Compliance & Investigations

Zur Verantwortlichkeit von Finanz- und Private Equity-Investoren für Kartellrechtsverstöße ihrer Portfoliogesellschaften

Mit Urteil vom 12. Juli 2018 hat das Gericht der Europäischen Union erstmals zur Verantwortlichkeit von Finanz- und Private Equity-Investoren für Kartellrechtsverstöße ihrer Portfoliogesellschaften Stellung genommen (Rs. T-419/14 – The Goldman Sachs Group / Europäische Kommission). Nach Auffassung des Gerichts kann die Europäische Kommission auch gegenüber Finanzinvestoren gesamtschuldnerische Geldbußen festsetzen, wenn diese im konkreten Fall bestimmenden Einfluss auf das Marktverhalten ihrer Portfoliogesellschaften ausgeübt haben. Hält ein Finanzinvestor (nahezu) 100% der Anteile oder Stimmrechte der Portfoliogesellschaft, wird die tatsächliche Ausübung bestimmenden Einflusses widerleglich vermutet werden. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte die Europäische Kommission gegenüber der Prysmian S.p.A. – einem italienischen Hersteller von Hoch- und Höchstspannungs-Erd- und Seekabelsystemen – und der US-amerikanischen Investmentbank, The Goldman Sachs Group, Inc., eine gesamtschuldnerische Geldbuße von EUR 37.303.000 verhängt.

Zur gesamtschuldnerischen Verantwortlichkeit von Konzerngesellschaften im europäischen Wettbewerbsrecht

Verstoßen Mitarbeiter einer Konzerngesellschaft gegen europäisches Wettbewerbsrecht, kann die Kommission nicht nur gegenüber der unmittelbar an der Zuwiderhandlung beteiligten Gesellschaft, sondern auch gegenüber weiteren Gesellschaften des Konzerns (typischerweise gegenüber Konzernobergesellschaften und insbesondere gegenüber der Konzernmuttergesellschaft) Geldbußen festsetzen. Die sanktionierten Konzerngesellschaften sind gegenüber der Kommission als Gesamtschuldner zur Zahlung der Geldbuße verpflichtet.

Voraussetzung: Bestehen einer wirtschaftlichen Einheit

Voraussetzung ist, dass zwischen der unmittelbar an der Zuwiderhandlung beteiligten Gesellschaft und der weiteren Konzerngesellschaft eine wirtschaftliche Einheit besteht:

  • Eine wirtschaftliche Einheit zwischen einer Konzernmuttergesellschaft und ihrer unmittelbar an der Zuwiderhandlung beteiligten Tochtergesellschaft besteht nach der Rechtsprechung, wenn „die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt“.
  • Dies ist der Fall, wenn die Muttergesellschaft erstens in der Lage ist, bestimmenden Einfluss auf das Marktverhalten der Tochtergesellschaft auszuüben, und diesen bestimmenden Einfluss zweitens zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung auch tatsächlich ausgeübt hat.
  • Ob eine Tochtergesellschaft dem bestimmenden Einfluss ihrer Muttergesellschaft unterliegt, ist im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Verbindungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft relevanten Gesichtspunkte zu entscheiden.
  • Auf eine Beteiligung der Mutter- an der Zuwiderhandlung ihrer Tochtergesellschaft kommt es nicht an.
  • Hält die Muttergesellschaft (nahezu) 100% Prozent der Anteile oder Stimmrechte ihrer Tochtergesellschaft, ist der konkrete Nachweis für eine tatsächliche Ausübung bestimmenden Einflusses entbehrlich. Stattdessen wird aus der bestehenden Möglichkeit zur Ausübung bestimmenden Einflusses im Wege einer widerleglichen Vermutung auf dessen tatsächliche Ausübung geschlossen. Obwohl die „Nahezu-100%-Vermutung“ nach der Rechtsprechung widerleglich ist, ist es bislang keiner Muttergesellschaft in der Praxis gelungen, diese zu widerlegen. Bestehen darüber hinaus personelle Verflechtungen, oder sind Vertreter der Muttergesellschaft in Entscheidungsorganen oder Beiräten vertreten, dürfte die Widerlegung der Vermutung in der Praxis nahezu ausgeschlossen sein.   

