Defense & Security

Die Quantenstrategie der EU – Schlüsseltechnologie für Wirtschaft, Sicherheit und Verteidigung

I. Aufbruch in eine neue Ära – Die „Quantum Europe Strategy“ der EU

Mit der am 2. Juli 2025 veröffentlichten „Quantum Europe Strategy” verfolgt die Europäische Kommission das Ziel, Europa bis 2030 zu einem führenden globalen Standort für Quantentechnologien zu machen. Die Strategie ist kein reines Forschungsprogramm – sie markiert einen politischen Paradigmenwechsel: Quantentechnologien gelten inzwischen als strategische Infrastruktur – technologisch, wirtschaftlich, sicherheitspolitisch und verteidigungsrelevant.

Vor dem Hintergrund massiver Investitionen in den USA und China will die EU ein eigenständiges, souveränes Quantenökosystem aufbauen, das wissenschaftliche Exzellenz mit industrieller Skalierbarkeit und sicherheitsrelevanter Resilienz verbindet. Die Strategie stellt einen umfassenden Ordnungsrahmen dar, der durch einen geplanten „European Quantum Act” im Jahr 2026 rechtlich untermauert und weiterentwickelt werden soll.

II. Warum Quantentechnologien für Verteidigung, Sicherheit und Wirtschaft entscheidend sind

Quantentechnologien erschließen disruptive Anwendungen mit erheblichem Einfluss auf sicherheitsrelevante Fähigkeiten – sowohl militärisch als auch zivil. Dazu gehören:

  • Hochpräzise Navigation ohne GPS, etwa für autonome Systeme,
  • Abhörsichere Kommunikation mittels Quantenverschlüsselung,
  • Sensorik und Gravimetrie, etwa zur Detektion unterirdischer Infrastrukturen,
  • Quantum Computing, z.B. zur Einsatzunterstützung bei komplexen Lagebildern und logistischen Entscheidungen.

Damit verändern Quantenanwendungen das strategische Lagebild in Verteidigung, Raumfahrt, Cybersicherheit und Krisenprävention – oft mit Dual-Use-Charakter, d.h. zivil nutzbar, aber auch militärisch relevant.

Gleichzeitig entfalten Quantenanwendungen eine enorme wirtschaftliche Hebelwirkung: Laut EU-Kommission wird der Markt für Quantenlösungen weltweit bis 2040 ein Volumen von über 155 Milliarden Euro erreichen und zehntausende qualifizierte Arbeitsplätze in Europa schaffen. Unternehmen, die frühzeitig investieren und regulatorisch richtig positioniert sind, sichern sich sowohl Wettbewerbsvorteile als auch strategische Handlungsfähigkeit in kritischen Zukunftsfeldern.

III. Nationale und europäische Einordnung als sicherheitsindustrielle Schlüsseltechnologie

Die sicherheitspolitische Relevanz der Quantentechnologien ist politisch klar verankert:

  • Die Bundesregierung hat Quantentechnologien in ihrer Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie vom 4. Dezember 2024 als sicherheits- und verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologie eingestuft. Deren nationale Verfügbarkeit liegt somit im wesentlichen nationalen Sicherheitsinteresse.
  • Die EU-Kommission stuft Quanten in ihrer Economic Security Strategy und im White Paper on Defence – Readiness 2030 ebenfalls als Schlüsseltechnologie für Sicherheit und Verteidigung ein.

Für Unternehmen bedeutet das: Wer in Bereichen wie IT-Sicherheit, Kommunikation, Sensorik, Raumfahrt oder KI tätig ist, kann – oft ohne strategische Absicht – regulatorisch als sicherheitsrelevant eingestuft werden. Eine frühzeitige juristische und strategische Einordnung ist daher ratsam, insbesondere bei Kooperationen, Investitionen oder internationalem Marktzugang.

IV. Die fünf strategischen Handlungsfelder der EU-Quantenstrategie

Die „Quantum Europe Strategy” definiert fünf zentrale Handlungsfelder, die bis 2030 eine europäische Führungsrolle sichern sollen:

  • Forschung und Innovation: Aufbau einer EU-weiten Forschungs- und Innovationsinitiative, die Grundlagenforschung mit industrieller Anwendungsreife verbindet – auch im Verteidigungsbereich (z.B. Lagebildverarbeitung, Simulation).
  • Quanteninfrastrukturen: Entwicklung koordinierter Infrastrukturzentren (z.B. Rechenzentren, Testbeds, Satellitensysteme), inklusive frühzeitiger Pilotierung relevanter Technologien.
  • Stärkung des Quanten-Ökosystems: Förderung europäischer Start-ups, Scale-ups und Lieferketten, mit Fokus auf Resilienz und Unabhängigkeit von außereuropäischen Komponenten.
  • Raumfahrt und Dual-Use-Potenziale (Sicherheit und Verteidigung): Integration quantentechnologischer Fähigkeiten in die europäische Raumfahrt- und Verteidigungsstrategie, inkl. konkreter Roadmaps für den jeweiligen Einsatz von Quantentechnologien.
  • Quantenkompetenzen: Aufbau eines qualifizierten Arbeitskräftepools durch die „European Quantum Skills Academy” ab 2026.

