Öffentliches Recht

Update zur Kundenanlage: BGH veröffentlicht Entscheidungsgründe

Mit Beschluss vom 13. Mai 2025 (Az. EnVR 83/20) hat der BGH entschieden, wie der Begriff der Kundenanlage in § 3 Nr. 24a EnWG im Einzelfall auszulegen ist. Der Beschluss setzt eine Entscheidung des EuGH aus November 2024 um, in welcher der Gerichtshof entschied, dass die deutsche Anlagenkategorie der Kundenanlage unionsrechtswidrig ist (Näheres dazu hier). Die Entscheidungsgründe zeigen, dass der Anwendungsbereich der Kundenanlage in Deutschland erheblich eingeschränkt wird und die derzeitig breite Anwendungspraxis nicht fortgeführt werden kann.

Ausgangslage der Kundenanlage i.S.d. § 3 Nr. 24a EnWG

Bisher galt die Kundenanlage als unregulierte Form innerhalb der lokalen Netzebene, deren Betrieb keine Betriebs- oder Entgeltgenehmigungen erforderte und auf die die regulatorischen Anforderungen des Verteilernetzes nicht anwendbar waren. Dies ist damit zu begründen, dass die Kundenanlage meist die Letztverbraucher in eng begrenzten Gebieten mit Energie versorgt und daher von großen Verteilernetzen abzugrenzen ist. Die Kundenanlage hat sich in Deutschland in den letzten 14 Jahren so zum Standardmodell für die Strom- und Gasverteilung auf der „letzten Meile“ entwickelt. Sie galt als praktisch und unbürokratisch. Häufig waren und sind sich die Betreiber von Kundenanlagen ihres eigenen Status gar nicht bewusst.

Verfahren vor dem BGH

Die Beschwerdeführerin in dem Verfahren vor dem BGH – ein Energieversorgungsunternehmen – betreibt an mehreren Standorten unter anderem Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, Nahwärmenetze und Energieanlagen zur Abgabe von Energie, mit denen sie Letztverbraucher mit Wärme und Strom versorgt. Aufgrund eines Wärmelieferungsvertrags mit einer Grundstückseigentümerin versorgt sie vier Wohnblöcke mit 96 Wohneinheiten sowie sechs Wohnblöcke mit 160 Wohneinheiten durch jeweils eine Energiezentrale und ein daran angeschlossenes Nahwärmenetz mit Wärme und Warmwasser. Die Stromversorgung der Wohnblöcke erfolgt über das Elektrizitätsverteilernetz der Antragsgegnerin, der örtlichen Verteilernetzbetreiberin.

Die Anmeldung zweier getrennter Kundenanlagen bei der Antragsgegnerin führte schließlich zum Streit: Die Errichtung und der Betrieb zweier Blockheizkraftwerke und zweier getrennter elektrischer Leitungssysteme, an welche die in den Wohnblöcken wohnenden Mieter angeschlossen werden sollten, fielen nach Ansicht des Netzbetreibers nicht unter den Begriff der Kundenanlage, weshalb sie den Antrag ablehnte.

Zwischenzeitlich ergangene EuGH-Entscheidung

Der BGH hatte Ende 2022 das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage zur Auslegung der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/944) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Über die daraufhin im November 2024 ergangene Entscheidung des EuGH (Az. C-293/23) zur Auslegung des Begriffs der Kundenanlage und zur Vereinbarkeit mit der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie berichteten wir bereits hier. Danach ist die deutsche Anlagenkategorie der Kundenanlage und deren regulatorische Privilegierung in der jetzigen Form unionsrechtswidrig. Neben den unionsrechtlich vorgesehenen Netzarten dürften die Mitgliedstaaten keine zusätzlichen Kriterien heranziehen, um bestimmte Netzarten vom Begriff des Verteilernetzes auszunehmen. Die Rechtsprechung und regulatorische Ausgestaltung durch die Mitgliedstaaten haben sich vielmehr an den in der Richtlinie abschließend vorgesehenen Ausnahmen zu orientieren. Diese Vorgaben des EuGH hat der BGH nun in seiner Entscheidung umzusetzen.

Entscheidung des BGH

Wie bereits aus der Pressemitteilung vom 13. Mai 2025 hervorging, hat der BGH die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin erwartungsgemäß zurückgewiesen. Er setzt damit die Entscheidung des EuGH um und legt das EnWG richtlinienkonform aus: Die in Streit stehenden Leitungsanlagen fallen demnach nicht unter den Begriff der Kundenanlagen gemäß § 3 Nr. 24a EnWG und waren daher nicht an das Verteilernetz anzuschließen. Die Anlagen sind vielmehr selbst ein Verteilernetz.

Wesentliche Inhalte der Entscheidung des BGH

Eine Kundenanlage kann nur dann vorliegen, wenn es sich nicht um ein Verteilernetz handelt. Zur Abgrenzung, was als reguliertes Verteilernetz gilt, folgt der BGH dem EuGH und definiert, dass ein Verteilernetz immer dann vorliegt, wenn (i) das Netz der Weiterleitung von Elektrizität in Hoch-, Mittel- oder Niederspannung dient, die (ii) zum Verkauf an Großhändler und Endkunden bestimmt ist. Entscheidend ist, so der BGH, der Versorgungscharakter eines Netzes, also der entgeltliche Verkauf von Strom.