Folgen: Auswirkungen auf die Höhe der Geldbuße

Besteht eine wirtschaftliche Einheit zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft, wird nicht nur der Kreis der potentiellen Adressaten eines Kommissionsbeschlusses erweitert und so die Anzahl der potentiellen Schuldner einer Geldbuße erhöht. Insbesondere hat das Bestehen einer wirtschaftlichen Einheit erhebliche Auswirkungen auf die Höhe der Geldbuße. So stellen die Unionsorgane bei der Bußgeldbemessung (insbesondere bei der Anwendung der 10%-Kappungsgrenze nach Art. 23 Abs. 2 der VO 1/2003) nicht auf den Umsatz der unmittelbar an der Zuwiderhandlung beteiligten Gesellschaft ab, sondern auf den Umsatz des Unternehmens verstanden als wirtschaftliche Einheit, mithin in aller Regel auf den auf Ebene der Muttergesellschaft konsolidierten konzernweiten Gesamtumsatz.

Übertragbarkeit auf Finanz- und Private Equity-Investoren

Der Fall wirft die Frage auf, ob sich das Konzept der gesamtschuldnerischen Verantwortlichkeit von Konzerngesellschaften – und dabei insbesondere die Nahezu-100%-Vermutung – auf Finanz- und Private Equity-Investoren übertragen lässt. Nach Auffassung des Gerichts unterscheidet das europäische Wettbewerbsrecht nicht danach, ob es sich bei dem Unternehmen, dessen Verantwortlichkeit für eine Zuwiderhandlung gegen die europäischen Wettbewerbsregeln begründet werden soll, zumindest dem abstrakten Geschäftsmodell nach, um einen Finanzinvestor, etwa einen Private Equity-Investor, ein Versicherungsunternehmen oder eine Gesellschaft, die Treuhänder eines Pensionsfonds ist, handelt. Das Gericht betont, dass es sich bei dem „reinen Finanzinvestor“ nicht um ein rechtliches Kriterium, sondern um ein Beispiel für einen Umstand handelt, in dem es einer Muttergesellschaft offensteht, die Vermutung der tatsächlichen Ausübung bestimmenden Einflusses zu widerlegen. Das Gericht versteht unter einem „reinen Finanzinvestor“ einen Anleger, der zwar Anteile an einer Gesellschaft hält, um Gewinne zu erzielen, diese aber nicht zum Zwecke der Verwaltung und Kontrolle einsetzt.

Kriterien, die nach Auffassung des Gerichts im konkreten Fall darauf hindeuten können, dass es sich nicht um einen „reinen Finanzinvestor“ handelt, sind:

  • Der Finanzinvestor verfügt über die Möglichkeit, die personelle Zusammensetzung der Entscheidungsorgane allein zu bestimmen;
  • der Finanzinvestor hat das Recht, Gesellschafterversammlungen einzuberufen und die Abberufung einzelner oder sämtlicher Mitglieder der Entscheidungsorgane vorzuschlagen, und kann auf diese Weise die von den Organen getroffenen Entscheidungen maßgeblich beeinflussen;
  • der Finanzinvestor ist mit mehr als 50% der Mitglieder in den Entscheidungsorganen vertreten;
  • die entsandten Vertreter erhalten regelmäßige Updates und monatliche Berichte und werden über alle Geschäftsfelder und über alle Tätigkeiten unterrichtet.

Fazit und Folgen für die Praxis

Das Urteil des Gerichts unterstreicht die Bedeutung von Compliance-Maßnahmen im Zusammenhang mit Transaktionen. Die Existenz eines konzernweiten Compliance-Programms wirkt sich nach der bisherigen behördlichen und gerichtlichen Praxis zwar nicht bußgeldmindernd aus und kann – im Gegenteil – sogar als ein Faktor herangezogen werden, um die tatsächliche Ausübung bestimmenden Einflusses einer Muttergesellschaft auf das Marktverhalten ihrer Tochtergesellschaft zu begründen. Dennoch sollten auch Finanz- und Private Equity-Investoren angesichts der bestehenden Haftungsrisiken nicht nur im Vorfeld einer Transaktion eventuelle kartellrechtliche Risiken im Wege einer Compliance Due Diligence identifizieren, sondern auch während der Dauer ihrer Beteiligung durch die Errichtung einer effektiven Compliance-Organisation auf Ebene ihrer Portfoliogesellschaften minimieren.

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