V. Der angekündigte „Quantum Act“ – ein regulatorischer Ordnungsrahmen 

Im Jahr 2026 plant die Europäische Kommission die Vorlage eines „European Quantum Act”, mit dem die strategischen Ziele der Quantum Europe Strategy regulatorisch unterlegt und rechtlich abgesichert werden sollen. Der Quantum Act befindet sich derzeit in Vorbereitung; ein Entwurf liegt noch nicht vor.

Laut bereits verabschiedetem Strategiepapier soll der Quantum Act voraussichtlich folgende Elemente enthalten:

  • Rahmenbedingungen für gezielte Investitionen in Schlüsseltechnologien und industrielle Infrastruktur: In der Quantum Europe Strategy ist bereits vorgesehen, eine Quantendesign-Einrichtung sowie sechs Pilotlinien für Quantenchips mit bis zu 50 Mio. EUR öffentlicher Förderung pro Pilotlinie zu schaffen. Ob diese Maßnahmen durch den Quantum Act selbst geregelt oder über bestehende Instrumente wie das Chips Joint Undertaking oder Horizon Europe umgesetzt werden, ist noch offen.
  • Flankierung strategischer Dual-Use-Anwendungen in den Bereichen Verteidigung, Raumfahrt und Cybersicherheit: Die Kommission nennt Quantenanwendungen explizit als relevante Technologie für Sicherheits- und Verteidigungszwecke. Der Quantum Act soll Maßnahmen unterstützen, die diesen Sektor stärken und koordinieren.
  • Stärkung von Koordinierung, Governance und Risikomanagement: Es ist vorgesehen, ein hohes Maß an Koordination von Mitgliedstaaten, Industrie, Start-ups und Forschungseinrichtungen sicherzustellen – u.a. über einen hochrangigen Expertenbeirat mit führenden europäischen Quantenwissenschaftlern (inkl. Nobelpreisträgern).
  • Einbettung in bestehende europäische Förder- und Sicherheitsprogramme, etwa in Verbindung mit dem European Defence Fund, Digital Europe, Horizon Europe, dem ESA-Programm, und der NIS2-Richtlinie.

Unklar ist bislang, ob der Quantum Act auch konkrete Zertifizierungs- oder Standardisierungsanforderungen regeln wird. Zwar ist in der Quantum Europe Strategy die Einrichtung von Testumgebungen für Quantenkommunikationssysteme vorgesehen, in denen Pre-Certification-Prozesse getestet werden sollen. Auch die EU-Normungsorganisationen (z.B. CEN/CENELEC, ETSI) und die Agentur ENISA arbeiten bereits an entsprechenden technischen Standards. Ob und wie diese Prozesse im Quantum Act verbindlich verankert werden, bleibt abzuwarten.

VI. Fazit

Der Quantum Act wird – ähnlich dem EU Chips Act – keine bloße Symbolpolitik, sondern ein zentraler Baustein für die Regulierung und Skalierung sicherheitsrelevanter Schlüsseltechnologien. Insbesondere Unternehmen, die in potenziell sicherheitskritischen Quantenanwendungen tätig sind, sollten sich frühzeitig und strategisch im Einklang mit den sich entwickelnden regulatorischen Rahmenbedingungen positionieren.

Für technologieorientierte Unternehmen – auch ohne unmittelbaren Rüstungsbezug – ergeben sich klare Implikationen:

  • Chancen: Zugang zu strategischen Förderstrukturen, privilegierter Zugang zu sicherheitsrelevanten Projekten, technologische Kooperationsmöglichkeiten.
  • Pflichten: Compliance mit Investitionskontrolle, Exportkontrolle (auch bei zivilen Anwendungen mit Dual-Use-Potenzial), IT-Sicherheitsanforderungen, ESG-konforme Rüstungsfinanzierung.
  • Empfehlung: Frühzeitige Prüfung, ob eigene Technologien oder Kooperationen als sicherheitsrelevant eingeordnet werden könnten – insbesondere bei F&E-Vorhaben, Drittmittelprojekten, transnationalen Lieferbeziehungen oder Beteiligungen.

VII. Ausblick

Die „Quantum Europe Strategy” ist mehr als ein industriepolitisches Signal – sie ist ein ordnungspolitischer Entwurf für ein souveränes, resilient aufgestelltes Europa im Zeitalter quantentechnologischer Systemkonkurrenz. Mit dem Quantum Act entsteht ein verbindlicher Rechtsrahmen, der Markt, Sicherheit und Innovationskraft miteinander verzahnt.

Für Unternehmen, Investoren und Forschungseinrichtungen gilt: Wer sich jetzt strategisch positioniert – mit Blick auf Technologiebewertung, Förderfähigkeit und regulatorische Absicherung – wird zu den Gestaltern der kommenden Quantenordnung gehören.

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