EuGH, 9. November 2017 – C-306/16
Art. 5 der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung in der durch die Richtlinie 2000/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 2000 geänderten Fassung und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sind dahin auszulegen, dass sie nicht verlangen, dass die kontinuierliche wöchentliche Mindestruhezeit von 24 Stunden, auf die ein Arbeitnehmer Anspruch hat, spätestens an dem Tag gewährt wird, der auf einen Zeitraum von sechs aufeinanderfolgenden Arbeitstagen folgt, sondern nur, dass sie innerhalb jedes Siebentageszeitraums gewährt wird.
Der Kläger des Ausgangsverfahrens (im Folgenden „Kläger“) war von 1991 bis 2014 in einem Casino in Portugal beschäftigt, das mit Ausnahme des 24. Dezember jeden Tag vom Nachmittag bis zum folgenden Morgen geöffnet hatte. Die Arbeits- und Ruhezeiten wechselten reihum und die Angestellten besetzten nacheinander dieselben Arbeitsplätze nach einem vorher festgelegten Rhythmus. Der Kläger arbeitete in den Jahren 2008 und 2009 mehrfach an sieben aufeinanderfolgenden Tagen. 2010 änderte das Unternehmen die Arbeitszeiten, so dass die Arbeitnehmer an nicht mehr als sechs aufeinanderfolgenden Tagen tätig waren. Nach seiner Entlassung im Jahr 2014 begehrte der Kläger die Feststellung, dass ihm die gesetzlichen Pflichtruhetage nicht gewährt worden seien. Er forderte insoweit Entschädigungszahlungen in Höhe der Vergütung der geleisteten Überstunden. Das portugiesische Gericht rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an und bat um Klärung, ob die Arbeitszeitrichtlinie dahin auszulegen sei, dass die kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden spätestens an dem Tag gewährt werden muss, der auf einen Zeitraum von sechs aufeinanderfolgenden Arbeitstagen folgt.
Dies hat der EuGH verneint. Die wöchentliche Mindestruhezeit müsse nicht spätestens an dem Tag gewährt werden, der auf einen Zeitraum von sechs aufeinanderfolgenden Arbeitstagen folgt, sondern nur innerhalb jedes Siebentageszeitraums. Die Wendung "pro Siebentageszeitraum" sei ein autonomer Begriff des EU-Rechts, der einheitlich ausgelegt werden müsse. Der Wortlaut der Richtlinie lege nicht fest, zu welchem Zeitpunkt die wöchentliche Mindestruhezeit zu gewähren sei; den Mitgliedstaaten wird dadurch in Bezug auf die Wahl dieses Zeitpunkts ein gewisser Spielraum eingeräumt. Systematische Erwägungen ergäben, dass der Siebentageszeitraum als Bezugszeitraum betrachtet werden könne, innerhalb dessen eine bestimmte Anzahl aufeinanderfolgender Ruhestunden zu gewähren sei, unabhängig vom Zeitpunkt, zu dem diese Ruhestunden tatsächlich gewährt werden. Diese Auslegung sei auch mit Sinn und Zweck der Richtlinie vereinbar, die die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer wirksam schützen sollen. Somit räume die Richtlinie den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Festsetzung des Zeitpunkts, zu dem diese Mindestruhezeit zu gewähren sei, ein Ermessen ein. Das könne Arbeitnehmern zu Gute kommen, da für sie am Ende eines und am Anfang des darauf folgenden Bezugszeitraums mehrere aufeinanderfolgende Ruhetage möglich seien.
Am Ende weist der EuGH noch darauf hin, die Richtlinie stelle nur Mindestnormen für den Schutz der Arbeitnehmer im Rahmen der Arbeitszeitgestaltung auf. Die Mitgliedstaaten dürfen also für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anwenden oder erlassen oder die Anwendung von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern fördern oder gestatten, die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstiger seien.
Gleiss Lutz Kommentar
Der Entscheidung ist sowohl inhaltlich als auch in der Begründung zuzustimmen. Die Arbeitszeitrichtlinie legt nur fest, dass innerhalb eines Siebentagezeitraums eine Mindestruhezeit von 24 Stunden gewährt werden muss, aber nicht wann. Damit entspricht diese Entscheidung dem von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zunehmend geäußerten Wunsch nach einer Flexibilisierung der Arbeitszeit, dem aber teilweise noch nationale Regelungen mit starren Vorgaben, z.B. das Erfordernis einer ununterbrochenen Ruhezeit von mindestens elf Stunden nach § 5 Abs. 1 ArbZG, entgegenstehen. Insofern bleibt die Hoffnung, das Urteil möge dazu Anlass geben, das deutsche Arbeitszeitrecht zu überdenken.