Patentrecht

Sie sind gefragt – EU-Kommission konsultiert Patentinhaber und Standardnutzer zu standard-essenziellen Patenten

 

Die Europäische Kommission führt derzeit eine öffentliche Konsultation zu standardessenziellen Patenten („standard - essential patents“, kurz „SEPs“) durch (siehe Link). Zeitgleich erfolgte auch die Aufforderung zur Stellungnahme zu einer Folgenabschätzung („call for evidence“) zu den von der Kommission identifizierten Hauptproblemen der Lizenzierung von SEP. Mit den Konsultationen bereitet die Kommission die von ihr beabsichtigte Regulierung der SEP-Lizenzierung und -Durchsetzung vor. Beide Beteiligungsverfahren laufen noch bis zum 9. Mai 2022.

Hintergrund

Die Kommission definiert SEPs als Patente, die eine für einen Standard essenzielle Technologie schützen. Um ein Patent in einen Standard aufzunehmen, müssen sich die entsprechenden Patentinhaber verpflichten, Lizenzen für die durch das betreffende SEP geschützte Technologie an andere zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien („fair, reasonable and non-discriminatory“, kurz „FRAND“) Bedingungen zu vergeben.

Die Konflikte zwischen SEP-Inhabern und Standardnutzern (SEP-Implementierern) haben in der letzten Dekade stetig zugenommen. Im Hinblick auf IoT / 5G ist davon auszugehen, dass die Konflikte weiter zunehmen und sich ausweiten werden. Die Kommission hat sich des Themas nun angenommen und eine öffentliche Konsultation sowie eine Aufforderung zur Stellungnahme zu einer Folgenabschätzung begonnen. Die Kommission hat sich - nach eigenen Aussagen - mit dieser Initiative zum Ziel gesetzt, einen neuen Rahmen für SEPs zu schaffen, der faire und ausgewogene Rahmenbedingungen für die Lizenzierung bereitstellt. Legislative Maßnahmen, zum Beispiel eine Verordnung, sollen hierfür mit nicht-legislativen Maßnahmen kombiniert werden. Entsprechenden Handlungsbedarf hatte die Kommission bereits in ihrer Mitteilung über den Umgang der EU mit standardessenziellen Patenten aus dem Jahr 2017 (siehe Link) identifiziert (siehe dazu näher auch bereits Gleiss Lutz, „Die EU-Guidelines zur Nutzung von standardessenziellen Patenten für das Internet of Things (IoT)“ unter Link). 

Der Fokus der Kommission liegt auf drei Themenkomplexen, nämlich: der Verbesserung der Effizienz der Durchsetzung von SEPs, der Erhöhung der Transparenz, sowie der Schaffung von mehr Klarheit über FRAND-Bedingungen. Dafür konsultiert die Kommission nun Interessenträger, unter ihnen SEP Inhaber und -nutzer, aber auch Verwalter von Patentpools und Branchenverbände. Die Kommission möchte herausfinden, ob es neuer Verordnungen bedarf und/oder kartellrechtliche Vorgaben notwendig sind um bspw. die Effizienz der Lizenzierung von SEPs zu erhöhen.

Öffentliche Konsultation und Aufforderung zur Stellungnahme zu einer Folgenabschätzung

Im Rahmen der öffentlichen Konsultation versucht sich die Kommission nun ein Bild zu machen, welche Probleme bei der Lizenzierung von SEPs besonders relevant werden. Sie thematisiert verschiedenste Aspekte in ihrem Fragebogen, wovon im Folgenden nur einige herausgegriffen werden.

Mangel an Transparenz und Vorhersehbarkeit

Die Kommission adressiert das offensichtliche Problem, dass es keine Datenbanken mit detaillierten, aktuellen und leicht zugänglichen Informationen zu SEP gibt. Dies führt zur Unsicherheit darüber ob ein Patent tatsächlich standardessenziell ist und welches SEP für welchen Teil des Standards essenziell ist. Diese Unsicherheit trifft vor allem SEP-Anwender. Der SEP-Anwender weiß oft bei Entwicklung und Markteinführung seiner Produkte nicht für welche – und für wessen – Patente er überhaupt eine Lizenz erwerben müsste. Damit lässt sich die Belastung durch etwaige Lizenzgebühren im Vorhinein nicht oder nur schwer bestimmen und in die Produktentwicklung einpreisen.

Die Kommission wirft daher die Frage auf, ob und wenn ja, welche Informationen von beiden Seiten (SEP-Inhabern und SEP-Anwendern) öffentlich zur Verfügung gestellt werden sollten. So könnte der SEP-Inhaber Informationen zu etwaigen Inhaberwechseln, Produktkategorien, die den Standard nutzen, Lizenzierungsprogrammen oder Standard FRAND- Konditionen öffentlich zur Verfügung stellen. Auch Patentpools könnten Informationen öffentlich bereitstellen, bspw. die Standards, die im Pool vorhanden sind, eine Liste zertifizierter SEPs, lizenzierter Produkte, vorhandener SEP- Inhaber oder Lizenznehmer.

Die Kommission weist außerdem darauf hin, dass es im Hinblick auf SEPs momentan keine „Qualitätskontrollen“ durch unabhängige Dritte gibt, bspw. um zu bestimmen, ob das Patent (noch) essenziell ist. Sie möchte daher herausfinden, inwiefern Prüfungen der Standardessenzialität durch unabhängige Dritte sinnvoll und vorteilhaft sein könnten und welche Behörde oder Stelle dafür geeignet wäre.

