
Beschluss der Kommission zu Delivery Hero und Glovo
Die Europäische Kommission hat mit Beschluss vom 2. Juni 2025 einen Kartellverstoß von Delivery Hero und Glovo im Bereich der Online-Essenslieferung im Europäischen Wirtschaftsraum festgestellt und Geldbußen in Höhe von insgesamt EUR 329 Millionen verhängt.
Die neue Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera hat damit ihren Willen zur Verfolgung von Kartellverstößen dokumentiert. Offensichtlich will sie die Politik ihrer Vorgänger im Amt fortsetzen und ist bereit, auch für neuartige Kartellverstöße hohe Bußgelder festzusetzen. Für die kartellrechtliche Compliance von Unternehmen markiert der Beschluss in zweifacher Hinsicht wichtige Neuentwicklungen:
Abwerbeverbot („No Poach“)
In den letzten Jahren sind Absprachen auf dem Arbeitsmarkt für die Wettbewerbsbehörden weltweit verfolgt worden – vor allem in den USA1, wo es bereits eine Reihe an Entscheidungen des DOJ zu diesem Thema gibt2, aber beispielsweise auch in Brasilien3 und der Schweiz4. Im Fokus stehen dort nicht nur Abwerbeverbote, sondern auch Absprachen über Gehälter sowie ein Informationsaustausch über gehaltsrelevante Bausteine. Auf der Ebene der EU-Mitgliedstaaten haben die Kartellbehörden zum Teil Leitlinien veröffentlicht (wie beispielsweise die portugiesische Behörde einen Best Practice Guide5 und die niederländische Behörde Leitlinien zu Kooperationen zwischen Wettbewerbern6) und zahlreiche Untersuchungen eingeleitet (beispielsweise betreffend Abwerbeverbote im Fußballprofisport in Portugal7, im Transportsektor in Belgien8 oder im Bereich der Herstellung von Böden in Frankreich9). Auch die Europäische Kommission hat in den letzten Jahren eine zunehmend harte Haltung gegenüber Arbeitsmarktbeschränkungen eingenommen. Im Mai 2024 veröffentlichte sie dazu ein Grundsatzpapier10. Danach sollen Abwerbeverbote („No Poach“) im Allgemeinen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen anzusehen sein. Sie sollen in der Regel nicht als Nebenabreden gelten oder gemäß Artikel 101 Abs. 3 AEUV freigestellt werden können.
Diese Einschätzung hat die Europäische Kommission nun bestätigt und zum ersten Mal die Vereinbarung von Abwerbeverboten sanktioniert. Sie klassifiziert ein generelles Abwerbeverbot als schwerwiegenden Verstoß und als „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung. Diese ist damit automatisch rechtswidrig, ohne dass Auswirkungen auf den Wettbewerb nachgewiesen werden müssen. Es genügt die Feststellung, dass die Verhaltensweise unter Berücksichtigung des relevanten wirtschaftlichen und rechtlichen Kontexts eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lässt.
Vereinbarungen zwischen Unternehmen, sich gegenseitig keine Mitarbeiter abzuwerben, stellen nach Ansicht der Kommission eine Form eines Einkaufskartells nach Artikel 101 Abs. 1 Buchstabe c AEUV dar. Hieran ändere es auch nichts, wenn es sich nur um ein Abwerbe-, nicht um ein Einstellungsverbot handele. Ebenso sei eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs auch dann schon anzunehmen, wenn die Vereinbarung nur zwischen zwei Unternehmen getroffen werde, also die Möglichkeit für Arbeitnehmer weiter bestehe, sich auf dem Markt nach anderen Beschäftigungsmöglichkeiten umzusehen.
Die Europäische Kommission betont, Abwerbeverbote würden in der Regel einen wirtschaftlichen Schaden verursachen, da sie die effiziente Zuweisung produktiver Arbeitnehmer an Unternehmen verhinderten. Im Wettbewerb stehende Arbeitgeber müssten so nicht mehr proaktiv höhere Löhne anbieten, um Arbeitnehmer zum Wechsel zu bewegen, oder Gegenangebote mit höheren Löhnen machen, um Mitarbeiter zu halten. Ferner befürchtet die Europäische Kommission gesamtwirtschaftliche negative Auswirkungen, insbesondere eine sinkende Produktivität und ein langsameres BIP-Wachstum.
Die Diskussion um die kartellrechtliche Bewertung von „No Poach“ dürfte nach der Entscheidung weitergehen. Jüngst hat sich in einem Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH (Rs. C‑133/24) auch Generalanwalt Emiliou dahingehend geäußert, dass „No Poach“-Vereinbarungen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung gelten können. Allerdings sei eine detaillierte Analyse der Einzelfallumstände erforderlich, wenn die wettbewerbswidrige Natur der relevanten Vereinbarung nicht eindeutig sei, wie in diesem Falle bei einer Abwerbevereinbarung im Fußballsport während der Covid-19-Pandemie. Es bleibt abzuwarten, ob der Gerichtshof dieser Auffassung des Generalanwalts folgen wird. Jedenfalls wird deutlich, dass – abgesehen von wenigen engen Ausnahmen – ein Abwerbeverbot kartellrechtlich beanstandet werden kann. Mit einer weiteren Intensivierung der Kartellrechtsdurchsetzung in diesem Bereich ist folglich zu rechnen.
