Arbeitsrecht

Vorschlag der EU-Kommission zur Änderung der Richtlinie über Europäische Betriebsräte

Die Europäische Kommission hat am 24. Januar 2024 einen Entwurf zur Änderung der Richtlinie über Europäische Betriebsräte vorgelegt. Der Vorschlag soll die Wirksamkeit der Arbeitnehmerbeteiligung erhöhen. Transnational tätige Unternehmen sollten schon jetzt einen Blick auf die möglichen Änderungen werfen, die der deutsche Gesetzgeber möglicherweise bald umsetzen muss. Nachfolgend wird dargestellt, an welchen Stellschrauben der Vorschlag ansetzt, welche alten Probleme er löst und welche neuen Probleme er möglicherweise verursacht.

Hintergrund und Ziele des Änderungsvorschlags

Der Vorschlag zur Änderung der EBR-Richtlinie (im Folgenden: RLE) ist die Reaktion der Europäischen Kommission auf den Entschließungsantrag des Europäischen Parlaments vom Februar 2023. Das erklärte Ziel des Änderungsvorschlags ist, vermeintliche Unzulänglichkeiten der bestehenden Richtlinie 2009/38/EG (im Folgenden: EBR-RL) zu beheben. Eine hauseigene Evaluierung der Kommission aus dem Jahre 2018 war insbesondere zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Europäischer Betriebsrat bei der Hälfte der in Frage kommenden Unternehmen nicht eingerichtet war. Wenn ein Europäischer Betriebsrat bestehe, würden dessen Rechte auf Unterrichtung und Anhörung bei länderübergreifenden Maßnahmen häufig ignoriert. Oft fehle es auch an einer Möglichkeit des Europäischen Betriebsrats, seine bestehenden Rechte gerichtlich durchzusetzen.

Zentraler Änderungsvorschläge der Kommission

Im Folgenden stellen wir vor, welche zentralen Maßnahmen die Kommission vorschlägt, um den von ihr festgestellten Befund zu beseitigen und welche Folgen sich daraus ergeben: 

