
BAG, 14. November 2017 – 3 AZR 781/16
Späteheklausel, wonach bei Verheiratung nach dem 65. Lebensjahr keine Hinterbliebenenversorgung gezahlt wird, ist wirksam.
Der Ehemann der Klägerin ging 1992 in Rente, nachdem er das 65. Lebensjahr erreicht hatte. Die für ihn maßgebliche Versorgungsordnung des Essener Verbandes sah u.a. vor, dass keine Hinterbliebenenrente anfällt, wenn der Verstorbene bei der Eheschließung 65 oder älter ist. Nachdem seine erste Ehefrau 2001 starb, heiratete er 2007 die Klägerin, bevor er 2014 verstarb. Die klagende zweite Ehefrau machte geltend, die Späteheklausel in der Leistungsordnung des Essener Verbands sei wegen Altersdiskriminierung unwirksam.
Die Klage beim BAG hatte keinen Erfolg. Das BAG hielt die Späteheklausel für wirksam. Zwar sei in der Klausel eine unmittelbare Ungleichbehandlung wegen des Alters zu sehen, diese beziehe sich aber nicht auf die hinterbliebene Ehefrau, sondern auf den verstorbenen Mitarbeiter, da für die Ungleichbehandlung auf den Beschäftigten i. S. v. § 6 I AGG abgestellt werden müsse. Die Regelung führe für ihn letztlich nur dazu, dass er sich anderweitig um die Absicherung seiner Hinterbliebenen kümmern müsse, wozu er rechtlich nicht verpflichtet sei. An der früheren Rechtsprechung, wonach § 10 S. 3 Nr. 4 AGG nur die Alters- und Invaliditätsversorgung erfasse, werde nicht festgehalten. Der EuGH habe in seinem Urteil „Parris“ mittlerweile entschieden, dass eine Hinterbliebenenversorgung, die an die Altersrente des Arbeitnehmers anknüpft und sich in ihrer Höhe nach der Höhe der Altersrente richtet, eine Form der Altersrente i. S. v. Art. 6 II der Richtlinie 2000/78/EG darstelle. Der Wunsch des Arbeitgebers, seine Belastungen aus der Hinterbliebenenversorgung zu begrenzen und kalkulierbar zu machen, stelle jedoch ein legitimes Ziel i. S. v. § 10 S. 1 AGG dar. Allerdings seien solche Altersgrenzen nach § 10 S. 3 Nr. 4 AGG zwar grundsätzlich, aber eben nicht immer zulässig. Es müsse hier – insoweit abweichend vom EuGH – nach § 10 S. 2 AGG geprüft werden, ob die konkrete Altersgrenze erforderlich und angemessen sei. Die zu beurteilende Altersgrenze von 65 Jahren sei zulässig, da diese Altersgrenze auch in § 2 I BetrAVG für die Berechnung der unverfallbaren Anwartschaft gelte und sie sich deshalb an einem Strukturprinzip des Betriebsrentenrechts orientiere. Nicht einschlägig sei die Härtefallklausel in der Versorgungsordnung. Zwar dürfe der Arbeitgeber über das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen eines Härtefalls nur im Rahmen billigen Ermessens entscheiden (§ 315 BGB). Es seien jedoch keine Umstände ersichtlich, die einen Härtefall begründen könnten. Allein die Wiederheirat nach dem Tod eines Ehepartners sei kein besonders gelagerter Einzelfall.
Gleiss Lutz Kommentar
Im Anschluss an die EuGH-Entscheidung „Parris“ gibt das BAG seine 2015 getroffene Grundsatzentscheidung auf, wonach die Hinterbliebenenversorgung nicht unter § 10 S. 3 Nr. 4 AGG fällt. Nach der Entscheidung des BAG sind Altersgrenzen jetzt zwar nach § 10 S. 3 Nr. 4 AGG grundsätzlich, aber eben nicht immer zulässig. Der dritte Senat verlangt, dass die konkrete Altersgrenze gemäß § 10 S. 2 AGG erforderlich und angemessen ist. Die der Entscheidung zugrundeliegende Altersgrenze von 65 Jahren hat das BAG als zulässig erachtet, weil diese Altersgrenze auch in § 2 I BetrAVG für die Berechnung der unverfallbaren Anwartschaft gilt und sie sich daher an einem Strukturprinzip des Betriebsrentenrechts orientiert. Ob allerdings – entgegen der Entscheidung von 2015 – nun auch eine Späteheklausel zulässig ist, die auf ein geringeres Alter als 65 für die Eheschließung abstellt, ist nach dieser Entscheidung des dritten Senats offen.
Die Zulässigkeit der Begrenzung einer Hinterbliebenenversorgung war auch Gegenstand weiterer Entscheidungen des BAG: Der dritte Senat hat vor kurzem entschieden, dass eine Versorgungsregelung, nach der eine Hinterbliebenenversorgung an den überlebenden Ehepartner nur gezahlt wird, wenn dieser nicht mehr als 15 Jahre jünger als der Versorgungsberechtigte ist, auch unter Geltung des AGG wirksam ist (BAG, vom 20. Februar 2018 – 3 AZR 43/17). Unklar ist jedoch, ob Abstandsklauseln mit einem geringeren Altersabstand (z. B. 10 Jahre), ebenfalls unter AGG Gesichtspunkten zulässig sind. Möglicherweise ergeben sich aus der Urteilsbegründung weitere Hinweise. Bislang liegt die Entscheidung des BAG nur in Form der Pressemitteilung vor. Der Versorgungsanspruch kann auch wirksam ausgeschlossen werden, wenn die Ehe erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (BAG, vom 15. Oktober 2013 – 3 AZR 653/11) oder nach Eintritt des Versorgungsfalls (BAG, vom 15. Oktober 2013 – 3 AZR 294/11) geschlossen wurde (bestätigt jeweils durch BAG, vom 4. August 2015 – 3 AZR 137/13). In diesen beiden Fällen hat der dritte Senat ebenfalls keine Diskriminierung wegen des Alters gesehen (§§ 7, 1 AGG), da diese Ereignisse eine „Zäsur“ darstellen, die die Ungleichbehandlung wegen des Alters ausnahmsweise als gerechtfertigt gem. § 10 S. 1 AGG erscheinen lassen. Daher sollten Arbeitgeber darauf achten, dass zumindest ein ausdrücklicher Ausschluss von Versorgungsansprüchen in ihren Versorgungsordnungen oder individuellen Regelungen vorgesehen ist, wenn die Ehe erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder erst nach Eintritt des Versorgungsfalls geschlossen wird.
