Unzulässigkeit von ICSID-Schiedsverfahren nach Energiechartavertrag

Der BGH hat die Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Feststellung der Unzulässigkeit von ICSID-Schiedsverfahren auf Grundlage des Energiechartavertrages festgestellt. Die im ECV enthaltene Schiedsvereinbarung sei unwirksam. Auch wenn die Entscheidung als Verstoß gegen Völkerrecht zu kritisieren ist, ist sie für die zukünftige Gestaltung von Auslandsinvestitionen zu berücksichtigen.

Zusammenfassung

  • Entscheidungen des BGH in drei Parallelverfahren vom 27. Juli 2023 (Az. I ZB 43/22; I ZB 74/22 und I ZB 75/22)
  • Obwohl das völkerrechtlich verbindliche ICSID-Übereinkommen die Zuständigkeitsüberprüfung durch nationalstaatliche Gerichte ausschließt, bejaht der BGH die Zuständigkeit deutscher Gerichte für solche Überprüfungen nach 
    § 1032 Abs. 2 ZPO
  • Die Schiedsvereinbarung in Art. 26 Abs. 2 lit. c ECV sei mit Unionsrecht unvereinbar, insbesondere, weil sie der Rechtsprechungshoheit des EuGH zuwiderlaufe

Europäische Investoren müssen daher bei Streitigkeiten in Bezug auf ihre Investitionen in EU-Mitgliedsstaaten damit rechnen, auf Rechtsschutz vor den staatlichen Gerichten des Gastlandes angewiesen zu sein

Die Entscheidungen des BGH vom 27. Juli 2023

Den Entscheidungen des BGH lagen Investitionen einer irischen Unternehmensgruppe in Deutschland sowie zweier deutscher Unternehmen in den Niederlanden zu Grunde. Die Investoren hatten jeweils ICSID-Schiedsverfahren auf Grundlage der Schiedsvereinbarung eingeleitet, die in Art. 26 Abs. 2 lit. c ECV enthalten ist. Die beklagten Staaten stellten beim Kammergericht Berlin bzw. dem OLG Köln Anträge auf Feststellung der Unzulässigkeit der Schiedsverfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO. Das OLG Köln entschied zu Gunsten der Niederlande, während das Kammergericht den Antrag mangels internationaler Zuständigkeit deutscher Gerichte zurückwies.

Internationale Zuständigkeit

Der BGH bejahte die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte. Zwar lägen die Voraussetzungen des § 1025 Abs. 2 ZPO nicht direkt vor, weil ICSID-Schiedsverfahren anational, also in keine nationale Gerichtsbarkeit eingebettet seien. Der Schiedsort liegt insoweit also weder im Ausland noch ist er temporär unbestimmt. Jedoch hielt der BGH eine analoge Anwendung des § 1025 Abs. 2 ZPO für geboten, weil insoweit eine Regelungslücke bestehe und die Interessenlage vergleichbar sei. Dabei setzt der BGH sich darüber hinweg, dass Art. 41 Abs. 1 ICSID-Übereinkommen – das selbst aufgrund des Zustimmungsgesetzes von 1969 nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG Teil des deutschen Rechts ist – durchaus eine Regelung zur (Un-)Zuständigkeit staatlicher Gerichte enthält und somit eine Regelungslücke nicht besteht.

Auch eine Begründung für die Annahme einer vergleichbaren Interessenlage, also einer Gleichbehandlung von ICSID-Schiedsverfahren mit sonstigen, in nationale Rechtsordnungen eingebetteten Schiedsverfahren, fehlt. Es wäre durchaus begründungsbedürftig gewesen, warum ein Interesse an der Zuständigkeit deutscher Gerichte bezüglich ICSID-Schiedsverfahren überhaupt bestehen soll, obwohl bindendes Völkerrecht dem entgegensteht und der Gesetzgeber den Vorrang völkerrechtlicher Verträge vor § 1025 ZPO für selbstverständlich hielt. Auch das New Yorker Übereinkommen von 1958 („NYÜ“), mit welchem das deutsche Schiedsrecht für Anerkennungs- und Vollstreckungsfragen Gleichlauf anstrebt, ist zweifellos nicht auf ICSID-Verfahren anwendbar.

