Wie in allen (hoch) regulierten Bereichen sind auch im Energiewirtschaftsrecht rechtliche Vorgaben häufig sanktioniert, um ihre Einhaltung sicherstellen zu können. Dies geschieht bei Nichtbeachtung entweder durch Sanktionen wie Ordnungswidrigkeiten oder durch den Verlust von Privilegien. Auf dieses System sind die Compliance-Strukturen in den betroffenen Unternehmen in der Regel bereits eingestellt. Allerdings ist in neuerer Zeit eine weitere Ebene hinzugekommen, die im Rahmen von Compliance-Managementsystemen zunehmend berücksichtigt werden sollte: diejenige des europäischen Beihilferechts. Immer mehr energierechtliche Regelungssysteme, in denen finanzielle Belastungen zwischen verschiedenen Beteiligten verschoben (gewälzt) werden, müssen nunmehr auch beihilferechtlichen Anforderungen genügen. Europäisches Beihilferecht kann nationale regulatorische Vorgaben überformen und folgt hinsichtlich seiner Durchsetzungs- und Sanktionsmechanismen eigenen (europäischen) Regelungen. Ein Beispiel dafür ist die in der Folge eines neueren EuG-Urteils diskutierte Möglichkeit der Rückforderung von finanziellen Mitteln, die fehlerhaft – das heißt unter Verletzung zunächst rein innerstaatlicher Regulierungsvorgaben – gewälzt wurden.
Energierecht: Vorgaben und ihre Sanktionierung bei Verstößen
Als hoch regulierter Bereich, der zudem stark politischen Vorgaben unterliegt, ist das Energiewirtschaftsrecht auf Mechanismen angewiesen, welche die Einhaltung dieser regulatorischen Vorgaben sicherstellen. Dazu hat der Gesetzgeber im Wesentlichen zwei Mittel: Sanktionen im engeren Sinne (z. B. durch die Androhung von Ordnungswidrigkeiten) oder Verluste von Privilegien. Ein Beispiel für letzteres ist die Privilegierung von bestehenden Scheibenpachtmodellen unter dem EEG 2017: Diese Modelle, bei denen verschiedene Stromverbraucher eine Erzeugungsanlage anteilig nutzen, müssen bis 31. Dezember 2017 gemeldet werden, damit sie ihre Privilegien in Form einer entfallenden EEG-Umlage behalten können. Wird diese Ausschlussfrist versäumt, geht diese Privilegierung verloren.
Eine weitere (neue) Ebene der Sanktionierung: Das Europäische Beihilferecht
Neben diesen bekannten Formen der Durchsetzung regulatorischer Vorgaben werden im Rahmen von Compliance-Managementsystemen zunehmend auch die Vorgaben des europäischen Beihilferechts zu beachten sein. Dies gilt gerade für das Energierecht, das häufig durch die Verschiebung (Wälzung) von finanziellen Mitteln zur Förderung von politisch als förderungswürdig (z. B. erneuerbare Energien) oder technisch als förderungsnotwendig (z. B. Stromreserven) erachteten Maßnahmen gekennzeichnet ist, um die dadurch entstehenden Belastungen möglichst gleichmäßig unter den Verursachern verteilen zu können. Das Beihilferecht kann aufgrund seiner unionsrechtlichen Verankerung nationale, regulatorische Vorgaben überformen und fehlerhafte, d. h. nicht im Einklang mit dem Beihilferecht stehende Entwicklungen mit eigenen Mitteln sanktionieren. Ein solches Mittel ist neben der Nichtigkeit entsprechender vertraglicher Vereinbarungen auch die Rückforderung der zu Unrecht erhaltenen finanziellen Begünstigungen.
Diese Möglichkeit hat das Europäische Gericht (EuG) in einer neueren Entscheidung nun weiter ausgedehnt. Das Urteil vom 10. Mai 2016 (Az.: T-47/15) betraf den Wälzungsmechanismus des deutschen EEG. In ihm werden die in bestimmten förderfähigen Anlagen (z. B. Solar- und Windkraftanlagen) erzeugten Strommengen (bilanziell) zwischen Erzeugern, Netzbetreibern und Verbrauchern weitergegeben. Zur Deckung der beim Erzeuger anfallenden Förderkosten wird eine Umlage erhoben, die ebenfalls über alle Akteure hinweg, letztendlich bis zum Letztverbraucher, der die EEG-Umlage auf seiner Stromrechnung ausgewiesen bekommt, abgewälzt wird.
Das EuG hat nun entschieden, dass diese finanziellen Mittel, die durch den im EEG geregelten Belastungsausgleich gewälzt werden, staatliche Mittel im Sinne des Europäischen Beihilferechts sind. Dies ist deshalb beachtenswert, weil der Ausgleich grundsätzlich zwischen privaten Marktakteuren (Netzbetreibern etc.) stattfindet. Durch die EuG-Entscheidung kommt es zu einer Ausweitung des für das Beihilferecht zentralen Begriffs der „staatlichen Mittel". Das Gericht lässt es ausreichen, dass das Ausgleichs- bzw. Abgabensystem staatlich initiiert ist und dass der Staat die Kontrolle über den Mittelfluss hat. Das Europäische Beihilferecht kann damit praktisch auf allen Stufen des Wälzungsmechanismus relevant werden. Außerdem lässt sich diese Rechtsprechung über das EuG-Urteil hinaus auf andere Wälzungsmechanismen übertragen, wie z. B. denjenigen des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes (KWKG) und die regulierten Netzentgelte.