Wettbewerbswidrige Ausnutzung einer Minderheitsbeteiligung
Bedeutsam ist der Beschluss der Europäischen Kommission auch aus einem zweiten Grund: Erstmals stand im Fokus der Europäischen Kommission die Nutzung einer Minderheitsbeteiligung an einem konkurrierenden Unternehmen zu wettbewerbswidrigen Zwecken. Für einen Zeitraum, in dem Delivery Hero lediglich eine nicht-kontrollierende Minderheitsbeteiligung an Glovo hielt, hat die Europäische Kommission festgestellt, dass die beiden Unternehmen wettbewerbsrechtlich problematische Informationen ausgetauscht haben. Die Europäische Kommission stellte fest, dass die beiden Wettbewerber sensible Geschäftsgeheimnisse (z. B. Geschäftsstrategien, Preise, Kapazität, Kosten und Produktmerkmale) ausgetauscht haben und dies ihnen die Anpassung ihres Marktverhaltens ermöglicht habe. Ein solches Verhalten sei durch die Minderheitsbeteiligung von Delivery Hero an Glovo erleichtert worden. Die Europäische Kommission stellte hierbei klar, dass es nicht per se kartellrechtswidrig sei, eine Beteiligung an einem Wettbewerber zu halten. Die Beteiligung habe aber in diesem konkreten Fall wettbewerbswidrige Kontakte zwischen den beiden konkurrierenden Unternehmen auf mehreren Ebenen ermöglicht. Darüber habe Delivery Hero die Entscheidungsprozesse bei Glovo beeinflussen und letztlich die Geschäftsstrategien der beiden Unternehmen aufeinander abstimmen können. Das kartellrechtliche Konzernprivileg gelte hier mangels kontrollierender Beteiligung nicht.
Das Verhalten der beiden Unternehmen lasse sich laut der Europäischen Kommission auch nicht damit rechtfertigen, dass Delivery Hero seine Beteiligung als Minderheitsgesellschafter habe schützen wollen. Delivery Hero habe seine Minderheitsbeteiligungsrechte und finanziellen Interessen durch seine Vertreter in den Organen von Glovo wahrnehmen können, ohne kartellrechtlich sensible Informationen auszutauschen. Dazu hätten geeignete kartellrechtliche Schutzvorkehrungen eingerichtet werden müssen – gemeint sind wohl Chinese Walls, NDAs, Clean Team Agreements, usw.
Eine Minderheitsbeteiligung an einem Wettbewerber ist – wenn auch nicht per se rechtswidrig –also mit besonderen kartellrechtlichen Risiken verbunden. Besondere Vorsicht ist deshalb geboten. Die Beteiligung erleichtert den Austausch vertraulicher Geschäftsinformationen, die Einflussnahme auf Entscheidungsprozesse und letztlich die Angleichung der jeweiligen Geschäftsstrategien beider Unternehmen. Fusionskontrollrechtlich diskutiert die Europäische Kommission schon seit langem, inwiefern Minderheitsbeteiligungen zu relevantem Einfluss führen können. Nun wird eine derartige Beteiligung auch im Rahmen eines Kartellverfahrens thematisiert. Unternehmen sollten bei horizontalen Verflechtungen also besonderes Augenmerk auf die Einrichtung von geeigneten kartellrechtlichen „Safeguards“ legen und insbesondere dem Informationsaustausch Einhalt gebieten und auf das zulässige erforderliche Maß begrenzen.
Ausblick
Der Beschluss der Europäischen Kommission vom 2. Juni 2025 zeigt wieder einmal, dass Unternehmen die Kartellrechtscompliance ganz oben auf ihre Agenda setzen müssen. Zwar hatten einige Beobachter mit einer gewissen Lockerung der Europäischen Kartellverfolgung unter der neuen Wettbewerbskommissarin gerechnet. Diese Einschätzung dürfte sich aber zumindest vorläufig zerschlagen haben.
Die Geldbußen der Europäischen Kommission gegen Delivery Hero und Glovo illustrieren zudem, dass der behördliche Blickwinkel nicht mehr allein darauf gerichtet ist, herkömmliche Preisabsprachen aufzudecken, sondern sich auch auf neue, atypische Verstöße erstreckt. So nehmen die Brüsseler Wettbewerbshüter zum Beispiel verstärkt neuere Formen der Preiskoordinierung wie etwa „Signaling“ in den Blick. In den USA liegt ein weiterer Schwerpunkt der Kartellverfolgung auf der unzulässigen Koordinierung über Preisalgorithmen (vgl. etwa Realpage11, Duffy vs. Yardi12, Casino-Hotel13, Mulitplan14). Insoweit fügt sich der Beschluss in den allgemeinen Trend ein. Dies stellt für die Unternehmen und ihre externen Berater eine erhebliche Herausforderung dar.
[1] “Antitrust Guidelines for Business Activities Affecting Workers”
[2] Pressemitteilung (auf Englisch); Pressemitteilung (auf Englisch)
[3] Pressemitteilung (auf Englisch)
[4] Pressemitteilung
[5] “Best practices in preventing anticompetitive agreements in labour markets”
[6] “Guidelines on Collaborations between competitors”
[7] Pressemitteilung (auf Englisch)
[8] Pressemitteilung (auf Englisch)
[9] Pressemitteilung (auf Englisch); Volltext der Entscheidung (auf Französisch)
[10] „Competition policy brief: Antitrust in Labour Markets”
[11] Pressemitteilung (auf Englisch); Statement of Interest (auf Englisch)
[12] Statement of Interest (auf Englisch)