Statthaftigkeit trotz Sperrwirkung des ICSID-Übereinkommens

(Erst) in seinen Ausführungen zur Statthaftigkeit eines Antrags nach § 1032 Abs. 2 ZPO setzt sich der BGH mit der Sperrwirkung von Art. 41 Abs. 1 ICSID-Übereinkommen auseinander. Er legt insoweit ausführlich dar, dass das ICSID-Übereinkommen ein geschlossenes System zur Zuständigkeitskontrolle beinhaltet, das grundsätzlich die Überprüfung durch staatliche Gerichte ausschließt. Indes verlange der europarechtliche effet utile im vorliegenden Kontext eine abweichende Entscheidung. Der EuGH habe in den Rechtssachen Achmea, Komstroy und anderen entschieden, dass eine inhaltliche Kontrolle von Intra-EU-Investoren-Staat-Schiedssprüchen durch staatliche Gerichte geboten sei. Dann jedoch verlange der Effektivitätsgrundsatz, eine solche Überprüfung auch schon auf Ebene der Zuständigkeitsfeststellung zu ermöglichen.

Auch diese Erwägung erscheint jedenfalls nicht zwingend. Statt wie der BGH einen absoluten Vorrang des Unionsrechts gegenüber mitgliedsstaatlichem und Völkervertragsrecht zu postulieren, hätte man die Frage aufwerfen müssen, ob nicht im Gegenteil eine völkerrechts- und damit auch ICSID-freundliche Auslegung des Unionsrecht schon deswegen geboten sei, weil fast alle Mitgliedstaaten völkerrechtlich an das ICSID-Übereinkommen gebunden sind und so dem Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme Rechnung getragen wäre. Jedenfalls ist fraglich, ob die Heranziehung des effet utile auch eine vorgelagerte Kontrolle über § 1032 Abs. 2 ZPO zu rechtfertigen vermag. Der Effektivitätsgrundsatz dient primär der Durchsetzung individueller Unionsrechte und nicht abstrakt einer möglichst frühzeitigen vollen Wirksamkeit des Unionsrechts. Zudem kennen die meisten EU-Mitgliedsstaaten kein dem Verfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO entsprechendes Instrument, mittels dessen eine solche vorgelagerte Überprüfung möglich wäre; hier wird nicht pauschal ein Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz zu unterstellen sein.

Rechtsschutzbedürfnis

Die Entscheidung deutscher Gerichte entfaltet für ICSID-Schiedsgerichte keine Bindungswirkung. Angesichts dessen ergibt sich das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO für den BGH daraus, dass ein erfolgreicher Antrag erstens eine spätere Vollstreckbarerklärung in Deutschland verhindere (wobei es dafür keiner Feststellung nach § 1032 Abs. 2 ZPO bedürfte), zweitens eine faktisch-mittelbare Wirkung auch auf das Schiedsgericht habe, welches sich eventuell ebenfalls für unzuständig erklären würde, und drittens eine starke Signalwirkung für dritte Vollstreckungsstaaten entfalten könne.

Insoweit zeigen zwar die seit der Rechtssache Achmea ergangenen Schiedssprüche, dass Schiedsgerichte sich mehrheitlich von der EuGH Rechtsprechung zu Intra-EU-Schiedsverfahren unbeeindruckt zeigen. Eine Vollstreckung solcher Schiedssprüche jedenfalls außerhalb der EU bleibt auch weiterhin möglich. Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass die Entscheidung faktische Auswirkungen hat und den Wert eines etwaigen Schiedsspruches beeinträchtigt. Jedenfalls die beiden deutschen Investoren und Schiedskläger haben ihre jeweiligen Schiedsverfahren für beendet erklärt.

Begründetheit der Anträge – Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung

Die Schiedsvereinbarung, die in Art. 26 Abs. 2 lit. c ECV enthalten ist, verstoße gegen Unionsrecht und sei daher unwirksam. Dazu orientierte sich der BGH überwiegend an seinen früheren Entscheidungen zu den Auswirkungen der Rechtssachen Achmea, Komstroy und anderen.

Einordnung und Fazit

Die Absage an die universelle Geltung des Völkerrechts ist bedauerlich. In praktischer Hinsicht schränkt die Entscheidung den Rechtsschutz ausländischer Investoren weiter ein. Auch wenn in manchen Konstellationen die Durchführung eines Investitionsschiedsverfahrens trotz Feststellung der Unzulässigkeit durch ein deutsches Gericht in Betracht kommen mag und ein entsprechender Schiedsspruch außerhalb der EU vollstreckt werden kann, werden de facto viele Investoren Rechtsschutz vor den staatlichen Gerichten des Gastlandes anstreben müssen. 
Das Fehlen eines unabhängigen – und als neutral wahrgenommenen – Spruchkörpers ist jedoch Gift für das Investitionsklima. Es wäre wünschenswert, dass das Projekt eines supranationalen Investitionsgerichtshofes Gestalt annähme. Bis dahin ist besonderes Augenmerk auf die Gestaltung der vertraglichen Grundlagen für Auslandsinvestitionen zu legen.
 

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