Energie & Infrastruktur

Der NEST („Netze. Effizient. Sicher. Transformiert.“)-Prozess – Die Reform der Anreizregulierung der BNetzA

Mit ihrer Reform der Anreizregulierung will die Bundesnetzagentur („BNetzA“) diese auf eine neue Grundlage stellen und deutlich umgestalten.

Aktueller Stand

Die BNetzA hat seit Februar 2024 die neuen Grundregeln der Anreizregulierung entwickelt. Die finalen Entwürfe der Festlegungen zu den Verfahren RAMEN Strom und RAMEN Gas sowie der Strom- und Gasnetzentgeltfestlegungen („StromNEF“ und „GasNEF“) werden in Kürze dem Länderausschuss der BNetzA übermittelt, der in seiner Sitzung am 13. November 2025 darüber befindet, ob er zu dem Verfahren sein Benehmen herstellt. Sollte der Länderausschuss, der der Abstimmung zwischen Landesregulierungsbehörde und BNetzA dient, das Benehmen verweigern, muss die BNetzA die finalen Entwürfe anhand der Stellungnahme der Landesregulierungsbehörde anpassen.

Hintergrund und Wirkung der Festlegungen der BNetzA

Die Festlegungen werden die Anreizregulierungsverordnung („ARegV“) sowie die bisherigen StromNEV und GasNEV ablösen. Hintergrund ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs („EuGH“) vom 2. September 2021 (Rs. C-718/18), das bestimmte Regelungen dieser Verordnungen für unionsrechtswidrig erklärt, insbesondere weil sie nicht von der BNetzA als zuständige Regulierungsbehörde in Deutschland erlassen wurden. Die BNetzA ist daher verpflichtet, zentrale Bestimmungen künftig selbst durch Festlegungen zu regeln. 

Die Festlegungen im NEST-Prozess regeln die Kosten- und Erlösregulierung der Netzbetreiber. Eine Reform der Stromnetzentgelte wird parallel im sogenannten AgNes-Prozess behandelt. 

Festlegungen der BNetzA sind Allgemeinverfügungen der Beschlusskammern. Gegen sie ist die Beschwerde zum OLG Düsseldorf statthaft; ohne fristgerechte Beschwerde werden sie bestandskräftig. In der Praxis sind Festlegungen regelmäßig sofort vollziehbar. Eine Aufhebung oder Änderung der bestandskräftigen Festlegung ist nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 48, 49, 51 VwVfG oder nach § 29 Abs. 2 EnWG möglich. Der Behörde kommt dabei grundsätzlich ein Ermessensspielraum zu.

Festlegungssystematik und einzelne Festlegungen im Überblick

Zur Umsetzung leitete die BNetzA mehrere Festlegungsverfahren ein. Diese Verfahren wurden anhand eines abgestuften Systems, das sich in Rahmenfestlegungen, Methodenfestlegungen und Perioden- oder Einzelfallfestlegungen gliedert, eingeleitet. Die „Rahmenfestlegungen“ (z.B. RAMEN Strom/Gas) bilden die oberste Ebene der dreistufigen Festlegungssystematik. Sie beschreiben das künftige Regulierungssystem in abstrakter Form und bestimmen dessen grundlegende Maßstäbe. Darunter folgen die „Methodenfestlegungen“, welche die methodischen Vorgaben für einzelne Regulierungsinstrumente konkretisieren, etwa zur Ermittlung von Effizienzwerten, Produktivitätsfaktoren oder Qualitätselementen. Auf der untersten Ebene stehen schließlich die „Einzelfestlegungen“, die perioden- oder unternehmensbezogene Regelungen wie die Kapitalverzinsung und den Produktivitätsfaktor festlegen.

Die finalen Festlegungsentwürfe sehen unter anderem Folgendes vor: 

  • RAMEN Strom und RAMEN Gas (Rahmenfestlegungen)

    Die Rahmenfestlegungen RAMEN Strom (GBK-25-01-1#1) und RAMEN Gas (GBK-25-01-2#1) bilden das Grundgerüst des neuen Anreizregulierungssystems. Sie definieren unter anderem (i) die Dauer der nächsten Regulierungsperiode (ausnahmsweise noch einmal fünf Jahre; eine Umstellung auf drei Jahre wird bis 2030 geprüft und wäre frühstens ab 2033 möglich); (ii) zentrale Instrumente wie den Effizienzvergleich und den generellen sektoralen Produktivitätsfaktor („Xgen“); (iii) Vorgabe für die pauschalierte Bestimmung der Kapitalkosten; sowie (iv) die Einführung eines Katalogs besonderer Kostenkategorien („KAnEu“). Der ergänzende OPEX-Anpassungsfaktor wird darin näher erläutert (Zweck und Wirkung). 

