Strafverfolgung mit Augenmaß? – Neue Leitlinien des DoJ zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität in den USA

Am 12. Mai 2025 hat das U.S. Justizministeriums (DoJ) neue Leitlinien veröffentlicht, die Prioritäten und Verfahrensprinzipien für die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität präzisieren. Unter dem Leitmotto „Focus, Fairness, and Efficiency“ sollen sie bestehende Richtlinien aktualisieren und eine zielgerichtete Strafverfolgung fördern, ohne Unternehmen durch unverhältnismäßige Verfahrensführung zu belasten.

Hintergrund

Die in einem Memorandum vom DoJ veröffentlichten Leitlinien betonen, dass Wirtschaftskriminalität – insbesondere Betrug, Korruption und Geldwäsche – weiterhin erhebliche Risiken für den US-Fiskus, die Kapitalmärkte und die nationale Sicherheit birgt. Gleichzeitig unterstreichen sie, dass exzessive Verfahren und unfokussierte Ermittlungen gegen Unternehmen wirtschaftliche Innovationen und Risikobereitschaft hemmen können. Ziel sei es, ein Gleichgewicht zwischen effektiver Strafverfolgung und der Vermeidung unnötiger Belastungen für Unternehmen herzustellen. Die neuen Leitlinien stellten keine vollständige Abkehr von bisherigen Strategien dar, sondern seien eine gezielte Weiterentwicklung und Schärfung der Prioritäten angesichts aktueller Herausforderungen.

Die neuen Prioritäten skizzierte der Leiter der Strafrechtsabteilung Matthew R. Galeotti noch in derselben Woche in einer Rede auf der Konferenz zur Bekämpfung von Geldwäsche und Finanzkriminalität des Wirtschaftsverbands Securities Industry and Financial Markets Association (SIFMA). Dabei wies er darauf hin, dass der Schwerpunkt zukünftig insbesondere auf der Zusammenarbeit mit Unternehmen und freiwilligen Selbstauskünften liegen werde.

Fokus – Priorisierung nach Schadenspotenzial

Unter dem Leitgedanken „Fokus“ verpflichtet das DoJ seine Staatsanwälte, ihre begrenzten Ressourcen auf die Bereiche zu konzentrieren, die den höchsten finanziellen und sozialen Schaden verursachen. Die wichtigsten priorisierten Deliktsfelder sind:

  • Verschwendung, Betrug und Missbrauch zu Lasten des öffentlichen Haushalts: Intensive Ermittlungen von Betrug und Missbrauch, um den Schutz staatlicher Mittel zu gewährleisten, insbesondere im Gesundheitswesen, bei öffentlichen Aufträgen (procurement fraud), Verteidigungsausgaben und Programmen zur Unterstützung bedürftiger Bürger.

  • Handel & Zoll: Verfolgung von Zoll- und Handelsdelikten, wie Betrug oder Umgehung von Zöllen, um faire Wettbewerbsbedingungen im internationalen Handel sicherzustellen und die Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Unternehmen zu schützen.

  • Marktmanipulation: Untersuchung von Anlagebetrug, „ramp and dump“-Schemata, insbesondere durch ausländische Unternehmenskonstrukte, und anderen Betrugsformen die US-Investoren und die Integrität der Kapitalmärkte gefährden.

  • Komplexe Geldwäsche-Strukturen: Bekämpfung grenzüberschreitender Geldwäsche-Netzwerke, insbesondere durch internationale und chinesische Geldwäschereiorganisationen, die kriminelle Aktivitäten und Drogenhandel finanzieren.

  • Schutz der nationalen Interessen vor Korruption und Geldwäsche: Ahndung von Bestechungsfällen und damit verbundenen Geldwäscheaktivitäten, um die Integrität und Transparenz der Finanzmärkte zu sichern und die nationale Sicherheit zu schützen. Insbesondere wenn die Wettbewerbsfähigkeit von US-Unternehmen geschädigt kann und ausländische korrupte Beamte bereichert werden.

