Entsendet der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer vorübergehend ins Ausland, sind die für Hin- und Rückreise erforderlichen Zeiten wie Arbeit zu vergüten.
BAG, Urteil vom 17. Oktober 2018 – 5 AZR 553/17
Der Arbeitnehmer ist als technischer Mitarbeiter bei einem Bauunternehmen angestellt und arbeitsvertraglich verpflichtet, auf wechselnden Baustellen im In- und Ausland zu arbeiten. Auf sein Arbeitsverhältnis findet der Rahmentarifvertrag für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes (RTV-Bau) Anwendung. Im Jahr 2015 wurde der Arbeitnehmer für zwölf Wochen auf eine Baustelle in China entsandt. Der hierzu mit dem Arbeitgeber abgeschlossene Entsendevertrag enthielt keine Regelung zur Vergütung von Reisezeiten. Der Arbeitnehmer flog – auf eigenen Wunsch – nicht in der Economy Class auf direktem Wege nach China und zurück, sondern bat den Arbeitgeber um einen längeren Flug in der Business Class mit Zwischenlandung in Dubai. Der Arbeitgeber zahlte dem Arbeitnehmer für vier Reisetage, ausgehend vom arbeitsvertraglich vereinbarten 8-Stunden-Tag, eine Vergütung für insgesamt 32 Stunden. Die tatsächliche Reisezeit lag bei 69 Stunden. Der Arbeitnehmer begehrt Vergütung für weitere 37 Reisestunden.
Das BAG bestätigt in seiner Entscheidung die Auffassung des Arbeitnehmers, dass Entsendungen ins Ausland im ausschließlichen Interesse des Arbeitgebers erfolgen und Reisezeiten von und zur ausländischen Arbeitsstätte daher in der Regel wie Arbeit zu vergüten sind. Ein Anspruch auf Vergütung bestehe aber nur für die tatsächlich erforderliche Reisezeit. Bei einer Flugreise sei dies grundsätzlich die Zeit, die bei einem Flug in der Economy-Class anfalle. In welcher Höhe der Arbeitnehmer Vergütung zusätzlicher Reisestunden verlangen kann, konnte das BAG nicht abschließend entscheiden, da das LAG noch keine ausreichenden Feststellungen zum Umfang der tatsächlich erforderlichen Reisezeit getroffen hatte.
Gleiss Lutz Kommentar
Das BAG befasst sich in dieser Entscheidung ausschließlich mit Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne. Es trifft keine Aussage dazu, ob Reisezeit auch als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes zu qualifizieren ist.
Da die Entscheidung bislang nur als Pressemitteilung vorliegt, ist offen, auf welche Anspruchsgrundlage das BAG den Vergütungsanspruch stützt. Nach § 7 Nr. 4.3 RTV-Bau haben Angestellte für die „erforderliche Zeit“ der An- und Abreise zur Arbeitsstelle Anspruch auf Vergütung. Das LAG hatte – auf Basis des § 7 Nr. 4.3 RTV-Bau – dem Arbeitnehmer Vergütung für die gesamte, tatsächlich angefallene Reisezeit von 69 Stunden zugesprochen und den Anspruch nicht auf die Zeiten des kürzeren Direktfluges begrenzt. Der Umstand, dass das BAG das Verfahren zur weiteren Feststellung der tatsächlich erforderlichen Reisezeit an das LAG zurückverwiesen hat, spricht dafür, dass es die tarifliche Vergütungsregelung ebenfalls für einschlägig hält.
Fehlt eine ausdrückliche (tarif-)vertragliche Regelung, besteht ein Vergütungsanspruch gemäß § 612 Abs. 1 BGB nur, wenn die aufgewendete Reisezeit den Umständen nach nur gegen Zahlung einer Vergütung zu erwarten ist. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG existiert kein allgemeiner Rechtssatz, wonach Reisezeit stets oder regelmäßig zu vergüten ist. Nach dem Urteil vom 17. Oktober 2018 dürften Reisezeiten, die im ausschließlichen Interesse des Arbeitgebers erfolgen, künftig stets als vergütungspflichtige Arbeitszeit zu qualifizieren sein. Davon zu trennen ist die Frage, in welchem Umfang die tatsächlich aufgewendete Reisezeit vergütungspflichtig ist. Auch insoweit kann als Maßstab die objektive Vergütungserwartung nach § 612 Abs. 1 BGB herangezogen werden.