    Die BNetzA plant darüber hinaus, Ende 2025 einen Entwurf für das neue Qualitätselement „Energiewendekompetenz“ vorzustellen. Es adressiert u.a.  Digitalisierung, Aus- und Weiterbildung sowie Best‑Practice‑Transparenz.
     

  • StromNEF und GasNEF (Rahmenfestlegungen)

    Die Festlegungsverfahren StromNEF (GBK-24-02-1#3) und GasNEF (GBK-24-02-2#3) regeln die Vorgaben zur Bestimmung des Ausgangsniveaus, das in die Bestimmung der Erlösobergrenzen der Netzbetreiber eingeht. Wesentliche Neuerungen sind die Umstellung des Kapitalerhaltungssystems auf eine reine Realkapitalerhaltung, neue Vorgaben zur Ermittlung der Bezugsbasis für die WACC-Rate (gewichteter durchschnittlicher Kapitalkostensatz), zur Gewerbesteuer und zur pauschalen Berücksichtigung des Umlaufvermögens. Die Gewerbesteuer wird weiterhin auf kalkulatorischer Grundlage anerkannt, auch bei kommunalem Querverbund.
     

  • Vereinfachtes Verfahren: OPEX-Dynamisierung und neues Zugangskriterium

    Auch Stromverteilnetzbetreiber im vereinfachten Verfahren erhalten künftig – im Gleichlauf mit dem Regelverfahren – bei einer anwachsenden Versorgungsaufgabe in der anstehenden fünfjährigen Regulierungsperiode eine pauschale Anpassung ihrer Betriebskosten (z.B. Personal, Digitalisierung).  Dies erhöht die erwarteten Erlöse auch im vereinfachten Verfahren; die BNetzA beziffert den sektoralen Mehreffekt auf rund 2 %. Zugleich wird der Zugang zum vereinfachten Verfahren neu gefasst: Maßgeblich ist künftig die angepasste Erlösobergrenze, die die aktuellsten Kostenstrukturänderungen berücksichtigt. Netzbetreiber im Regelverfahren sollen dabei eine Marktabdeckungsquote von ca. 90 % (Strom) bzw. 84 % (Gas) erreichen. Nach Einschätzung der BNetzA verschiebt sich die Zuordnung nur geringfügig. Die Zugehörigkeit richtet sich damit stärker nach objektiver wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und einer leicht prüfbaren Größe. Kurz gesagt: Mehr kleine Netzbetreiber profitieren von einer OPEX‑Dynamisierung. Die Schwelle für das vereinfachte Verfahren wird transparenter und orientiert sich an der aktualisierten Erlösobergrenze.
     

  • Effizienzvergleich (Methodenfestlegungen)

    Die Verfahren Effizienzvergleich Strom (GBK-25-02-2#1) und Gas (GBK-25-02-1#2) legen die Methoden und Parameter zur Durchführung des Effizienzvergleichs fest. Danach sollen die Effizienzanforderungen steigen, um auch die Belange der Netznutzer zu berücksichtigen. Zentral sind die Bestimmung des Abbaupfads, die Berechnungsmethoden, sowie Vorgaben zur Abrechnung zwischen den ermittelten Effizienzwerten. Die Mindesteffizienz beim Effizienzvergleichsverfahren beträgt 70%. Die Ineffizienz wird über drei Jahre bis zum nächsten Basisjahr abgebaut; das bisherige „Best‑of‑four“ entfällt, ebenso die Skalierung der SFA‑Werte.
     

  • Produktivitätsfaktor (Xgen – Einzelfestlegungen)

    Mit dem Festlegungsentwurf (GBK-24-02-3#4) wird die zukünftige Methodik zur Bestimmung des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors definiert. Künftig soll der Xgen auf Basis eines reinen Malmquist-Modells (Produktivitätsindex zur Messung technischer/effizienzbedingter Veränderungen) der Gesamtkosten berechnet und ausschließlich auf Betriebskosten bezogen werden. Damit werden nach der Einschätzung der BNetzA produktivitätsbedingte Kostensenkungen systematisch und transparent in den Erlösen berücksichtigt. 
     