Dennoch stellt der BGH klar, dass auch künftig Raum für die Kundenanlage bleibt. Ihr Anwendungsbereich ist jedoch eng begrenzt und ausschließlich durch eine richtlinienkonforme Auslegung des Art. 2 Nr. 28 und 29 sowie Art. 30 ff. der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie 2019/944 (EltRL) zu bestimmen. Nach einer richtlinienkonformen Auslegung des Begriffs der Kundenanlage können nur noch solche Leitungssysteme als Kundenanlagen gelten, die Elektrizität weiterleiten, die nicht für den Verkauf bestimmt ist. Erfasst sind damit insbesondere Anlagen zur Eigenversorgung, etwa Leitungssysteme, die mit Erzeugungsanlagen verbunden sind und von Wohnungseigentümern oder Grundstückseigentümern gemeinsam betrieben und genutzt werden.

Ausdrückliche Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung

Der BGH verabschiedet sich von seiner bisherigen Rechtsprechung zur Kundenanlage nach § 3 Nr. 24a EnWG. In der Vergangenheit hatte er für die Einordnung als „wettbewerblich unbedeutend“ eigene Kriterien entwickelt, etwa zur Größe oder Leistungsfähigkeit der Anlage. Entscheidend war, ob die Kundenanlage potenziell Auswirkungen auf den Versorgungswettbewerb oder die Stellung des Netzbetreibers hatte (z. B. unterhalb von 1.000 MWh jährlich, keine Versorgung mehrerer Hundert Letztverbraucher). Von diesen Maßstäben nimmt der BGH nun ausdrücklich Abstand. Stattdessen betont er, dass allein die europarechtlich vorgegebenen Kriterien insbesondere Spannungsebene und Art der belieferten Kunden, maßgeblich sind, um ein Verteilernetz im Sinne des Unionsrechts abzugrenzen. Zusätzliche nationale Abgrenzungskriterien dürfen künftig nicht mehr herangezogen werden.

Ausnahmen vom (Verteiler-)Netz

Neben der richtlinienkonformen Auslegung sind weitere Ausnahmen vom (Verteiler-)Netz möglich. Dazu gehören insbesondere das geschlossene Verteilernetz i.S.v. § 110 EnWG, Bürgerenergiegemeinschaften i.S.v. § 16 EltRL, kleine Verbund- und isolierte Netze i.S.v. § 66 EltRL, sowie Direktleitungen i.S.v. Art. 7 EltRL. Ob einer der Ausnahmetatbestände angenommen werden kann, muss jeweils im Einzelfall geprüft werden.

Ausblick und Folgen für die Praxis

Die veröffentlichten Entscheidungsgründe des BGH zeigen deutlich, dass sich der Anwendungsbereich von Kundenanlagen künftig spürbar verengen wird. Wer zunächst gehofft hatte, dass die „richtlinienkonformen“ Anwendungsbereiche so groß ausfallen, dass die bestehende Praxis nicht tangiert wird, wurde enttäuscht. Viele Leitungssysteme, die bislang als Kundenanlagen eingestuft wurden, bspw. in Wohnquartieren, Industrieparks, Gewerbegebieten, Flughäfen oder auf Forschungs- oder Universitätsgeländen, dürften nun wohl nicht mehr als unregulierte Kundenanlage gelten. Das hat zur Folge, dass die Betreiber solcher Infrastrukturen künftig Netzbetreiber sein könnten und den entsprechenden gesetzlichen Pflichten unterliegen. Um dies zu vermeiden, kann eine Auflösung des Netzes erwogen werden, indem bspw. stärker auf Direktleitungen gesetzt wird. Ggf. ist auch der lokale Anschlussnetzbetreiber bereit, über den jetzigen Netzanschlusspunkt hinaus, die lokale Leitungsanlage zu betreiben.

Die Wirtschaftlichkeit bestimmter dezentraler Versorgungsmodelle gerät durch die neue Rechtsprechung unter Druck. Unternehmen, die bislang auf unregulierte Infrastrukturen gesetzt haben, sollten nun prüfen, ob sich im konkreten Einzelfall weiterhin eine rechtliche Begründung für den Status als nicht reguliertes System finden lässt. Dies kann etwa über eine richtlinienkonforme Auslegung im Sinne des BGH gelingen, z.B. bei unentgeltlicher Versorgung zur Eigenbedarfsdeckung, oder durch das Vorliegen sonstiger Ausnahmen vom Netzbegriff, wie etwa bei geschlossenen Verteilernetzen gem. § 110 EnWG oder der Direktleitung. In jedem Fall sollten Unternehmen eine Bestandsaufnahme machen, in welchen Konstellationen sie ggf. selbst eine Kundenanlage betreiben oder von den regulatorischen Vorteilen einer Kundenanlage profitieren.

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