  • Delikte im Bereich digitaler Vermögenswerte: Priorisierung von Ermittlungen gegen Betrug mit Kryptowährungen und anderen digitalen Assets, insbesondere wenn Investoren und Verbraucher geschädigt werden.

  • Sanktionsumgehung und Unterstützung von Terrororganisationen: Höchste Priorität für Verstöße, die nationale Sicherheitsinteressen gefährden, etwa durch die Unterstützung von Kartellen, transnationalen kriminellen Organisationen oder terroristischen Gruppen.

Ergänzend betont das DoJ, dass Fälle mit Beteiligung von leitenden Angestellten sowie solche, die darauf abzielen die Justiz zu behindern besonders priorisiert behandelt werden. Ebenso soll die Vermögensabschöpfung durch Beschlagnahme und Einziehung von Vermögenswerten aktiv vorangetrieben werden, um Tat- und Beutegut zu sichern und Opfer entschädigen zu können.

Fairness – Förderung der Kooperation von Unternehmen und Verfolgung von Einzelpersonen

Das DoJ führt weiter aus, dass es oberste Priorität sei, einzelne Straftäter konsequent zu verfolgen. Dadurch würden die konkret verantwortlichen Einzelpersonen zur Rechenschaft gezogen und eine abschreckende Wirkung erzielt. Für Unternehmen stünde laut Galeotti dahingegen die Zusammenarbeit und Selbstauskunft gegenüber dem DoJ im Vordergrund. Um verantwortungsbewusste Unternehmen, die bereit seien, ihre Fehler einzugestehen und aus ihnen zu lernen, zu belohnen und Anreize für die Zusammenarbeit zu liefern, hat das DoJ die Richtlinie zur freiwilligen Selbstauskunft (Corporate Enforcement and Voluntary Self-Disclosure Policy – „CEP) überarbeitet.

Die freiwillige Selbstanzeige ist hiernach weiterhin von zentraler Bedeutung, doch gelten die folgenden Erleichterungen für Unternehmen:

  • Unternehmen, die ein Fehlverhalten vor Entdeckung durch die Behörden freiwillig offenlegen, die bereits bestehenden Anforderungen der CEP an Kooperation, rechtzeitige und angemessene Abhilfemaßnahmen erfüllen und keine erschwerenden Faktoren vorliegen, erhalten nun eine öffentliche Mitteilung, dass die Strafrechtsabteilung es ablehnt, das Fehlverhalten des Unternehmens zu verfolgen (public declination).

  • Bislang gewährte die CEP lediglich eine Vermutung für den Verzicht auf eine Verfolgung des Fehlverhaltens (presumption of a declination); zu einer Veröffentlichung der Entscheidung über die Verfolgung kam es dagegen in der Regel nicht.

  • Selbst wenn erschwerende Umstände vorliegen, sind die verantwortlichen Verfolgungsbehörden angewiesen, diese Umstände mit dem Ausmaß der Kooperation und der Abhilfemaßnahmen des Unternehmens abzuwägen und nach eigenem Ermessen zu entscheiden, ob sie eine Ablehnung der Verfolgung empfehlen.

Unternehmen, die ihr Fehlverhalten nicht freiwillig vor Entdeckung durch das DoJ selbst anzeigen oder erschwerende Faktoren aufweisen, können nach wie vor eine Beilegung durch außergerichtliche Vergleichsvereinbarungen mit dem DoJ erreichen, z.B. durch eine (zeitliche) Rückstellung der Anklage (Deferred-Prosecution Agreement – DPA) oder durch eine Nichtverfolgungsvereinbarung (Non-Prosecution Agreements – NPA) mit entsprechenden auferlegten Verpflichtungen. Auch hier hat das DoJ Erleichterung eingeführt:

  • DPA/NPA-Vereinbarungen sollen grundsätzlich auf drei Jahre befristet sein.