Rückforderung als Sanktionierung
Die beihilferechtliche Kontrolle entfaltet ihre Wirkung nun auch in Fällen, in denen der Wälzungsmechanismus nicht wie gesetzlich vorgesehen funktioniert, also beispielsweise im Einzelfall fehlerhaft durchgeführt wird. Denkbar ist beispielsweise, dass die speziellen Voraussetzungen des Umlagesystems von den verantwortlichen Akteuren unzutreffend angewendet werden. Nach Auffassung des EuG verbleiben dann „staatliche Mittel" an einer Stelle des Wälzungsmechanismus, an der diese nicht vorgesehen sind. Da es sich um staatliche Mittel handelt und auch die übrigen Voraussetzungen einer staatlichen Beihilfe, die in der Regel weit ausgelegt werden, häufig erfüllt sein werden, kann eine unzulässige Beihilfe nach Art. 107 AEUV anzunehmen sein. In einem solchen Fall droht die Pflicht zur Rückabwicklung der als unionsrechtswidrige Beihilfe klassifizierten Mittel.
Diese Rückabwicklung erfolgt nach den Vorgaben des europäischen Beihilferechts. Denn auch wenn beispielsweise das EEG selbst Regelungen vorsieht, wie mit fehlerhaft gewälzten Mitteln umgegangen wird, müssen aus Gründen einer effektiven Durchsetzung (effet utile) des europäischen Beihilferechts dessen Vorgaben zumindest berücksichtigt werden. So regelt § 57 Abs. 5 S. 3 EEG 2017 beispielsweise, dass Rückforderungsansprüche zwischen Netzbetreibern und Anlagenbetreibern sowie – auf der nächsten Stufe – zwischen Übertragungsnetzbetreibern und Netzbetreibern mit Ablauf des 31. Dezembers des zweiten auf die Einspeisung folgenden Kalenderjahres verjähren. Diese Verjährungsregeln sind aber am Grundsatz des effet utile zu messen und dürfen dem beihilferechtlich intendierten Rückgewähranspruch nicht entgegenstehen. Fraglich ist deshalb, wie die prinzipiell nach Art. 17 Abs. 1 der Verfahrensverordnung (Verordnung Nr. 2015/1589 vom 13. Juli 2015, VVO) geltende 10-jährige Verjährungsfrist für Maßnahmen der Kommission damit in Einklang zu bringen ist.
Weitere ungeklärte Folgeprobleme
Weitere Konsequenzen dieser Entwicklung sind ebenfalls ungeklärt. Neben der Frage, wer konkret zur Rückforderung verpflichtet wäre, stellt sich auch die Frage, ob und bejahendenfalls wer eine Beihilfe notifizieren müsste, um formal ein Prüfverfahren beginnen zu können (Art. 108 Abs. 3 AEUV). Dies ist nur bei neuen Beihilfen notwendig: Verbleiben wegen fehlerhafter Wälzung finanzielle Mittel an einer Stelle im Umlagesystem, kann der Zeitpunkt, ab dem eine neue Beihilfe vorliegt, kaum abstrakt bestimmt werden. Die Spannbreite reicht von einem Verzicht auf die Rückforderung über den Eintritt der Verjährung nach nationalen Verjährungsvorschriften bis hin zur letztinstanzlichen Entscheidung über den Rückforderungsanspruch (vgl. dazu und zum Thema insgesamt weitergehend Lippert/Kindler, Die Staatlichkeit finanzieller Mittel in Umlagesystemen, EnWZ 2017, 256).
Fazit
Das Urteil des EuG vom 10. Mai 2016 verstärkt die rechtlichen Risiken für Marktteilnehmer im Energiesektor. Nunmehr können auch Fehler bei der Durchführung des innerstaatlich regulierten Wälzungsmechanismus dazu führen, dass ungewollt auf einer Stufe des Systems eine Begünstigung entsteht, welche die Voraussetzungen einer unionsrechtswidrigen Beihilfe erfüllt. Das europäische Beihilferecht wird deshalb zunehmend im Rahmen eines energiewirtschaftlichen Compliance-Managementsystems zu berücksichtigen sein. Konkret im Rahmen von Umlagesystemen, die im Energierecht weiter zunehmen, sind Unternehmen daher in Zukunft insbesondere gehalten, darauf zu achten, dass die finanzielle Weitergabe der Mittel ordnungsgemäß durchgeführt wird. Andernfalls kann eine unionsrechtlich zwingende Rückabwicklung mit bislang unbekannten Folgeproblemen drohen.