Orientierung im Hinblick auf FRAND- Bedingungen

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Ausräumung von Unsicherheiten darüber, welche Lizenzbedingungen FRAND sind. Die fehlende öffentliche Verfügbarkeit von Informationen zu FRAND-Lizenzbedingungen erschwert es auf der einen Seite SEP-Anwendern, Lizenzkosten in ihre Geschäftsmodelle einzukalkulieren. Auf der anderen Seite, behindert es aber auch SEP-Inhaber darin, ihre möglichen Einnahmen vorherzusagen.

Die Kommission schlägt daher vor, Richtern und Schiedsrichtern Einsicht in vertrauliche Lizenzverträge zu gewähren um FRAND- Lizenzsätze besser bestimmen zu können. Zum anderen versucht die Kommission herauszufinden, wie sich die unterschiedliche Anwendung desselben Standards auf die FRAND- Bedingungen auswirken könnte, und bspw. welche Arten von Rabatten gewährt werden können, ohne dass es zu einer Diskriminierung kommen kann.

Lizenzierung auf welcher Stufe der Wertschöpfungskette?

Die Kommission adressiert auch explizit die Frage, auf welcher Ebene der Wertschöpfungskette lizenziert werden soll und mögliche Folgen hieraus. Die Kommission zeigt verschiedene Gestaltungsvarianten auf, bspw. eine Lizenzierung immer auf der ersten / letzten Stufe, auf einer bestimmten Komponentenebene, auf der Produktstufe, auf der die meisten Funktionalitäten der standardisierten Technologie relevant werden, usw.

Einblick in Lizenzverhandlungen

Die Kommission möchte außerdem verstehen, wie Lizenzverhandlungen zwischen SEP- Inhabern und SEP- Anwendern ablaufen. Zum einen geht es um den Zeitraum von Lizenzverhandlungen, also die Zeit zwischen der ersten Kontaktaufnahme bis zur Lizenzierung und die Probleme, die sich in diesem Zeitraum stellen. Die Kommission stellt hierbei auch auf die von der Rechtsprechung entwickelten verschiedenen Stufen in Lizenzverhandlungen ab (Erklärung des Interesses am Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRAND- Bedingungen; schriftliches Angebot des SEP- Inhabers zu FRAND- Bedingungen; Antwort des SEP- Anwenders; usw.) und versucht herauszufinden, wie lange die jeweilige Stufe andauert und auf welchen Stufen bzw. bei welchen Voraussetzungen in der Praxis noch Klärungsbedarf besteht.

Neben der zeitlichen Komponente, geht es aber auch um die Kosten zur Feststellung, welche oder wie viele SEPs man als möglicher SEP- Anwender benötigt (bspw. zum Durchsuchen von Patentdatenbanken, zur Bewertung von Durchsetzbarkeit, Bestehen und Inhaberschaft des SEPs oder der Bewertung, ob das SEP essenziell ist). Des Weiteren stellt sich die Frage, warum SEP- Anwender sich dann doch gegen die Nutzung eines Standards entscheiden (bspw. wegen alternativer Technologien mit besseren Konditionen, zu hohen Lizenzsätzen, der Verweigerung des SEP-Inhabers oder zu hohen Kosten für Verhandlungen und etwaige gerichtliche Auseinandersetzungen).

Explizit thematisiert die Kommission den sog. „hold-out“ (das opportunistische Verhalten von SEP- Anwendern, z. B. durch längst mögliches Hinauszögern einer Lizenzvereinbarung oder die Weigerung der Zahlung von Lizenzgebühren, bis man von einem Gericht dazu verurteilt wird) bzw. den sog. „hold-up“ (das opportunistische Verhalten von SEP-Inhabern, die ihre Marktmacht ausnutzen, um übermäßige Lizenzsätze oder Bedingungen zu erzielen). In der Praxis stellt sich die Frage, wann von einem sog. „hold-out“ oder „hold-up“ auszugehen ist. Die Kommission beschreibt hierfür verschiedenste Szenarien.

Rechtsschutzmöglichkeiten

Schlussendlich widmet sich die Kommission der Frage, ob ausreichend Rechtsschutz vorhanden ist (insbesondere gegen „hold-out“ und „hold-up“) und wenn ja, welche praktischen Probleme sich im Hinblick auf abweichende Gerichtsurteile oder einstweiligen Rechtsschutz stellen können. Verschiedene Gerichte können sowohl das FRAND-Konzept selbst als auch das Verfahren zur Aushandlung der FRAND- Bedingungen schließlich unterschiedlich auslegen. Die Kommission sieht auch die Gefahr hoher Durchsetzungskosten bzw. ineffizienter Durchsetzung von SEPs.

Fazit

Die öffentliche Konsultation sowie die Aufforderung zur Stellungnahme im Rahmen der Folgenabschätzung der Kommission sind zu begrüßen und bieten eine gute Gelegenheit für Standardnutzer, die Kommission auf Probleme im Zusammenhang mit SEP-Lizenzverhandlungen und etwaigen Rechtsstreitigkeiten aufmerksam zu machen. Betroffene und potentiell betroffene Unternehmen sollten sich daher jetzt an den noch laufenden Konsultationen beteiligen, um ihren Interessen Gehör zu verschaffen. Es darf erwartet werden, dass sich sämtliche wichtigen Inhaber von SEPs an den Konsultationen beteiligen werden. Umso wichtiger ist es, dass auch die Implementierer der SEPs, die Standardnutzer, ihre eigenen Erfahrungen und Verbesserungsvorschläge in die Konsultationen einbringen, um auf eine ausgewogene Lösung hinzuwirken. Die Beantwortung des Fragebogens der Konsultation bzw. Einreichung einer Stellungnahme ist daher allen Nutzern von technischen Standards dringend zu empfehlen.

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