  • Auch in diesen Fällen soll eine Reduzierung der Geldstrafen um 75 % möglich sein und es muss nicht zwingend ein Monitor eingesetzt werden.

  • Selbst rückfällige Unternehmen, die innerhalb der letzten fünf Jahre strafrechtlich belangt wurden, haben eine Chance auf den Abschluss einer Vergleichsvereinbarung mit begrenzter Laufzeit und eine Reduzierung der Geldstrafe.

Nach den Leitlinien des DoJ kann zudem eine vorzeitige Aufhebung der Vereinbarungen beantragt werden. Ferner soll durch das DoJ regelmäßig intern überprüft werden, ob die Vereinbarungen vorzeitig einzustellen sind. Relevant sind dabei die folgenden Faktoren: 

  • Die Dauer der Überwachungsphase nach der Vereinbarung.

  • Eine erhebliche Verringerung des Risikoprofils des Unternehmens.

  • Der Umfang der Wiedergutmachung.

  • Der Entwicklungsgrad des Corporate Compliance Programms.

  • Die Offenlegung des Fehlverhaltens durch das Unternehmen.

Nach den Leitlinien des DoJ sei jeder Fall individuell zu bewerten. Das DoJ weist zudem auf die gebotene Transparenz der Entscheidungsprozesse hin, auf Grundlage derer die betroffenen Unternehmen und ihre Berater die Anforderungen und Vorteile klar nachvollziehen können.

Effizienz – Straffere Verfahrensabläufe

Unter dem Gesichtspunkt „Efficiency“ zielt das Memorandum auf zügigere Ermittlungsverfahren mit klaren Fristen und Berichtsmechanismen ab. Ermittlungen sollen (soweit möglich) beschleunigt werden, um mit unnötigen Verfahrensverzögerungen verbundene Belastungen für Unternehmen und unbeteiligte Dritte zu reduzieren.

Die Einführung eines angekündigten Monitor Selection Memorandums soll künftig definieren, unter welchen Bedingungen externe Compliance-Monitore eingesetzt werden dürfen. Bis dato galt, dass Monitorships nur dann angeordnet werden, wenn nachweislich kein internes Programm ausreicht, um Regelverstöße zu unterbinden. Umfang und Dauer externer Überwachungsmaßnahmen müssen jederzeit verhältnismäßig sein. Eine laufende Überprüfung bestehender Monitorships stellt sicher, dass keine Maßnahme länger als nötig in Kraft bleibt. Ziel ist es, die Effizienz der Ermittlungen zu steigern und gleichzeitig die unternehmerische Handlungsfähigkeit zu erhalten. 

Erweiterung des Whistleblower-Programms

Das seit 2024 bestehende Pilotprogramm für Hinweisgeber wurde um weitere Deliktskategorien ergänzt. Zum ersten Mal können Whistleblower finanzielle Anreize für Hinweise auf:

  • Betrug bei der Auftragsvergabe;

  • Verstöße gegen Bundesimmigrationsgesetze;

  • Verstöße im Zusammenhang mit internationalen Kartellen;

  • Sanktionsumgehungen; und

  • Unterstützung von Terrororganisationen

erhalten, sofern diese Hinweise zur Einziehung von Vermögenswerten führen. Auf diese Weise soll die Aufdeckung von Wirtschaftskriminalität weiter verbessert werden. Die Ausweitung des Programms erhöht die Anreize für Hinweisgeber und steigere dadurch die Wahrscheinlichkeit, dass schwerwiegende Verstöße frühzeitig erkannt werden. Diese Änderung unterstreicht die Notwendigkeit, dass Unternehmen über reaktionsschnelle interne Meldesysteme und wirksame Compliance-Rahmenbedingungen verfügen, mit denen Verhaltensprobleme erkannt und gehandhabt werden können, bevor Mitarbeiter externe Meldungen abgeben.

