Arbeitsrecht

Nächster Halt: Modernisierung des BetrVG?

Der Bundesrat hat am Freitag, 11. Juli 2025 auf Initiative mehrerer Bundesländer eine Entschließung (BR-Drs. 239/25) gefasst, nach der die Bundesregierung zur Überarbeitung des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) aufgefordert wird. Ziel ist die grundlegende Modernisierung der betrieblichen Mitbestimmung.

Neben den aus dem Koalitionsvertrag bekannten Themen wie ein digitales Zugangsrecht für Gewerkschaften sowie Online-Betriebsversammlungen und -wahlen, wird insbesondere eine Überarbeitung des Arbeitnehmer- und Betriebsbegriffs sowie eine Erweiterung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats angestrebt. Bezüglich des Reformbedarfs, gerade mit Blick auf die Digitalisierung, besteht weitgehend Einigkeit. Für die erforderliche Transformation der Wirtschaft wäre es hingegen wesentlich, die betriebliche Mitbestimmung zu beschleunigen. Das Leitprinzip der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsordnung, dass unternehmerische Entscheidungen mitbestimmungsfrei sind, ist zu wahren.

Die wichtigsten Vorhaben im Überblick


Überarbeitung des Arbeitnehmerbegriffs

Der Begriff des Arbeitnehmers in § 5 Abs. 1 BetrVG soll überarbeitet werden. Künftig sollen auch arbeitnehmerähnliche Personen i.S.d. § 12a TVG vom Anwendungsbereich des BetrVG erfasst sein.

Überarbeitung des Betriebsbegriffs

Nach Auffassung des Bundesrats sollen alle Beschäftigten unabhängig vom Geschäftsmodell ihres Arbeitgebers (z.B. Plattformarbeit) die Möglichkeit haben, einen örtlich erreichbaren Betriebsrat zu wählen. Um dies zu erreichen, soll der Betriebsbegriff bzw. die Definition des Betriebsteils in § 4 BetrVG überarbeitet werden.

§ 119 BetrVG als Offizialdelikt

Eine strafrechtliche Verfolgung der Betriebsratsbehinderung und -benachteiligung kommt derzeit nur auf Antrag in Betracht (§ 119 Abs. 2 BetrVG). Der Straftatbestand ist deshalb in der Praxis kaum relevant und wird als „zahnloser Tiger“ bezeichnet. Um den Betriebsrat besser vor einer Behinderung oder Beeinträchtigung seiner Tätigkeit („Union Busting“) zu schützen, soll § 119 BetrVG ein Offizialdelikt werden. Entsprechende Vorhaben in der letzten Legislaturperiode wurden nicht umgesetzt.

Erweiterung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats

  • Die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats beim Umgang mit Beschäftigtendaten, insbesondere in Bezug auf den Einsatz Künstlicher Intelligenz sowie von Homeoffice- und Gleitzeitregelungen, sollen erweitert werden.
  • Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bzgl. Qualifizierungs- und Weiterbildungsanforderungen sollen erweitert werden.
  • Das Unterrichtungs- und Beratungsrecht des Betriebsrats zur Personalplanung nach § 92 BetrVG soll erweitert und dem Betriebsrat diesbezüglich ein Initiativrecht eingeräumt werden.

Erweiterung digitaler und hybrider (Sitzungs-)Formate

Nach derzeitiger Rechtslage können Betriebsratssitzungen – bei entsprechender Regelung in der Geschäftsordnung des Betriebsrats – digital im Wege einer Video- oder Telefonkonferenz stattfinden (§ 30 Abs. 2 BetrVG). Der Bundesrat möchte Betriebsräten nun darüber hinaus das Recht einräumen, Betriebsversammlungen und Wahlverfahren online oder hybrid abzuhalten bzw. zu gestalten. Damit soll ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag vom 9. April 2025 (siehe unseren Beitrag zum Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD – Arbeit und Soziales) umgesetzt werden.

Nutzungsrechte des Betriebsrats hinsichtlich betrieblicher Kommunikationsmittel

Betriebsräte sollen einen Anspruch auf angemessene technische Ausstattung sowie auf Zugang zu den betrieblich vorhandenen Kommunikationsmitteln haben. Da Betriebsräte bereits nach derzeitiger Rechtslage (§ 40 Abs. 2 BetrVG) verlangen können, dass der Arbeitgeber ihnen Informations- und Kommunikationstechnik zur Verfügung stellt, bleibt die beabsichtigte Neuerung unklar.

Betriebsübergang als Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG

Eine unterrichtungs- und beratungspflichtige Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG soll nach Vorstellung des Bundesrats auch bei einem Betriebsübergang nach § 613a BGB vorliegen, insbesondere wenn dieser zu einem für die Beschäftigten nachteiligen Tarifwechsel führt.

Regelung eines digitalen Zugangsrechts für Gewerkschaften

Nach derzeitiger Rechtslage haben Gewerkschaften kein digitales Zugangsrecht zu Betrieben (siehe zuletzt: BAG, Urteil vom 28.1.2025 – 1 AZR 33/24). Das Vorhaben von BMAS und BMWE, dies durch eine Anpassung von § 2 Abs. 2 BetrVG und § 8a Abs. 1 TVG zu ändern, ist in der letzten Legislaturperiode gescheitert. Im Koalitionsvertrag vom 9. April 2025 haben sich CDU/CSU und SPD darauf verständigt, das bestehende analoge Zugangsrecht der Gewerkschaften in die Betriebe um einen digitalen Zugang zu erweitern. Dies greift der Bundesrat nun auf: Gewerkschaften soll es ermöglicht werden, den Beschäftigten über die betrieblichen Informations- und Kommunikationstechnologien (z.B. dienstliche E-Mail-Adressen, Intranet, Messengerdienste) Informationen und Mitgliederwerbung zur Verfügung zu stellen.

Fazit

Eine Modernisierung des BetrVG ist grundsätzlich zu begrüßen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Bestrebungen des Bundesrats, die Digitalisierung der betrieblichen Mitbestimmung zu fördern. Das zwingende Abhalten von Betriebsversammlungen in Präsenz ist nicht mehr zeitgemäß. Ob die Vorhaben des Bundesrats im Übrigen geeignet sind, die Transformationsprozesse im Betrieb positiv zu begleiten, darf jedenfalls in Teilen bezweifelt werden: In ihrer Bewertung des Koalitionsvertrags vom 10. April 2025 hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) zu Recht betont, dass eine Reformierung des BetrVG nicht zu einer weiteren Ausweitung und Bürokratisierung der Betriebsverfassung führen darf. Ebendies wäre bei Umsetzung der vom Bundesrat vorgesehenen Erweiterung des Anwendungsbereichs des BetrVG und der Beteiligungsrechte des Betriebsrats aber zu erwarten. Um Unternehmen die notwendige Flexibilität zu geben, wäre es wünschenswert, die betriebliche Mitwirkung bspw. durch Fristenregelungen zu beschleunigen. Eine Rückbesinnung auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis von unternehmerischer Freiheit und betrieblicher Mitbestimmung, insbesondere beim ausufernden Tatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, könnte erforderliche Freiräume bei Digitalisierung und Transformation schaffen.

Ob und wann die Bundesregierung die Vorschläge des Bundesrats tatsächlich aufgreifen und zum Gegenstand eines Gesetzgebungsverfahrens machen wird, bleibt abzuwarten. Gesetzliche Vorgaben hierzu gibt es nicht.

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