Das LAG Baden-Württemberg stellt mit Urteil vom 14. Januar 2025 – 15 Sa 22/24 klar: Überträgt der Arbeitgeber das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) auf einen externen Dienstleister, muss er sich dessen Verfahrensfehler nach § 278 BGB zurechnen lassen. Diese können zur Unwirksamkeit der personenbedingten Kündigung führen.
Sachverhalt
Der Kläger war seit Oktober 2014 bei der Beklagten beschäftigt. Im Zeitraum von Juni 2018 bis Mai 2023 wies er erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten auf. Nach der bei der Beklagten geltenden Betriebsvereinbarung über das BEM waren zwei Verfahrensschritte vorgesehen: zuerst ein Informationsgespräch, dann das eigentliche BEM. Die Beklagte beauftragte einen externen BEM-Dienstleister, der dem Kläger im Januar 2023 ein Einladungsschreiben zum BEM übermittelte, in dem um Rückmeldung gebeten wurde, ob der Kläger ein erstes Informationsgespräch wünsche und das einen allgemein gehaltenen Hinweis auf die Verwendung von Daten enthielt. Auf Zusage des Klägers fand im Februar 2023 ein Gespräch mit dem externen BEM-Dienstleister statt, das in einem „Datenblatt Infogespräch“ überschriebenen Dokument protokolliert wurde. In dem Gespräch wurde u.a. über die Krankheiten des Klägers, seinen Arbeitsplatz, dessen Belastungen sowie Änderungswünsche und -ideen hinsichtlich seiner Arbeit gesprochen. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt nicht arbeitsunfähig und gab an, keine Einschränkungen zu haben und kein BEM zu wünschen. Der externe Dienstleister vermerkte im anschließend vom Kläger unterschriebenen Protokoll, dass der Kläger bei einer erneuten Arbeitsunfähigkeit eine erneute Einladung zum BEM erhalten werde. Nachdem der Kläger erneut arbeitsunfähig erkrankt war, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 31. Juli 2023 ordentlich zum 31. Oktober 2023. Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt.
Entscheidung
Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Das LAG Baden-Württemberg hielt die Kündigung für sozial ungerechtfertigt nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG und deshalb unwirksam.
- Übertrage der Arbeitgeber das betriebliche Eingliederungsmanagement an einen externen Dienstleister und unterliefen diesem Dienstleister Fehler bei der Durchführung, müsse der Arbeitgeber sich diese Verfahrensfehler gemäß § 278 BGB wie eigene zurechnen lassen.
- Dem externen BEM-Dienstleister seien mehrere der Beklagten zuzurechnende Verfahrensfehler bei der Durchführung des BEM unterlaufen:
- Unzureichende Aufklärung über Ziele und Datenverarbeitung: Der Dienstleister habe den Arbeitnehmer nicht konkret und verständlich über die Ziele des BEM sowie Art, Umfang, Speicherung und Verwendung der im BEM erhobenen Gesundheitsdaten informiert. Es fehlten klare Angaben dazu, welche sensiblen Daten erhoben werden, wie sie gespeichert und wem sie zu welchen Zwecken zugänglich gemacht würden. Allgemeine Hinweise auf Datenschutz oder DSGVO genügten nicht.
- Vermischung von Informationsgespräch und eigentlichem BEM: Der Arbeitgeber könne dem eigentlichen BEM ein Informationsgespräch vorschalten, müsse sich dann aber an die von ihm gewählten getrennten Verfahrensschritte halten. Entgegen dem vorgesehenen Verfahren seien bereits im Informationsgespräch Inhalte des eigentlichen BEM (z.B. Ursachen- und Arbeitsplatzanalyse) vorweggenommen und die in der Betriebsvereinbarung festgelegte Trennung der Verfahrensschritte missachtet worden.
- Irreführende Kommunikation: Es sei als widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers zu werten, wenn dem Arbeitnehmer zunächst suggeriert werde, er befinde sich in einem reinen, vorangelagerten Informationsgespräch, in dem weder der drohende Arbeitsplatzverlust deutlich gemacht noch darauf hingewiesen wurde, dass die Ablehnung eines BEM arbeitsrechtliche Konsequenzen haben werde, und ihm anschließend bei erneuter Arbeitsunfähigkeit die krankheitsbedingte Kündigung ausgesprochen werde.
- Im vorliegenden Fall sei ein BEM aufgrund der Fehlzeiten des Klägers nach § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX erforderlich gewesen. Es sei davon auszugehen, dass der Nichtstart des BEM auf den Fehlern bei der Einleitung des BEM wie der unzureichenden Aufklärung beruhe.
- Die Beklagte habe die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass auch ein BEM nicht dazu hätte beitragen können, zukünftige Arbeitsunfähigkeitszeiten zu vermeiden und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Dieser sei sie nicht nachgekommen.
Gleiss Lutz kommentiert
Arbeitgeber müssen vor einer krankheitsbedingten Kündigung grundsätzlich angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten prüfen. Diese können etwa in Arbeitsplatzalternativen, Umgestaltungsmaßnahmen oder auch Hilfen bzw. Leistungen des Rehabilitationsträgers liegen. Die Durchführung eines BEM konkretisiert insoweit den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, sodass eine krankheitsbedingte Kündigung ohne vorherige Durchführung eines BEMs in der Regel unwirksam ist.
Lehnt ein Arbeitnehmer die Durchführung eines BEM ab, spricht dies grundsätzlich dagegen, dass durch das BEM mildere Mittel als die Kündigung hätten identifiziert werden können. Hierzu ist aber erforderlich, dass bei Einladung zum BEM ordnungsgemäß auf dessen Ziele hingewiesen wird und ein umfassender Datenschutzhinweis erfolgt, welche Daten erhoben, verwendet, gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Fehlen diese Hinweise oder sind sie unvollständig, geht die Rechtsprechung davon aus, dass die Ablehnung hierauf beruhte und anderenfalls mildere Mittel hätten identifiziert werden können. Mit der vorliegenden Entscheidung stellt das LAG klar, dass das Outsourcing des BEM-Prozesses den Arbeitgeber nicht von den Verpflichtungen zur ordnungsgemäßen Durchführung entbindet.
Auch im Fall einer Ablehnung des BEM nach einer ordnungsgemäßen Einladung besteht grundsätzlich die Obliegenheit, bei erneuter Erkrankung erneut den Versuch eines BEM zu unternehmen. Geschieht dies nicht, obliegt es im Kündigungsschutzverfahren dem Arbeitgeber, darzulegen, dass auch ein neuerliches BEM nicht dazu hätte beitragen können, zukünftige Arbeitsunfähigkeitszeiten zu vermeiden und das Arbeitsverhältnis zu erhalten.
Die Entscheidung des LAG betont nochmals die Relevanz, Einladungen zum BEM, Informationsschreiben und Datenschutzangaben aktuell und vollständig zu halten und mit konkreten Angaben zu versehen – und dies auch bei einer Durchführung durch einen externen Dienstleister zu kontrollieren. Ist das Vorgehen in einer Betriebsvereinbarung geregelt, sind deren Vorgaben einzuhalten. Wird – wie im vorliegenden Fall – zunächst ein Informationsgespräch vorgesehen, sind die Stufen sauber zu trennen und es darf im Informationsgespräch noch keine Ursachen-/Maßnahmenanalyse stattfinden.