden, wenn dies den völkerrechtlichen Verpflichtungen der EU zuwiderlaufen würde. Somit wäre es naheliegend gewesen, eine „Safe‑Harbor‑Liste“ zu erstellen, die die Anwendung der Verordnung gegenüber solchen Drittstaaten ausschließt, mit denen ein umfassendes Freihandelsabkommen besteht, das substanzielle Regelungen über staatliche Beihilfen enthält. Eine solche „weiße Liste“ wurde von der Kommission jedoch nicht vorgelegt.
Nächste Schritte: So können Sie sich vorbereiten
Der neue Entwurf der Durchführungsverordnung bestätigt, was von vielen Beobachtern schon erwartet wurde: Das neue System wird erhebliche Auswirkungen auf M&A‑Transaktionen haben und wird die Kosten sowie den Verwaltungsaufwand für viele EU‑ und Nicht‑EU‑Unternehmen erheblich erhöhen. Es gibt allerdings einiges, was potenzielle Transaktionsbeteiligte bereits jetzt machen können, um sich auf die neue Verordnung vorzubereiten:
- Teilnahme am Konsultationsprozess: Interessierte Kreise können bis zum 6. März 2023 Kommentare zu dem Entwurf abgeben. Alle Interessengruppen sollten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, ggf. über ihre Wirtschaftsverbände. Ohne fundiertes Feedback wird die Kommission den Entwurf voraussichtlich in seiner jetzigen Form verabschieden.
- Monitoring- und Compliance‑Prozesse: Richten Sie interne Monitoring-Prozesse ein, mittels derer alle Informationen über finanzielle Zuwendungen konzernweit für die letzten drei Jahre systematisch erfasst und geprüft werden (wer, was, wann, von wem, Betrag, Existenz von Bedingungen, Art der finanziellen Zuwendung?).
- Vorbereitung der Transaktionsdokumente: Zusätzlich zu den üblichen Vollzugsbedingungen sollte ein SPA/APA eine FSR‑Klausel enthalten, die sich an den für die Fusionskontrolle üblichen Formulierungen orientiert (aufschiebende Bedingung, Verpflichtung des Käufers zur Erstellung und Einreichung der Anmeldung in Absprache mit dem Verkäufer, Verpflichtung zur Abgabe von Verpflichtungszusagen, Hell-or-High-Water-Klausel, usw.).
- Berücksichtigung bei der Erstellung des Zeitplans: Verfahren gemäß der FSR benötigen Zeit. Das Vorprüfverfahren dauert 25 Arbeitstage („Phase I“). An dieses kann sich möglicherweise eine eingehende Prüfung („Phase II“) mit einer Dauer von weiteren 90 Arbeitstagen anschließen (mit möglichen Verlängerungen). Außerdem sollten die Parteien Zeit für Pränotifizierungsgespräche einplanen, die mehrere Monate dauern können.
- Bereiten Sie Ihre materiellen Argumente vor: Zudem sollten die Parteien ihre inhaltlichen Argumente vorbereiten. Dies sollte auf drei Ebenen erfolgen:
- Erstens können die Parteien argumentieren, dass es sich bei den relevanten finanziellen Zuwendungen nicht um eine „Subvention“ handelt. In vielen Fällen werden sie nachweisen können, dass die betreffende Maßnahme keinen wirtschaftlichen Vorteil beinhaltet. Eine solche Argumentationslinie sollte sich auf die Rechtsprechung der Unionsgerichte und auf die Entscheidungspraxis der Kommission zum EU-Beihilferecht stützen. Zudem kommt eine Untermauerung der Argumentation durch ökonomische Expertise (ökonomische Gutachten, usw.) in Betracht.
- Zweitens können die Parteien Argumente vorbereiten, warum die Maßnahmen, selbst wenn sie als „Subventionen“ einzustufen wären, nicht verzerrend sind. Auch hier könnten sich Argumentationslinien auf den reichen Erfahrungsschatz des EU-Beihilferechts stützen, insbesondere auf die Rechtsprechung der Unionsgerichte, die Entscheidungspraxis der Kommission und ökonomische Argumente.
- Drittens könnte man argumentieren, dass die potenziellen Vorteile der Subventionen etwaige Verzerrungen überwiegen. In diesem Zusammenhang wird das umfangreiche „Soft Law“ der Kommission zum EU-Beihilferecht (Leitlinien, Rahmenregelungen, Mitteilungen, Gruppenfreistellungsverordnungen usw.), das für verschiedene Arten von staatlichen Beihilfen besteht (Energie, Umwelt, F&E&I, Risikofinanzierung, Garantien, Halbleiter, Flughäfen, Transport, Breitband, usw.), eine zentrale Rolle spielen.
