Kündigungen sind an sich neutrale Gestaltungsrechte, deren Gründe keinen integralen Bestandteil darstellen. Daher können Kündigungen auch „blanko“, das heißt ohne Kenntnis eines rechtfertigenden Grundes, ausgesprochen werden, sofern dieser im Kündigungsschutzverfahren „nachgereicht“ wird.
BAG, Beschluss vom 12. Januar 2021 – 2 AZN 724/20
Sachverhalt
Die Parteien streiten unter anderem über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers. Der Kläger war Chefarzt einer Klinik. Diese kündigte mit Schreiben vom 29. Juni 2018 das mit ihm bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Die Kündigung begründete die Beklagte zunächst mit einer Tätlichkeit des Klägers gegenüber einer Mitarbeiterin im Jahr 2015, die ihr aber erst am 20. Juni 2018 bekannt geworden sei. Während des erstinstanzlichen Verfahrens schob die Beklagte, nach Beteiligung der Mitarbeitervertretung, weitere Kündigungsgründe, darunter vorsätzlich fehlerhafte Abrechnungen sowie Fehlbehandlungen, nach. Das ArbG hat die Klage abgewiesen und festgestellt, dass die fristlose Kündigung vom 29. Juni 2018 das Arbeitsverhältnis beendet hat. Die Berufung des Klägers hat das LAG zurückgewiesen und dabei auch die nachgeschobenen Kündigungsgründe berücksichtigt. Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LAG.
Entscheidung
Das BAG verwarf die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig und machte dabei Ausführungen zum Verhältnis von Kündigungen zu den bei Kündigungsausspruch bestehenden Kündigungsgründen. Kündigungsgründe, die dem Kündigenden bei Ausspruch der Kündigung noch nicht bekannt waren, können nachgeschoben werden, wenn sie bereits vor Ausspruch der Kündigung entstanden sind. Dazu, wie ein Extremfall, bei dem ein „Auswechseln“ der Kündigungsgründe dieser einen völlig anderen Charakter gibt, zu beurteilen wäre, musste sich das BAG nicht abschließend äußern. Es bezweifelt jedoch, dass eine solche Charakteränderung überhaupt möglich ist: Die Kündigung sei ein neutrales Gestaltungsrecht, dass inhaltlich nicht über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses hinausgehe. Wie die Präklusionsvorschriften §§ 4, 7 KSchG zeigten billige die Rechtsordnung selbst den Ausspruch einer Kündigung, ohne dass zunächst ein ansatzweise tragfähiger Grund vorliege. Der Arbeitgeber dürfe bei einer solchen „Blankokündigung“ darauf hoffen, noch rechtzeitig im Verlauf des Rechtsstreits einen hinreichenden wichtigen Grund zur Rechtfertigung der Kündigung aufzufinden.
Gleiss Lutz kommentiert
Die Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig ist keine Überraschung. Die hohen Anforderungen an die Darlegung der entsprechenden Zulassungsgründe führen regelmäßig zu einer Verwerfung der Beschwerden.
Interessanter sind die Äußerungen des BAG zur Möglichkeit der „Blankokündigung“. Sollte der Arbeitgeber jedoch bei Kündigungsausspruch damit rechnen, im Laufe des Kündigungsschutzverfahrens (weitere) Kündigungsgründe zu erfahren, dürfte der Ausspruch einer Verdachtskündigung eine überlegenswerte Alternative darstellen. Diese hat zudem den Vorteil, dass der Arbeitgeber nicht auf eine Nachweisbarkeit möglicher Pflichtverletzungen angewiesen ist. Stattdessen genügt der auf objektiven Tatsachen begründete dringende Verdacht nach Anhörung des Arbeitnehmers.
Abschließend sei erwähnt, dass das Nachreichen von Kündigungsgründen die Beteiligung einer ggf. bestehenden Arbeitnehmervertretung erfordert.