Arbeitsrecht

Kündigung wegen Äußerungen in einer Chatgruppe

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 24. August 2023 – 2 AZR 17/23 zu einer außerordentlichen Kündigung eines Arbeitnehmers wegen dessen beleidigender und zu Gewalt aufstachelnder Nachrichten in einer privaten Chatgruppe entschieden. Das BAG erhöht die Voraussetzungen, unter denen Arbeitnehmer auf die Vertraulichkeit ihrer Aussagen vertrauen dürfen.

Sachverhalt

Die Parteien streiten u. a. über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Der Kläger gehörte seit dem Jahr 2014 einer Chatgruppe im Messengerdienst WhatsApp an. Die Chatgruppe bestand neben dem Kläger aus fünf, zeitweise sechs, anderen aktiven und ehemaligen Mitarbeitern der Beklagten. Alle Gruppenmitglieder waren nach den Feststellungen der Vorinstanz langjährig befreundet, zwei sogar miteinander verwandt. Neben rein privaten Themen waren auch das Arbeitsumfeld bei der Beklagten sowie Vorgesetzte und Arbeitskollegen Gegenstand der Unterhaltung. Dabei äußerte sich der Kläger mehrfach in beleidigender und menschenverachtender Weise über Kollegen und Vorgesetzte. Ferner formulierte er Tötungsfantasien gegen konkrete Arbeitnehmer. Nachdem ein Gruppenmitglied die Nachrichten einem Kollegen gezeigt und dieser den Chatverlauf kopiert hatte, erlangte der Arbeitgeber Kenntnis von der Existenz der Chatgruppe und ihren Inhalten.

Die Beklagte kündigte das aufgrund tariflicher Regelungen ordentlich unkündbare Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich fristlos. Nach Ansicht der Beklagten habe der Kläger durch die zahlreichen beleidigenden, teilweise menschenverachtenden, darunter, rassistischen und sexistischen Äußerungen sowie durch Aufrufe zur Gewalt seine arbeitsvertraglichen Pflichten schwerwiegend verletzt. Demgegenüber hält der Kläger den Inhalt des Chatverlaufs für nicht verwend- und verwertbar, da es sich um einen reinen privaten Austausch gehandelt habe. Die Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

Entscheidung

Die Revision der Beklagten hatte vor dem BAG Erfolg. Schon das LAG hatte angenommen, dass die Äußerungen „an sich“ einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB darstellen können. Allerdings sei eine Kündigung aufgrund der Umstände, unter denen die Äußerungen gefallen sind, nicht gerechtfertigt, da die Kommunikation als vertraulich zu werten sei. Das BAG trat dieser Auffassung entgegen. Das LAG habe rechtsfehlerhaft eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung des Klägers hinsichtlich seiner Chatnachrichten angenommen. Eine Vertraulichkeitserwartung sei nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen, aus dem Persönlichkeitsrecht folgenden Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen könnten. Das Vorliegen einer solchen Vertraulichkeitsspähre sei im Einzelfall zu prüfen. Bei einer Kommunikation in Chatgruppen sei das Vorliegen einer Vertraulichkeitsspähre abhängig vom Inhalt der ausgetauschten Nachrichten, der Größe der Chatgruppe sowie der Zusammensetzung ihrer jeweiligen Mitglieder. Wenn die Nachrichten beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige enthalten, bedürfe es nach Ansicht des BAG einer besonderen Darlegung durch den Kläger, warum er berechtigt erwarten konnte, dass jedes Mitglied der Chatgruppe die Inhalte der Nachrichten vertraulich behandeln werde.

Das BAG hat die Sache an das LAG zurückverwiesen und dem LAG aufgegeben, weitere Feststellungen dazu zu treffen, ob und inwieweit der Kläger davon ausgehen konnte, dass die Chatinhalte von keinem Gruppenmitglied an Dritte weitergegeben werden würden. Dabei müsse der Kläger darlegen, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer Zusammensetzung auch nach dem nachträglichen Beitritt eines weiteren ehemaligen Kollegen, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung hatte.

Praxishinweis

Die Entscheidung liegt bislang nur als Pressemitteilung vor. Das BAG hatte sich erstmals mit der Frage zu beschäftigten, ob private Kommunikation in geschlossenen Chatgruppen, die durch Hassrede, Gewaltverherrlichung, sexistische, rassistische oder vergleichbare Äußerungen geprägt ist, eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann. Im Grundsatz hat das BAG diese Frage bejaht. Allerdings kommt es darauf an, ob der gekündigte Arbeitnehmer eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung hinsichtlich seiner Äußerungen haben durfte. Der gekündigte Arbeitnehmer hat nach dem Urteil des BAG aufgrund der oben dargestellten Kriterien darzulegen, warum er sich im konkreten Fall hinsichtlich seiner Kommunikation in der Chatgruppe auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen kann.

Die instanzgerichtliche Rechtsprechung bewertete bislang uneinheitlich, ob derartige Äußerungen in privaten, geschlossenen Chatgruppen eine Kündigung rechtfertigen können. In Bezug auf private Gespräche im Kollegenkreis, in denen ehrverletzende Äußerungen über Mitarbeiter und Vorgesetzte fallen, geht das BAG bislang von einer berechtigten Vertraulichkeitserwartung aus, die einer Kündigung aufgrund der jeweiligen Äußerungen regelmäßig entgegensteht. Gibt ein Gesprächspartner den Gesprächsinhalt dennoch an den Arbeitgeber weiter, dürfe das nicht zu Lasten des gekündigten Arbeitnehmers gehen (vgl. z. B. BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009 –
2 AZR 534/08). Für private Kommunikation in Chatgruppen legt das BAG nun einen strengeren Maßstab an. Insofern wird sich die Lektüre der Urteilsgründe lohnen.

Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidung insgesamt eine Trendwende dahingehend bedeutet, dass dem Beendigungsinteresse des Arbeitgebers bei privater Hassrede von Arbeitnehmern über Kollegen oder Vorgesetzte ein höheres Gewicht gegeben wird. Infolge der vorliegenden Entscheidung dürften E-Mails und Chatnachrichten mit hasserfülltem oder ehrverletzendem Inhalt häufiger Gegenstand kündigungsrechtlicher Auseinandersetzungen werden. Das Urteil könnte dazu beitragen, dass derjenige, der sich – und sei es in einem vermeintlich „kleinen Kreis“ von Kollegen – in herabwürdigender Weise über andere Betriebsangehörige äußert, künftig eher mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen muss.

Nur wenn der Kläger genauer erklären kann, warum er den Chat für einen vertraulichen Gesprächskreis hielt und warum er davon ausgehen durfte, dass die dort geäußerten Inhalte vertraulich behandelt werden, hätte der Kläger mit seiner Klage noch Aussicht auf Erfolg. Das wird ihm voraussichtlich schwerfallen. Allein die langjährige Freundschaft und teilweise Verwandtschaft der Chatgruppenmitglieder lässt das BAG für die Annahme einer berechtigten Vertraulichkeitserwartung jedenfalls nicht ausreichen.

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