Arbeitsrecht

Überdotierung eines Sozialplans

Die Dotierung eines außerhalb eines Insolvenzverfahrens aufgestellten Sozialplans ist für das Unternehmen regelmäßig nicht wirtschaftlich vertretbar, wenn die Erfüllung der Sozialplanverbindlichkeiten zu einer Illiquidität, einer bilanziellen Überschuldung oder einer nicht mehr hinnehmbaren Schmälerung des Eigenkapitals führt. Nichts Gegenteiliges ergibt sich aus § 123 InsO, der weder analoge Anwendung findet, noch als Orientierung dienen kann.

BAG, Beschluss vom 14. Februar 2023 – 1 ABR 28/21

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines durch Einigungsstellenspruch beschlossenen Sozialplans. Die Antragstellerinnen unterhielten bis April 2019 einen Gemeinschaftsbetrieb. Sie erzielten über Jahre negative Ergebnisse, diese wurden zuletzt im Jahr 2015 auf Grundlage eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages ausgeglichen. Ab dem Jahr 2017 war das Eigenkapital der Antragstellerinnen verbraucht. Im Oktober 2018 erteilte eine britische Konzerngesellschaft den Antragstellerinnen eine Liquiditätszusage „für eine insolvenzvermeidende Betriebsstillegung“ sowie eine Vorfinanzierungszusage, jeweils in begrenzter Höhe. Nach Kundgabe der geplanten Betriebsstillegung zu Ende April 2019 beschloss eine gerichtlich eingesetzte Einigungsstelle einen Sozialplan. Der Sozialplan wurde mit insgesamt EUR 3 Mio. ausgestattet. Die Arbeitgeberinnen machten geltend, die Einigungsstelle habe mit der Festlegung eines Sozialplanvolumens in Höhe von EUR 3 Mio. ihr Ermessen überschritten. Der Betrag führe zum einen zu einer Überkompensation der den Arbeitnehmern infolge der Betriebsschließung entstehenden Nachteile, zum anderen sei er für die Antragstellerinnen wirtschaftlich nicht vertretbar.

Entscheidung

Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerinnen hatte Erfolg. Nach Ansicht des BAG ist der Spruch der Einigungsstelle unwirksam.

Nach § 112 Abs. 5 S. 1 BetrVG hat die Einigungsstelle bei ihrer Entscheidung über einen Sozialplan sowohl die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen, als auch auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung für das Unternehmen zu achten.

Im Rahmen ihres Ermessens hat die Einigungsstelle (i) Leistungen zum Ausgleich oder zur Milderung wirtschaftlicher Nachteile vorzusehen, (ii) dabei die Aussichten der betroffenen Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt sowie die Förderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen, (iii) und bei der Bemessung des Gesamtbetrages der Sozialplanleistungen darauf zu achten, dass der Fortbestand des Unternehmens oder nach der Durchführung der Betriebsänderung verbleibende Arbeitsplätze nicht gefährdet werden.

Nach Ansicht des BAG führt der im Streit stehende Sozialplan zwar nicht zu einer Überkompensation der wirtschaftlichen Nachteile der betroffenen Arbeitnehmer, das Sozialplanvolumen überschreitet jedoch die Grenze der wirtschaftlichen Vertretbarkeit für die Antragstellerinnen. Die wirtschaftliche Vertretbarkeit richte sich grundsätzlich auch dann nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des sozialplanpflichtigen Arbeitgebers, wenn das Unternehmen einem Konzern angehöre. Stelle die Einigungsstelle einen für mehrere Trägerunternehmen eines Gemeinschaftsbetriebs geltenden Sozialplan auf, der Sozialplanansprüche der Arbeitnehmer nur gegen Vertragsarbeitgeber begründe, müsse dessen Volumen für den jeweiligen Arbeitgeber im Umfang seiner Inanspruchnahme wirtschaftlich vertretbar sein. Es genüge nicht, dass das Gesamtvolumen des Sozialplans für eines der Unternehmen die Grenze der wirtschaftlichen Vertretbarkeit nicht übersteige.