  • Kapitalverzinsung (Einzelfestlegungen)

    Der Festlegungsentwurf Kapitalverzinsung (GBK-25-02-3#1) enthält die methodischen Vorgaben zur Bestimmung eines gewichteten, pauschalierten Kapitalkostensatzes. Festgelegt werden die Berechnungsmethoden für Eigen- und Fremdkapitalzinssätze sowie die anzuwendenden Kapitalquoten. Bei der pauschalen Kapitalkostenvergütung wird die Fremdkapitalkomponente modifiziert: Jahre mit signifikant hoher Investitionstätigkeit werden bei der Zinsbestimmung stärker gewichtet. Die Gewichtung erfolgt vor Beginn der Regulierungsperiode einheitlich auf Basis von Branchendaten. Das WACC‑Modell sieht Quoten von 40 % Eigenkapital und 60 % Fremdkapital vor. Für Neuinvestitionen werden Fremdkapitalzinsen dynamisiert. Das stärkt nach der Einschätzung der BNetzA Planungssicherheit und reduziert Finanzierungsrisiken. 

Stimmen aus der Praxis

Die BNetzA betont, dass die Netzbetreiber mit den Festlegungen „ein Höchstmaß an Investitionssicherheit und gute Bedingungen für die Transformation“ erhalten. Gleichzeitig sei der Kostenanstieg für die Verbraucher „auf das effiziente und notwendige Maß begrenzt“. Die BNetzA verweist darauf, dass die Anpassungen für Stromverteilnetzbetreiber zu einem Erlöszuwachs von rund 1,4 % in der 5. Regulierungsperiode führen. Zudem sollen Renditen oberhalb der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung weiterhin möglich sein, jedoch auf echte Effizienz‑ und Produktivitätsfortschritte gestützt.

Die Netzbetreiber äußern sich bislang zurückhaltend. Nach Einschätzung des Verbands kommunaler Unternehmen („VKU“) überwiegt jedoch die Kritik. In der Branche bestehe Skepsis, ob die Festlegungen tatsächlich die erhofften Handlungsspielräume eröffnen. Vor allem würde bemängelt, dass Speicherlösungen und Flexibilitäten bislang unzureichend berücksichtigt würden, was zu einer „investitionshemmenden Regulatorik“ führen könnte. Positiv wird laut VKU hingegen bewertet, dass die Regulierungsbehörde künftig auch bei kleinen und mittleren Stromnetzbetreibern jährlich steigende Betriebskosten anerkennen will.

Fazit und Ausblick

Die RAMEN‑Festlegungen bilden die neuen Grundregeln der Anreizregulierung. Für die anstehende Regulierungsperiode bleibt es ausnahmsweise bei fünf Jahren; ein Wechsel auf drei Jahre wird bis 2030 evaluiert und könnte ab 2033 erfolgen. Der Effizienzvergleich wird verschärft (Mindesteffizienz 70 %, Abbau über drei Jahre), der generelle Produktivitätsfaktor (Xgen) methodisch neu bestimmt, Teile der Kapitalkosten pauschaliert (WACC mit 40/60) und besondere Kosten (KAnEu) adressiert. Neu ist die OPEX‑Dynamisierung auch für Stromverteilnetzbetreiber im vereinfachten Verfahren sowie ein objektiviertes Zugangskriterium über die angepasste Erlösobergrenze.  Ende 2025 wird die BNetzA den Entwurf für das Qualitätselement „Energiewendekompetenz“ vorlegen.

Die NEF-Festlegungen bestimmen ein einheitliches Ausgangsniveau der erlaubten Erlöse, auf den dann die RAMEN-Regeln angewendet werden.

Die an den Länderausschuss zu übermittelnden Festlegungen sollen Ende 2025 in Kraft treten und bilden die Grundlage für die Kostenprüfungen ab 2026/2027 sowie die 5. Regulierungsperiode ab 2028/2029.

Die Netzbranche verfolgt den NEST-Prozess mit hoher Aufmerksamkeit; methodische Neuerungen und ein ambitionierter Zeitplan sind für die Branche mit einigen Unsicherheiten verbunden. Ob die Neuerungen in der Praxis tatsächlich zu einer höheren Effizienz und guten Bedingungen für Netzbetreiber führen, wie die BNetzA verspricht, bleibt abzuwarten. Über etwaige Anpassungen nach der Konsultation der Landesregulierungsbehörden informieren wir zeitnah.

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