Kartellrecht

Enge Grenzen für Pay-for-Delay-Vereinbarungen

Patentvergleiche zwischen Originalpräparateherstellern und Generikaherstellern sind nur in engen Grenzen möglich. Zugleich sind sie aber unstreitig weiterhin ein legitimes Mittel zur Beilegung von Patentstreitigkeiten. Die Entscheidung des EuGH in Sachen Generics (UK) und die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in Sachen Lundbeck brachten weitere Rechtssicherheit für die Praxis.

Einführung

Im Jahr 2020 hat sich der EuGH in seiner Entscheidung Generics (UK) – C-307/18 erstmals zu Pay-for-Delay-Vereinbarungen in der Pharmabranche geäußert. Er bestätigte die bisherige sehr strenge europäische Rechtsprechung zu diesem äußerst kontroversen Thema. Grundsätzlich sind Patentvergleiche ein legitimes Mittel, um Streitigkeiten zwischen einem Originalpräparatehersteller und Generikahersteller beizulegen. Zugleich führen sie nach Auffassung von Kartellbehörden jedoch oftmals zu einer Verzögerung des Markteintritts von Generika, damit einhergehend zu geringerem Wettbewerb und somit zu höheren Preisen für die Verbraucher.

Potentielle Wettbewerber

In der Regel ist ein Generikahersteller zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit einem Originalpräparatehersteller noch nicht in den Markt eingetreten. Der Kartellbehörde obliegt somit die Pflicht nachzuweisen, dass der Markteinritt für den Generikahersteller tatsächlich möglich war und somit ein zumindest potentielles Wettbewerbsverhältnis bestand.

Nach Ansicht des EuGH und der Generalanwältin Kokott kann ein solches potentielles Wettbewerbsverhältnis auch existieren, wenn Rechtsstreitigkeiten anhängig sind und Verfahrenspatente existieren. Der EuGH machte deutlich, dass die Gültigkeitsvermutung eines Patents einem Markteintritt nicht entgegensteht, da Patente grundsätzlich angefochten werden können und Art. 101 Abs. 1 AEUV sonst in diesem Zusammenhang bedeutungslos wäre. Weitere Indikatoren für das Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses sollen die Übertragung eines Vermögenswertes und der generelle Abschluss einer Vergleichsvereinbarung sein. Die Generalanwältin sah in Meinungsverschiedenheiten und damit einhergehenden Rechtsstreitigkeiten weitere Indizien für die Existenz eines Wettbewerbsverhältnisses.

  • Patente allein stellen keine unüberwindbaren Marktzutrittsschranken dar.
  • Trotz Bestehen eines (Verfahrens-)patents kann ein (potentielles) Wettbewerbsverhältnis bestehen.

Wettbewerbsbeschränkung

Meist findet im Rahmen eines solchen Patentvergleichs ein Vermögenstransfer des Originalpräparateherstellers an den Generikahersteller statt. Allein dieser kann nach Ansicht des EuGH nicht ausreichen, um eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung i.S.d. Art. 101 Abs. 1 AEUV anzunehmen. Dabei kann ein solcher Vermögenstransfer nicht nur die Form einer Zahlung, sondern auch andere Ausgestaltungen haben. Für den EuGH sind die Beweggründe der Unternehmen und die Umstände des Einzelfalls entscheidend. In Sachen Generics (UK) konnten die Unternehmen nicht nachweisen, dass es für ihren Patentvergleich eine andere Erklärung gab als die Entscheidung, nicht miteinander in Wettbewerb zu treten. 

  • Sämtliche Übertragungen von Vermögenswerten, bspw. Lizenzvergaben, sind ein Vermögenstransfer.
  • Ein Vermögenstransfer allein genügt nicht, um das Vorliegen einer (bezweckten) Wettbewerbsbeschränkung zu bejahen.
  • Eine Einzelfallbetrachtung ist entscheidend – insbesondere die Beweggründe für den Patentvergleich sind maßgeblich.

Gleiss Lutz kommentiert

Betrachtet man die bisherige Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission und des Gerichts, sind die Entwicklungen im Jahr 2020 nicht überraschend. Für die Praxis bedeutet dies vor allem, dass eine Kartellbehörde bereits sehr früh das Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen einem Originalpräparatehersteller und einem Generikahersteller bejahen wird. Für das Fehlen einer Wettbewerbsbeschränkung wird in Zukunft entscheidend sein, dass die Unternehmen ein „echtes Nachgeben“ beider Seiten nachweisen können.

Im Hinblick auf Art. 102 AEUV und den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung bleibt zu hoffen, dass der EuGH in seinen nächsten Entscheidungen Lundbeck (C-591/16) und Servier (C-176/19, C-201/19) weitere Klarheit für die Praxis schafft.

Wenn auch die Grenzen eng gesteckt wurden, sind Patentvergleiche in der Pharmabranche weiterhin ein legitimes Mittel, um „echte“ Patentstreitigkeiten beizulegen. Es empfiehlt sich aber, im Vorfeld genau zu prüfen, was die Hintergründe für einen Patentvergleich sind.

 

Autor: Juliane Langguth

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