Der Bundesrat hat sich in seiner Sitzung am 18. September 2020 mit der Mehrheit seiner Mitglieder für den vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Juni vorgelegten Regierungsentwurf zum Verbandssanktionengesetz („VerSanG“) ausgesprochen.
Der Gesetzentwurf wurde durch den Bundesrat – entgegen den Empfehlungen des federführenden Rechts- und des Wirtschaftsausschusses – nicht generell abgelehnt. Der Weg für das VerSanG ist damit endgültig frei.
Obwohl der Bundesrat dem VerSanG grundsätzlich zustimmte, hat er in seiner Stellungnahme weitreichende sowie in Teilen sicherlich berechtigte Kritik an der aktuellen Fassung des VerSanG geübt und substantielle Änderungen empfohlen:
- Die im Regierungsentwurf normierte öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung eines Verbands („Naming and Shaming“; § 14 VerSanG) soll gestrichen werden. Die mit einer Veröffentlichung einhergehende „Prangerwirkung“ hält der Bundesrat in rechtstaatlicher Hinsicht für bedenklich.
- Der Bundesrat stellt die Verhältnismäßigkeit des VerSanG im Hinblick auf kleine und mittlere Unternehmen („KMU“) in Frage und regt an zu prüfen, ob KMU von bestimmten Verbandstaten ausgenommen werden sollen. Ferner empfiehlt der Bundesrat, die bei KMU zur Vermeidung von Verbandstaten zu stellenden Anforderungen an Compliance-Maßnahmen zu senken.
- Nach dem Willen des Bundesrates soll das (in § 33 VerSanG normierte) Schweigerecht des gesetzlichen Vertreters des Verbands entfallen. Andernfalls könne die effektive Strafverfolgung erheblich beeinträchtigt werden.
- Der Bundesrat will vermeiden, dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden durch das VerSanG überlastet werden. Deshalb soll geprüft werden, ob an das für die Anwendung des VerSanG bei Auslandssachverhalten (u.a.) relevante Kriterium eines Unternehmenssitzes im Inland (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 VerSanG) weitere Anforderungen zu stellen sind. Der Bundesrat weist hierzu auf einen wesentlichen Geschäftsbetrieb oder einen erheblichen Schaden im Inland hin.
- Ebenfalls um einer Überlastung der Justiz entgegenzuwirken, regt der Bundesrat an, die im VerSanG vorgesehenen Verfahrensvorschriften zu überarbeiten. Insbesondere sollen die Einstellungsmöglichkeiten gestärkt werden, z. B. im Falle von Auslandstaten oder bei Insolvenzreife eines Verbands.
- Taten von Nicht-Leitungspersonen sollen nur dann dem Verband zugerechnet werden können, wenn Leitungspersonen geeignete Compliance-Vorkehrungen um solche Taten zu verhindern, vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen haben. Nach der aktuellen Fassung des VerSanG können Taten bereits dann entsprechend zugerechnet werden, wenn Leitungspersonen Vorkehrungen zur Verhinderung von Verbandstaten allein in objektiver Hinsicht unterlassen, d. h. ohne eine subjektive Komponente wie Vorsatz oder Fahrlässigkeit auf Seiten der Leitungspersonen zu fordern.
- Die zweijährige Übergangsfrist bis zum Inkrafttreten des Verbandssanktionsgesetzes soll auf drei Jahre verlängert werden. Hierdurch soll es den Unternehmen ermöglicht werden, sich auf die weitreichenden Neuerungen angemessen vorzubereiten.
Die durch den Bundesrat empfohlenen Änderungen sind im Wesentlichen zu begrüßen. Dies gilt insbesondere für die angeregte Abschaffung der öffentlichen Bekanntmachung von Verbandssanktionen, für die Restriktionen bei der Zurechnung von Verbandstaten, bei einer möglichen Sanktionierung von KMU und bei Auslandssachverhalten sowie für die erweiterten Möglichkeiten der Verfahrenseinstellung. Andere drängende Themen, wie z. B. ein angemessener Beschlagnahmeschutz, die überspannten Anforderungen an Internal Investigations und die Frage nach verhältnismäßigen Sanktionsrahmen insgesamt (also auch außerhalb der Gruppe der KMU) hat der Bundesrat ausgeklammert. Dies ist bedauerlich und senkt die Chance auf Anpassungen des Regierungsentwurfs in diesem Bereich deutlich. Dass der Bundesrat vorschlägt Schweigerechte für den gesetzlichen Vertreter des Verbands abzuschaffen, zeigt in die falsche Richtung und verstärkt das bereits in der aktuellen Fassung des VerSanG vorhandene Ungleichgewicht zwischen Verfolgungszwang einerseits und zurückgenommenen rechtsstaatlichen Schutzrechten andererseits.
Durch die grundsätzliche Zustimmung des Bundesrats zum Regierungsentwurf hat das VerSanG eine weitere und wesentliche Hürde des Gesetzgebungsverfahrens genommen. Welche der von Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen und Empfehlungen sich im finalen Gesetzestext niederschlagen werden, bleibt abzuwarten. Es ist nunmehr möglich, dass das VerSanG noch innerhalb der laufenden Legislaturperiode in Kraft tritt. Für in Deutschland tätige Unternehmen ist es deshalb bereits jetzt unumgänglich, sich auf das VerSanG vorzubereiten.