  • Neuer Begriff der länderübergreifenden Maßnahme: Bislang bedurfte es einer direkten Betroffenheit von Arbeitnehmern, um die Beteiligungsrechte des Europäischen Betriebsrats zu aktivieren. Nach Art. 1 Abs. 4 RLE soll das Vorliegen einer länderübergreifenden Angelegenheit künftig bereits dann gesetzlich vermutet werden, wenn Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat von den Folgen einer Maßnahme nach vernünftigem Ermessen betroffen sein können (engl. „reasonably expected“). Das notwendige Maß an Betroffenheit lässt der Vorschlag offen. Anstatt den Parteien eine handfeste Definition an die Hand zu geben, führt dieser Vorschlag dazu, dass künftig zusätzlich darüber gestritten wird, welche Arbeitnehmer die Maßnahme möglicherweise mittelbar betrifft. 
  • Durchsetzung der Beteiligungsrechte: Nach § 1 Abs. 5 S. 1 EBRG ist in Deutschland bereits vorgesehen, dass die zentrale Leitung auf eine Stellungnahme des Europäischen Betriebsrats mit einer begründeten Antwort reagieren muss. Eine solche verpflichtende Antwort ist in der bisherigen EBR-RL nicht vorgesehen, soll aber nach dem Kommissionvorschlag nun eingefügt werden. Neu ist dabei, dass der Betriebsrat eine Antwort erhalten soll, bevor die zentrale Leitung ihren Beschluss über die vorgeschlagene Maßnahme gefasst hat. Dass der deutsche Gesetzgeber deshalb einen – bisher in der Literatur umstrittenen, von der (Instanz-)Rechtsprechung aber einhellig abgelehnten – Unterlassungsanspruch des Europäischen Betriebsrats in das EBRG aufnehmen muss, regelt der Kommissionsvorschlag nicht ausdrücklich. Eine solche ausdrückliche Regelung hatte das Europäische Parlament aber in seinem Entschließungsantrag angeregt. Art. 11 Abs. 2 a) RLE gibt den Mitgliedsstaaten stattdessen nur auf, dem Betriebsrat angemessene Verfahren zur Verfügung zu stellen, um die sich aus der Richtlinie ergebenden Rechte und Pflichten rechtzeitig und wirksam durchsetzen zu können. Insoweit scheint die Richtlinie also weiterhin nur in ihren Zielen verbindlich zu sein (Art. 288 Abs. 3 AEUV). Danach stünde es im Ermessen des deutschen Gesetzgebers, welcher Mittel er sich zur Zielerreichung bedient. Ob der deutsche Gesetzgeber einen Unterlassungsanspruch des Europäischen Betriebsrats in das nationale Recht einfügt, bleibt derzeit also noch abzuwarten.
  • Beendigung der Ausnahmeregelungen für Alt-Vereinbarungen: Mit der Streichung des Art. 14 EBR-RL könnten nach der Pressemitteilung der Europäischen Kommission zusätzliche 5,4 Mio. Beschäftigte in 320 multinationalen Unternehmen, in denen bereits Vereinbarungen bestehen, die Einrichtung eines EBR beantragen. Art. 14a RLE legt Übergangsbestimmungen für Alt-Vereinbarungen fest. Abhängig vom jeweiligen Alter der bisherigen Vereinbarung muss diese ersetzt oder zumindest an die überarbeiteten Anforderungen des Änderungsvorschlags angepasst werden. Betroffene Unternehmen sollten bereits jetzt ihre bestehenden Beteiligungsvereinbarungen prüfen, um nicht von der Neuregelung überrascht zu werden.
  • Wirksame Sanktionen für die Verletzung von Beteiligungspflichten: Der Vorschlag der Kommission gibt Anlass zu der Vermutung, dass die Bußgelder im EBRG angepasst werden müssen. Das maximale Bußgeld für die Verletzung von Beteiligungspflichten beträgt derzeit 15.000 Euro (§ 45 Abs. 1 Nr. 2 EBRG i.V.m. § 45 Abs. 2 EBRG). Zwar hat sich die Kommission gegen eine – gewerkschaftlich geforderte – Regelung entschieden, nach der sich die Höhe des Bußgelds an den Beträgen in der DSGVO orientieren sollte. Allerdings sind nach Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 3 RLE künftig die Schwere, Dauer, Folgen und der vorsätzliche oder fahrlässige Charakter der Ordnungswidrigkeit sowie die Größe und die finanzielle Lage des sanktionierten Unternehmens zu berücksichtigen. Art. 11 Abs. 2 b) RLE normiert außerdem die Maßgabe, dass die zu verhängenden Sanktionen wirksam, abschreckend und verhältnismäßig sein müssen. Es bleibt abzuwarten, ob und wie der Gesetzgeber die nationalen Sanktionsregelungen anpasst und ob er neben aufsichtsrechtlichen Bußgeldzahlungen weitere Sanktionen vorsehen wird.
  • Ausgewogene Geschlechterverhältnisse: Nach Art. 6 Abs. 2a RLE müssen die Betriebsparteien erforderliche Vorkehrungen treffen, um bei Neuverhandlungen einer Beteiligungsvereinbarung zu gewährleisten, dass Frauen und Männer jeweils mindestens 40 % der Mitglieder des Europäischen Betriebsrats und gegebenenfalls mindestens 40 % der Mitglieder des engeren Ausschusses ausmachen. Für das besondere Verhandlungsgremium fehlen solche Mindestwerte. Seine Besetzung sei aber auf eine Weise zu vollziehen, die eine ausgewogene Vertretung der Geschlechter anstrebt. Ob und welche Folgen an das Nichterreichen der angestrebten Verhältnisse geknüpft werden, ist nicht vorgesehen. Bleibt es dabei, hat der nationale Gesetzgeber insoweit einen Entscheidungsspielraum.
  • Finanzielle Ressourcen: Weil es sich dabei um einen ständigen Streitpunkt handelt, müssen die nationalen Gesetzgeber nach dem Kommissionsvorschlag künftig sicherstellen, dass die finanziellen und materiellen Ressourcen des Europäischen Betriebsrats ausdrücklich in den Beteiligungsvereinbarungen geregelt werden. Das soll die Unterstützung durch (Rechts-)Experten, Kosten der Rechtsverfolgung und Schulungen umfassen. Außerdem sollen die Parteien das Format der EBR-Sitzungen festlegen müssen, wobei auch (kostenschonendere) virtuelle Formate in Frage kommen. Beides soll nicht nur künftige, sondern auch bestehende Vereinbarungen betreffen, die deshalb möglicherweise angepasst werden müssen. 

Ausblick

Der Kommissionsvorschlag muss nun vom Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten erörtert werden, wobei die Verabschiedung der finalen Richtlinie voraussichtlich in die Legislaturperiode der nächsten Europäischen Kommission fällt. Sollten die wesentlichen Regelungen des Entwurfs im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens Bestand haben, ist davon auszugehen, dass es zukünftig zu einer Vielzahl neuer bzw. neu verhandelter Beteiligungsvereinbarungen kommen wird. Von der Richtlinie betroffene Unternehmen sollten sich daher schon jetzt mit möglichen Konsequenzen befassen.

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