Patentstreitigkeiten im einheitlichen Patentgericht

(Unified Patent Court, UPC)

Seit dem Start des Europäischen Einheitspatentsystems am 1. Juni 2023 vertritt Gleiss Lutz Mandanten erfolgreich in Patentstreitigkeiten vor dem Einheitlichen Patentgericht (UPC). Unser Team war an einem der ersten wegweisenden Urteile des UPC (zum Opt-Out) beteiligt. Die Rechtsprechung des UPC wird ein neues einheitliches Patentrecht in Europa entwickeln. Die deutschen Lokalkammern nehmen dabei eine führende Rolle ein. Die ersten Entscheidungen zeigen, dass es dabei nicht nur um Fragen des materiellen Patentrechts geht, sondern insbesondere auch um zivilprozessuale Fragestellungen. Unsere erfahrenen Prozessrechtsspezialisten sind bestens aufgestellt, um Mandanten erfolgreich durch die UPC-Verfahren zu navigieren. Ihre Expertise ist auch durch das Handbuch Europäischer Patentprozess von Bopp/Kircher (C.H. Beck-Verlag) ausgewiesen, dessen Mitautoren sie sind.

Zuständigkeit – Wann zum UPC?

Das UPC ist ein supranationales Gericht, an dem derzeit 17 (perspektivisch: 24) Mitgliedsstaaten der Europäischen Union teilnehmen. Seine Grundlage ist das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (UPCA), das zwischen der überwiegenden Zahl der Mitgliedsstaaten der EU abgeschlossen wurde. 

Zuständig ist das UPC für „Europäische Patente“, und zwar ausschließlich für das neue Einheitspatent (Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung, UP) sowie nach Wahl des Patentinhabers für das herkömmliche Europäische Patent (EP), das mit Patenterteilung in ein Bündel nationaler Patene zerfällt.

Das UPC entscheidet prinzipiell über alle aus nationalen Patentstreitigkeiten bekannten Verfahrensarten, d. h. insbesondere über Verletzungsklagen, einstweilige Verfügungen, Beweissicherungen bzw. Besichtigungen, Feststellungklagen auf Nichtverletzung sowie Nichtigkeitsklagen. Seine Entscheidungen gelten in allen teilnehmenden Mitgliedsstaaten. Darüber hinaus wird dem UPC „long arm jurisdiction“ zugesprochen, d. h. es kann unter bestimmten Voraussetzungen über die Verletzung eines EP in einem EPÜ-Mitgliedsstaat entscheiden, der am UPC nicht teilnimmt. 

Übergangsregelung für Europäische Patente – Opt-out?

Für die klassischen Bündelpatente gilt eine Übergangsregelung bis mindestens 2030:

  • Grundsätzlich hat der Patentinhaber die Wahl, ob er aus einem Bündelpatent vor einem nationalen Gericht vorgeht oder ob er Verletzungsklage beim UPC erhebt. Umgekehrt können auch Nichtigkeitsklagen entweder bei den nationalen Gerichten oder beim UPC erhoben werden.
  • Solange noch keine Klage beim UPC erhoben wurde, kann der Inhaber ein sog. Opt-Out erklären. Dann sind für die Übergangszeit weiterhin ausschließlich die nationalen Gerichte zuständig. 
  • Ein solches Opt-Out kann der Inhaber jederzeit zurücknehmen, solange vor oder nach dem Opt-Out noch keine Klage vor einem nationalen Gericht erhoben wurde. Andernfalls kann das Opt-Out nicht mehr zurückgenommen werden und führt zum endgültigen Ausschluss des EP vom UPC. 
  • Wenn ein EP – auch bereits vor dem Start des UPC – Gegenstand eines nationalen Verfahrens in einem Mitgliedsstaat des UPCA war, sollte der Patentinhaber ein Opt-Out jedenfalls dann nicht erklären, wenn er sich vorbehalten möchte, das EP im UPC durchzusetzen. 

Welche Standorte hat das UPC und wie ist es aufgebaut?

Das UPC besteht aus zwei Instanzen. Das Gericht erster Instanz ist dezentral aufgebaut und setzt sich zusammen aus Lokal-/Regionalkammern einerseits und der Zentralkammer andererseits. Abschließend entscheidet das Berufungsgericht mit Sitz in Luxemburg. 

Grafik zum Aufbau des UPC

 

Das UPC kann dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung von EU-Recht vorlegen (z. B. zur Einheitspatent-Verordnung (EU) Nr. 1257/2012).

Für Verletzungsverfahren sind erstinstanzlich für die ganz überwiegende Zahl der Fälle die Lokalkammern bzw. die Regionalkammer zuständig. Es gibt 13 Lokalkammern in 10 verschiedenen Ländern, davon vier in Deutschland (Düsseldorf, Hamburg, Mannheim, München). Aktuell gibt es nur eine Regionalkammer, nämlich die nordisch-baltische Regionalkammer, die staatenübergreifend Standorte in Schweden und den drei baltischen Staaten hat. Die Zuständigkeit der Lokal- und Regionalkammern richtet sich in erster Linie nach dem Sitz des Beklagten oder dem Ort der Patentverletzung. Tatsächlich sind die Zuständigkeitsvorschriften recht komplex und eröffnen für Kläger interessante Möglichkeiten des Forum-Shopping.

