
Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vom 09.04.2025 wird für Medizinische Versorgungszentren, an denen Kapitalinvestoren beteiligt sind („iMVZ“) ein Regulierungsgesetz angekündigt, ohne jedoch konkrete Maßnahmen zu nennen. Nachdem der EuGH mit seinem Urteil vom 19.12.2024 (Rs. C-295/23, Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft) das deutsche Fremdbesitzverbot an Rechtsanwaltskanzleien als europarechtskonform erklärt hat, sehen die Verfechter einer Einschränkung der Betätigungsmöglichkeiten von Investoren in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung darin eine Bestätigung ihrer langjährigen Forderung nach einem entsprechenden Verbot. Tatsächlich ist das EuGH-Urteil allerdings auf iMVZ nicht übertragbar.
MVZ-Begründungsbefugnis von Nichtärzten und im Raum stehende Gründungsbeschränkungen
Seit 2004 ist es in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung für Investoren möglich, über den Erwerb eines zugelassenen Krankenhauses MVZ zu gründen oder sich daran zu beteiligen. Obwohl der Gesetzgeber den Kreis der MVZ-Gründungsberechtigten mit dem GKV-VStG 2011 und TSVG 2019 bereits zweimal eingeschränkt hat (siehe Know-how-Beitrag vom 20.03.2019: „Das TSVG und seine Auswirkungen für strategische Investoren“), ging die Diskussion um zusätzliche Beschränkungen der MVZ-Gründungsbefugnis weiter. Der Bundesrat forderte am 16.6.2023 u.a. folgende Regelungen:
- Räumliche Beschränkung der MVZ-Gründungsbefugnis von Krankenhäusern auf die jeweiligen arztgruppenbezogenen Planungsbereiche, die ganz oder teilweise in einem Radius von bis 50 km zum Sitz des Krankenhauses entfernt liegen
- Begrenzung des Versorgungsanteils für von einem Träger gegründete MVZ im jeweiligen arztgruppenbezogenen Planungsbereich bei Hausärzten auf maximal 25%, bei der allgemeinen und speziellen fachärztlichen Versorgung auf maximal 50% pro Facharztgruppe
Keine Übertragbarkeit des EuGH-Urteils zum Fremdbesitzverbot an Rechtsanwaltsgesellschaften auf iMVZ
Der EuGH hat seine Entscheidung zur Bestätigung des Fremdbesitzverbots an Rechtsanwaltsgesellschaften vom 19.12.2024 damit begründet, dass dieses ein legitimes Mittel zur Wahrung der anwaltlichen Unabhängigkeit sowie zum Schutz der Mandanteninteressen sei. Bei der Frage, ob diese Kernmerkmale der anwaltlichen Tätigkeit durch die Beteiligungsmöglichkeiten von Investoren gefährdet seien, habe der Gesetzgeber einen Beurteilungs- und Prognosespielraum.
Wenig überraschend flammte daraufhin die Debatte um die Zurückdrängung von iMVZ erneut auf. Das Urteil zeige, dass Europarecht diesem Vorhaben nicht entgegenstehe. Jedoch sind die Erwägungen des EuGH zum Fremdbesitz an Rechtsanwaltsgesellschaften aufgrund der grundlegend abweichenden Ausgangssituation auf die Beschränkung des seit über 20 Jahren zulässigen (mittelbaren) Fremdbesitzes an MVZ nicht übertragbar Die Voraussetzungen für eine zulässige Beschränkung der Niederlassungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit – diese Grundfreiheiten wären betroffen – liegen nicht vor:
- Deutlich eingeschränkter Einschätzungsspielraum des nationalen Gesetzgebers bei einer nachträglichen Beschränkung von Grundfreiheiten: Die EuGH-Rechtsprechung stellt deutlich höhere Anforderungen an die Rechtfertigung der nachträglichen Beschränkung von zuvor erlaubten Tätigkeiten. Es reicht nicht, wenn der Gesetzgeber die von ihm erwartete Gefährdung eines anerkannten Schutzguts lediglich behauptet oder sie für denkbar hält. Vielmehr sind belastbare Daten und valide Erfahrungswerte erforderlich, die diese Annahme tragen.
- Gefahren für ein anerkanntes Schutzgut müssen belegbar sein: Andersausgedrückt bedeutet diese Judikatur, dass es für den Gesetzgeber deutlich einfacher ist, einen Markt für bestimmte Teilnehmer von vornherein nicht zu öffnen als ihn nach über 20 Jahren erlaubter Teilnahme wieder zu schließen oder zuvor vorhandene Betätigungsmöglichkeiten einzuschränken. Dies wäre nur möglich, wenn es objektiv überprüfbare Daten oder wissenschaftliche Erkenntnissen gäbe, mit denen der Gesetzgeber belegen könnte, dass durch die wirtschaftliche Teilnahme von Investoren an der ambulanten Versorgung Gefahren für ein anerkanntes Schutzgut (etwa die Versorgungsqualität oder die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung) eingetreten sind. Allerdings ist eine solche Gefährdung bis heute nicht belegt.
Verfassungsrechtliche Bewertung
Das europarechtliche Ergebnis deckt sich mit der verfassungsrechtlichen Bewertung. Die nachträgliche Beschränkung der Tätigkeitsmöglichkeiten von iMVZ wäre mit der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar.
Es spricht einiges dafür, dass es sich bei den vom Bundesrat geforderten Verboten um objektive Berufszugangsregelungen handelt. Diese sind nur zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zulässig. Wie der EuGH räumt das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber grundsätzlich einen Einschätzungs- und Prognosespielraum ein. Ebenso entspricht es seiner Rechtsprechung, dass bei nachträglichen Beschränkungen bloße Gefährdungspotentiale ohne Erkenntnisse dazu, dass tatsächlich Gefahren für einen überragenden Gemeinwohlbelang bestehen, einen Eingriff nicht rechtfertigen können. Deswegen sind die Erwägungen zur Niederlassungsfreiheit auf Art. 12 Abs. 1 GG übertragbar.
An diesem Ergebnis änderte sich nichts, wenn man die vom Bundesrat geforderten Beschränkungen als subjektive Berufswahlregeln ansähe. Auch insoweit fehlt es an einer nachweisbaren Gefährdung eines überragenden Gemeinschaftsguts.
Fazit
Das EuGH-Urteil zur Rechtmäßigkeit des Fremdbesitzverbots an Rechtsanwaltsgesellschaften vom 19.12.2024 ist auf die Beschränkung der MVZ-Gründungsbefugnisse von Investoren nicht übertragbar. Die vom Bundesrat geforderten Beschränkungen der Tätigkeit der von Krankenhäusern getragenen MVZ wären weder europa- noch verfassungsrechtlich zulässig und können nicht Gegenstand der im Koalitionsvertrag angekündigten iMVZ-Regulierung sein.
Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Rechtslage findet sich in unserem soeben erschienenen Aufsatz mit dem Titel „Freibrief für Einschränkungen der MVZ-Gründungsberechtigung durch das EuGH-Urteil zum Fremdbesitzverbot an Rechtsanwaltsgesellschaften?“