Bedeutung für (deutsche) Unternehmen mit US-Bezug

Der insbesondere durch die neuen Leitlinien des DoJ eingeschlagene Weg könnte der Grundstein für eine unternehmensfreundlichere Strafverfolgung sein. Besonderes Augenmerk legt das DoJ auf Themen, die mit den allgemeinen Prioritäten der Regierung übereinstimmen und bei denen weitere Ermittlungen und Durchsetzungsmaßnahmen zu erwarten sind, also Straftaten zum Nachteil der öffentlichen Finanzen, Zölle, Kartelle und Terrororganisationen.

Das Memorandum enthält zahlreiche Beispiele, die darauf hindeuten, dass sich das DoJ bei der Durchsetzung der Vorschriften im Bereich der Wirtschaftskriminalität auf die allgemeinen „America First“-Prioritäten der Regierung konzentrieren wird. So wird zwar die Fokussierung der Verfolgung auf priorisierte Deliktsfelder und die Verfolgung von Einzeltätern und Erleichterungen für Unternehmen angesprochen. Im Zentrum stehen dabei aber immer auch die wirtschaftlichen und nationalen Sicherheitsinteressen der USA und der US-Unternehmen. So deutet das Memorandum auch daraufhin, dass sich die Durchsetzung des Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) auf Verhaltensweisen konzentrieren wird, die US-Interessen schaden und die Wettbewerbsfähigkeit von US-Unternehmen beeinträchtigen, also vorrangig auf Nicht-US-Unternehmen.

Für international tätige deutsche Unternehmen mit US-Bezug empfiehlt sich eine Anpassung ihrer Compliance-Programme im Hinblick auf die im Memorandum genannten Schwerpunktbereiche – vom Gesundheitswesen über den Anlagebetrug bis hin zu Verstößen gegen Lebensmittel- und Arzneimittelgesetze und Krypto-Betrug – zu prüfen. Proaktive Selbstanzeige und umfassende Kooperation können erhebliche Reduktionen von Geldbußen und Auflagen bis hin zur Vermeidung eines Monitors bewirken. Darüber hinaus sollten Vergleichsvereinbarungen mit dem DoJ sowie bestehende Monitorships regelmäßig anhand der DoJ-Kriterien geprüft werden, um dass DoJ ggf. proaktiv im Hinblick auf eine vorzeitige Beendigung der Maßnahmen zu adressieren. Ein robuster Due-Diligence-Prozess bei Geschäftspartnern, speziell in sanktionsträchtigen Regionen, sowie gezielte Schulungen in den neuen DoJ-Fokusfeldern werden wesentlich sein, um Risiken frühzeitig zu identifizieren und Sanktionen zu vermeiden. Durch diese Maßnahmen erhöhen deutsche Unternehmen ihre Rechtssicherheit und stärken ihre Reputation als verlässliche Geschäftspartner in den USA.

Fazit

Die neuen Leitlinien des DoJ setzen voraussichtlich einen neuen Standard für die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität in den USA. Sie sollen eine konzentrierte, konsequente Strafverfolgung in besonders schädlichen Bereichen mit (dem Anreiz) einer Entlastung für Unternehmen, die sich kooperativ und compliant verhalten verbinden. Dieser Ansatz verringert zwar das Risiko für Unternehmen, die in redlicher Absicht handeln, erhöht jedoch die Risiken für solche in Hochrisikosektoren. Inwieweit die Leitlinien dafür genutzt werden, um us-amerikanische Unternehmen bei ihrer Anwendung gegenüber Nicht-US-Unternehmen zu bevorzugen bleibt zu beobachten.

Für deutsche Unternehmen mit US-Bezug ist es (auch deshalb) wesentlich, proaktiv ihre Compliance-Strukturen zu überprüfen, gezielt weiterzuentwickeln und die neuen Schwerpunkte des DoJ, wie die Zusammenarbeit bei einer freiwilligen Selbstauskunft, in ihre Risikosteuerung zu integrieren.

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