Für isolierte Nichtigkeitsklagen ist die Zentralkammer mit Standorten in Paris, München und Mailand (ab Juni 2024) zuständig.

Wie sind die Spruchkörper besetzt?

Lokal- bzw. Regionalkammern sind grundsätzlich mit drei rechtlich qualifizierten Richtern besetzt. Auf Antrag jeder Partei oder von Amts wegen nach Anhörung der Parteien kann ein technisch qualifizierter Richter hinzugezogen werden. 

Spruchkörper UPC


Der Antrag auf Hinzuziehung eines technischen Richters kann auch bereits in einer Schutzschrift gestellt werden. Die Richter haben unterschiedliche Nationalitäten, wobei die deutschen Lokalkammern jeweils zwei deutsche Richter umfassen.

Die Zentralkammer ist regelmäßig mit zwei rechtlich qualifizierten Richtern und einem technisch qualifizierten Richter besetzt. 

Spruchkörper UPC 2

 

Das Berufungsgericht ist regelmäßig mit drei rechtlich und zwei technisch qualifizierten Richtern besetzt.

Spruchkörper UPC 3

Was ist die Verfahrenssprache?

Vor den einzelnen Lokalkammern werden die Verfahren regelmäßig in der Sprache des jeweiligen Mitgliedsstaats geführt, in dem die Lokalkammer ihren Sitz hat. Zusätzlich ist Englisch als Verfahrenssprache bei allen Lokalkammern zugelassen. Verfahrenssprache der Nordisch-Baltischen Regionalkammer ist ebenfalls Englisch. 

Vor der Zentralkammer ist die Verfahrenssprache die Sprache des Patents.

Das Verfahren vor dem Berufungsgericht wird in derselben Sprache geführt wie das erstinstanzliche Verfahren. Bei entsprechender Parteivereinbarung kann das Berufungsverfahren auch in der Sprache des Patents geführt werden.

Wie läuft ein Verletzungsverfahren vor dem UPC ab?

Das Verfahren vor dem UPC unterliegt einem straffen durch die Verfahrensordnung vorgegebenen Zeitplan, dessen Ziel es ist, in der Regel etwa ein Jahr nach Klageerhebung eine mündliche Verhandlung abzuhalten und kurz darauf eine Entscheidung herbeizuführen.

Das Verfahren gliedert sich in drei Abschnitte: 

Grafik zum Verletzungsverfahren


Im schriftlichen Verfahren tragen die Parteien nach einem festgelegten Fristenregime den Streitstoff vor. Dabei beträgt die Klageerwiderungsfrist drei Monate, die Replikfrist für den Kläger zwei Monate und die Duplikfrist für den Beklagten je nach Fallgestaltung ein bis zwei Monate. Das Fristenregime für eine etwaige Nichtigkeitswiderklage durch den Verletzungsbeklagten und einen Antrag auf Änderung/Beschränkung des Patents durch den Patentinhaber ist an das Fristenregime des Verletzungsverfahrens zeitlich angeglichen.

Im Anschluss folgt das Zwischenverfahren, das zum einen der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung dient, zum anderen Einigungsmöglichkeiten zwischen den Parteien klären soll. Das Zwischenverfahren kann fakultativ auch eine Zwischenanhörung umfassen, die vorzugsweise als Telefon- oder Videokonferenz stattfindet. Die Verfahrensleitung liegt hier beim Berichterstatter.

Den letzten Verfahrensabschnitt bildet die mündliche Verhandlung. Die Verfahrensleitung wechselt hier zum Vorsitzenden Richter. Das Gericht ist gehalten, die Entscheidung innerhalb von sechs Wochen nach der mündlichen Verhandlung schriftlich abzusetzen.

Einheits- oder Trennungssystem?

Anders als bei dem im deutschen Recht bekannten Trennungssystem, hat das UPC die Kompetenz, sowohl über die Verletzung eines Europäischen Patents als auch über dessen Rechtsbestand zu entscheiden (Einheitssystem). Es hat die Befugnis, ein Europäisches Patent mit Wirkung für sämtliche Staaten ganz oder teilweise für nichtig zu erklären. Stehen – wie regelmäßig –  sowohl die Verletzung als auch der Rechtsbestand eines Patents in Streit, kommen folgenden Konstellationen in Betracht:

  • Wird innerhalb eines laufenden Verletzungsverfahrens Nichtigkeitswiderklage erhoben, so kann die mit der Sache befasste Lokal- oder Regionalkammer hierüber – ggf. nach Zuziehung eines technisch qualifizierten Richters – mitentscheiden. Alternativ kann sie die Widerklage an die Zentralkammer verweisen und das Verletzungsverfahren aussetzen. Mit Zustimmung der Parteien kann die Lokalkammer den Rechtsstreit auch insgesamt an die Zentralkammer verweisen. Wie die Lokal-/Regionalkammer das Verfahren führt, steht in ihrem Ermessen. Im Regelfall wird die Lokalkammer über beide Aspekte – Verletzungsfrage und Rechtsbestand – selbst entscheiden. 
Kompetenzen des UPC

 

  • Ist umgekehrt eine isolierte Nichtigkeitsklage bei der Zentralkammer anhängig, so hat der Patentinhaber die Wahl, wo er eine Verletzungsklage anhängig macht. Es ist sowohl möglich, die Verletzungsklage bei der Zentralkammer zu erheben als auch bei jeder zuständigen Lokal-/Regionalkammer.

Das Berufungsgericht entscheidet einheitlich über Verletzungs- und Nichtigkeitsaspekte des Rechtsstreits. 

Beweisführung – Was gilt?

Das UPC vereint Elemente der angelsächsischen und der kontinentaleuropäischen Prozessführung. Eine Discovery ist jedoch nicht vorgesehen. Vielmehr ist es Sache der beweisbelasteten Partei, geeignete Beweismittel zu beschaffen und vorzulegen. Dabei sollten die Parteien umfangreicher von Beweismitteln, wie z. B. Gutachten, technischen Berichten und schriftlichen Zeugenaussagen (Affidavits), Gebrauch machen als dies etwa im nationalen Verfahren vor deutschen Gerichten üblich ist. Auch sieht das UPCA in bestimmten Fällen eine Beweislastumkehr vor. Darüber hinaus kann das Gericht eine Beweisvorlage anordnen, wenn sich Beweismittel in der Verfügungsgewalt des Gegners oder eines Dritten befinden. Außerdem besteht ein eng an die französische Saisie contrefaçon angelehntes Verfahren zur Beweissicherung und zur Inspektion von Räumlichkeiten, das auch ex parte, d. h. ohne vorherige Anhörung des Gegners, stattfinden kann.

Rechtsschutzziele – Was kann man vor dem UPC erreichen?

Das Spektrum der Rechtsschutzziele einer Verletzungsklage entspricht im wesentlichen dem Standard, der EU-weit bereits seit 2008 durch die Enforcement-Richtlinie vorgegeben ist. Als wichtigste Rechtsschutzziele stehen die Untersagungsverfügung sowie Auskunft und Schadensersatz im Zentrum. Daneben können z. B. auch Vernichtung, Rückruf oder ein endgültiges Entfernen der patentverletzenden Gegenstände aus den Vertriebswegen angeordnet werden.

UPC - Rechtsschutzziele 1

 

Umgekehrt bilden die Feststellung der Nichtverletzung eines Patents (negative Feststellungsklage) und die Feststellung der Nichtigkeit eines Patents die wichtigsten defensiven Rechtsschutzziele.

UPC - Rechtsschutzziele 2

Einstweiliger Rechtsschutz und Schutzschriften – Welche Möglichkeiten bietet das UPC?

Das UPCA sieht ein differenziertes System an Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes vor, die in das Ermessen des UPC gestellt sind. Neben einer einstweiligen (Untersagungs-)verfügung kann das Gericht auch die Beschlagnahme oder Herausgabe von Erzeugnissen anordnen, die im Verdacht der Patentverletzung stehen.  Zudem kann das Gericht Maßnahmen der Beweissicherung, u. a. auch eine Besichtigung, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes anordnen. Schließlich sieht das UPCA die sog. vorsorgliche Beschlagnahme vor, die auf das (gesamte) bewegliche oder unbewegliche Vermögen des mutmaßlichen Rechtsverletzers abzielt und auch die Möglichkeit einer Sperrung von Bankkonten umfasst.

UPC Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes


Die vorgenannten Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes kann das UPC nicht nur inter partes, sondern auch ex parte, d. h. ohne vorherige Anhörung des Gegners, erlassen. Um das Risiko einer ex parte Untersagungsverfügung zu reduzieren, kann eine Schutzschrift beim UPC hinterlegt werden. Eine bei Gericht hinterlegte Schutzschrift wird für sechs Monate vorgehalten.

Fazit

Das UPC entwickelt in hoher Geschwindigkeit ein neues materielles Europäisches Patentrecht sowie ein neues Patentprozessrecht. Es gibt keinen triftigen Grund, den Gang zum UPC zu scheuen. Das UPC verfügt über sehr erfahrene Richter und ist selbst daran interessiert, ein Erfolg zu werden. Die Entscheidungen des UPC weisen bislang eine hohe Qualität auf. Das UPC bietet interessante Möglichkeiten des Forum Shopping. Es eröffnet die Chance, neue Rechtsschutzmöglichkeiten zu entwickeln. Die Patentprozessexperten von Gleiss Lutz sind bestens aufgestellt, Mandanten in den Verfahren vor dem UPC zu vertreten.

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