Mit Urteil vom 19. November 2025 – IV ZR 66/25 hat der BGH eine Entscheidung des OLG Frankfurt aufgehoben. Festzuhalten ist: Die den Versicherungsschutz ausschließende Wissentlichkeit einer Pflichtverletzung muss sich auf die konkret haftungsauslösende Pflichtverletzung beziehen. Daher indiziert entgegen dem OLG Frankfurt eine (mögliche) Verletzung der Insolvenzantragspflicht als sog. Kardinalpflicht der Geschäftsleiter nicht zugleich die Wissentlichkeit weiterer insolvenzrechtlicher Pflichtverstöße. Die Gefahr von Deckungslücken im D&O-Versicherungsschutz im Insolvenzfall ist damit zwar reduziert. Aber weiterhin gilt: Wer als Geschäftsführer bei Krisenanzeichen untätig bleibt, begründet nicht nur persönliche Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken, sondern riskiert auch den Verlust des D&O-Versicherungsschutzes.
Hintergrund
In Krisenzeiten sind Geschäftsleiter mit einer Reihe insolvenzbezogener Pflichten konfrontiert. Diese erstrecken sich von der engmaschigen Überwachung und laufenden Prüfung von Insolvenzgründen bei ersten Krisenanzeichen über die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO bis hin zum Zahlungsverbot gemäß § 15b InsO nach Eintritt der Insolvenzreife. Zwar sind Ansprüche aus der Verletzung dieser Pflichten vom Versicherungsschutz einer D&O-Versicherung grundsätzlich gedeckt. Für den Fall der wissentlichen Pflichtverletzung enthalten D&O-Versicherungsbedingungen allerdings regelmäßig eine Ausschlussklausel. Für dessen Eingreifen trifft grundsätzlich den Versicherer die Darlegungs- und Beweislast. Handelt es sich jedoch um die Verletzung einer beruflichen Kardinalpflicht, greift zugunsten des Versicherers die Vermutung, dass die Pflichtverletzung wissentlich war.
Zu diesen Kardinalpflichten wird auch die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO gezählt, sodass bei ihrer Verletzung die Wissentlichkeit der Pflichtverletzung vermutet wird. Das OLG Frankfurt ging in seiner jüngeren Rechtsprechung (Urteil vom 5. März 2025 – 7 U 134/23 und Urteil vom 8. Mai 2025 – 3 U 113/22) noch einen Schritt weiter. Ein Verstoß gegen das Insolvenzantragsgebot solle nicht nur die Wissentlichkeit bzgl. § 15a InsO indizieren, sondern zugleich auch die wissentliche Verletzung des Zahlungsverbots aus § 15b InsO (vormals § 64 GmbHG a.F.) – mit weitreichenden Folgen für den D&O-Versicherungsschutz.
Leitlinien des BGH
Dem ist der BGH nun entgegengetreten und hat in seiner Entscheidung mehrere Leitlinien aufgestellt, die für Deckungsstreitigkeiten mit D&O-Versicherern künftig prägend sein werden:
- Ausschlussklauseln für wissentliche Pflichtverletzungen sind eng auszulegen. Es kommt auf das Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers an und der Deckungsschutz darf nicht weiter eingeschränkt werden, als es der Zweck der Klausel erfordere. Für das Vorliegen einer deckungsausschließenden wissentlichen Pflichtverletzung ist folglich auf die Pflichtverletzung abzustellen, wegen der die versicherte Person für den Vermögensschaden konkret in Anspruch genommen werde.
- Eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO indiziert nicht automatisch eine wissentliche Verletzung des Zahlungsverbots nach Eintritt der Insolvenzreife gemäß § 15b InsO (vormals § 64 Satz 1 GmbHG a.F.). Das Zahlungsverbot gilt bei Insolvenzreife nämlich nicht absolut, sondern erlaubt Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind. Sie ist also hinsichtlich der Voraussetzungen nicht deckungsgleich mit der Insolvenzantragspflicht.
- Wissentlichkeit setzt positive Kenntnis der verletzten Pflicht sowie subjektives Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit voraus. Damit reicht weder bedingter Vorsatz, etwa im Falle eines bewussten Sich-Verschließens gegen die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit, noch fahrlässige Unkenntnis für den Deckungsausschluss aus.
Fazit
Das Urteil des BGH schützt Unternehmen und Geschäftsleiter, indem es ein beliebtes und in letzter Zeit überstrapaziertes Verteidigungsinstrument der D&O-Versicherer in mehrerlei Hinsicht einschränkt. Künftig reicht ein pauschaler Hinweis auf eine „wissentliche Insolvenzantragspflichtverletzung“ zur Begründung eines Deckungsausschlusses nicht mehr aus, wenn die Haftung auf verbotene Zahlungen nach § 15b InsO gestützt wird. Richtigerweise muss in diesem Fall die positive Kenntnis der Unzulässigkeit genau dieser Zahlungen festgestellt werden, was in der Regel konkrete, belastbare Nachweise zur inneren Tatsachenseite verlangt.
Es ist dennoch keineswegs ausgeschlossen, dass D&O-Versicherer auch nach der BGH-Entscheidung eine wissentliche Pflichtverletzung einwenden. Inwieweit dieser Einwand am Ende durchgreifen kann, wird wie in der Vergangenheit von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängen. Eine saubere Krisen-Compliance und gerichtsfeste Dokumentation bleiben damit die entscheidenden Schutzschilde in unsicheren Zeiten.