Details: Das ergebe sich aus dem Wortlaut des § 112 Abs. 5 S. 1 und S. 2 Nr. 3 BetrVG „für das Unternehmen“ bzw. „des Unternehmens“ als auch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, die Entscheidungen von Einigungsstellen berechenbarer und die Sozialplanbelastung kalkulierbarer zu machen sowie im Falle einer Betriebsänderung eine finanzielle Entlastung der Unternehmen zu bewirken und so bestehende Arbeitsplätze zu sichern. Das BAG ließ offen, ob etwas anderes gilt, wenn der Sozialplan eine gesamtschuldnerische Haftung der Trägerunternehmen vorsieht und auch, ob die Einigungsstelle dies überhaupt beschließen kann.

Für die Beurteilung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit komme es stets auf den Einzelfall an. Zu berücksichtigen sei, ob und welche Einsparungen die Betriebsänderung bringe. Befinde sich ein Unternehmen bereits in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, führe dies nicht generell zur wirtschaftlichen Unvertretbarkeit; sogar in der Insolvenz seien Betriebsänderungen nach § 123 InsO sozialplanpflichtig. Bei der Beurteilung, wie sehr der Sozialplan das Unternehmen belaste und ob er möglicherweise dessen Fortbestand gefährde, seien das konkrete Verhältnis von Aktiva und Passiva und die Liquiditätslage zu berücksichtigen. Es liege keine wirtschaftliche Vertretbarkeit mehr vor, wenn die Erfüllung der Sozialplanverbindlichkeiten zu einer Illiquidität, einer bilanziellen Überschuldung oder einer nicht mehr hinnehmbaren Schmälerung des Eigenkapitals führe. Das gelte auch, wenn ein Unternehmen seinen einzigen Betrieb stilllege und deshalb nach der Durchführung der Betriebsänderung keine Arbeitsplätze mehr vorhanden seien. Denn auch bei vollständiger Betriebsstillegung bestehe das Unternehmen als Rechtsträger des Betriebs fort. Das BAG ließ dabei offen, ob diese Grundsätze auch bei Liquidation des Unternehmens nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG Anwendung finden.

Nach diesen Grundsätzen sei im vorliegenden Fall die finanzielle Belastung durch den Sozialplan schon wirtschaftlich unvertretbar, weil die Antragstellerinnen finanziell überschuldet gewesen seien und es ihnen an einer ausreichenden Liquidität gefehlt habe, um die Sozialplanverbindlichkeiten bedienen zu können. Auch aus der Liquiditätszusage und der Vorfinanzierungszusage der britischen Konzerngesellschaft, die in der Höhe begrenzt waren, hatten sich keine hinreichenden liquiden Mittel ergeben. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sei auch § 123 InsO nicht analog anwendbar, die dortigen Regelungen fänden außerhalb des Insolvenzverfahrens keine Anwendung. Die spezialgesetzliche Regelung des § 123 InsO könne daher auch nicht als Orientierung bei der Dotierung von Sozialplänen außerhalb des Insolvenzverfahrens dienen.

Die Ermessenüberschreitung der Einigungsstelle in Bezug auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit des Sozialplanvolumens führe im konkreten Fall nach dem § 139 BGB zugrundeliegenden Rechtsgedanken zur Unwirksamkeit des gesamten Einigungsstellenspruchs.

Praxishinweise

  • Das BAG hält an seiner Rechtsprechung zur wirtschaftlichen Vertretbarkeit eines Sozialplans fest und entwickelt diese fort. Zu betonen ist, dass sich die wirtschaftliche Vertretbarkeit – auch im Konzern – nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des sozialplanpflichtigen Arbeitgebers richtet. Die wirtschaftliche Lage des Konzerns spielt also – anders als in Verhandlungen mit Betriebsräten häufig geltend gemacht – keine Rolle. Zur Frage eines so genannten Bemessungsdurchgriffs auf Konzernobergesellschaften, etwa BAG 24. August 2004 – 1 ABR 23/03.
     
  • Offengelassen hat das BAG, ob die Einigungsstelle für die Aufstellung des für beide Antragstellerinnen geltenden Sozialplans zuständig war. Beide haben eine Betriebsänderung in Form einer Stilllegung ihres Gemeinschaftsbetriebs vorgenommen. Ob es aber in diesem Fall für die Erzwingbarkeit eines solchen Sozialplans genügt, wenn dort in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt sind oder ob es darauf ankommt, dass jedes Trägerunternehmen die erforderliche Anzahl von Arbeitnehmern beschäftige, bedurfte keiner Entscheidung. Die Frage ist in der Literatur umstritten und bleibt weiter ungeklärt.
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