Energie & Infrastruktur

Das Bundesverfassungsgericht und die Kernbrennstoffsteuer – Eine Nachjustierung der Energiewende

ENERGY NEWS #10/2017   Der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit seinem Beschluss vom 13. April 2017 (2 BvL 6/13) das Kernbrennstoffsteuergesetz insgesamt für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Damit fehlt die Rechtsgrundlage für die Besteuerung der Kernbrennstoffe und die geleisteten Beträge sind, mit 6 % p.a. verzinst, zurückzuzahlen. Die Rede ist von EUR 6,3 Milliarden für den Zeitraum von 2011 bis 2016.

Zusammenfassung

 
  • Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht die Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes fest. Die bereits geleisteten Beträge sind entsprechend verzinst zu erstatten.
  • Ob im Lichte dieser Entscheidung überhaupt noch ein verfassungsrechtlicher Spielraum für ein entsprechendes Gesetz zur Besteuerung besteht, ist höchst zweifelhaft.

Mit seinem erst jüngst veröffentlichtem Beschluss vom 13. April 2017 (2 BvL 6/13) hat der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts den nächsten Meilenstein bei der juristischen Klärung der Rahmenbedingungen für die Energiewende und die geordnete Beendigung der Kernenergie gesetzt. Dabei wurde der Gesetzgeber weitreichender korrigiert, als dies der 1. Senat in seinem Urteil vom 6. Dezember 2016 (1 BvR 2821/11 u.a.) getan hatte. Der 1. Senat hatte mit seinem Urteil die 13. Novelle des Atomgesetzes über den sogenannten „Atomausstieg“ und die Ausgestaltung der Restlaufzeiten bis zur Stilllegung nur für teilweise mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, soweit die verfassungsrechtlichen Grenzen des Vertrauensschutzes überschritten waren. Der Gesetzgeber wurde zugleich dazu aufgerufen, eine entsprechende Kompensationsregelung bis zum 30. Juni 2018 zu treffen. Deutlicher fällt demgegenüber die Entscheidung des 2. Senats zum Kernbrennstoffsteuergesetz aus: Es ist insgesamt verfassungswidrig und nichtig. Damit fehlt die Rechtsgrundlage für die Besteuerung der Kernbrennstoffe und die geleisteten Beträge sind, mit 6 % p.a. verzinst, zurückzuzahlen. Die Rede ist von EUR 6,3 Milliarden für den Zeitraum von 2011 bis 2016.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erging mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung. Die Richtervorlage des 4. Senats des Finanzgerichts Hamburg datiert bereits auf den 29. Januar 2013. Das Kernbrennstoffsteuergesetz selbst trat Anfang 2011 in Kraft, begründete jedoch nur für Besteuerungsvorgänge vor dem 1. Januar 2017 Zahlungspflichten, also vor diesem Stichtag ausgelöste selbsttragende Kettenreaktionen mit Kernbrennstoffen. Die Rufe aus der Politik nach einer Verlängerung
der Kernbrennstoffsteuer waren in der letzten Zeit immer lauter geworden. Dem hat das Bundesverfassungsgericht nun einen deutlichen Dämpfer verpasst.

Die politischen Begehrlichkeiten waren deutlich gewachsen, nachdem in derselben Sache der EuGH bereits in einem Vorabentscheidungsverfahren am 4. Juni 2015 (C-5/14) die Vereinbarkeit mit den unionsrechtlichen Vorgaben festgestellt hatte. Aus dieser Entscheidung des EuGH konnten jedoch nur sehr begrenzt Implikationen für die verfassungsrechtliche Bewertung abgeleitet werden. Schließlich hatte der EuGH vor allem über die Vereinbarkeit mit der Energiesteuerrahmenrichtlinie (2003/96/EG) und der Verbrauchssteuerrichtlinie (2008/118/EG) zu entscheiden. Die Feststellungen des EuGH beschränkten sich zum einen darauf, dass Kernbrennstoffe keine Energieerzeugnisse sind, die unter der erschöpfenden Liste des Anwendungsbereichs der Energiesteuerrahmenrichtlinie fallen. Ferner erfasse die Kernbrennstoffsteuer weder unmittelbar oder mittelbar den Verbrauch von elektrischem Strom noch ein sonstiges verbrauchssteuerpflichtiges Erzeugnis i.S.d. Energiesteuerrichtlinie.

Der Maßstab für die verfassungsrechtliche Beurteilung ist jedoch ein anderer. Die Vorgaben der Finanzverfassung nach Art. 105 und 106 des Grundgesetzes sehen ein abschließendes Instrumentarium an Steuern und Steuerarten vor. Dies hat das Bundesverfassungsgericht nun erstmals ausdrücklich klargestellt. Der Gesetzgeber kann keine darüber hinausgehenden Steuerarten neu erfinden. Die Kernbrennstoffsteuer ist jedoch gerade keine Verbrauchssteuer wie der Gesetzgeber (aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts: fälschlich) vorgegeben hat und fällt damit unter keine der im Grundgesetz genannten Steuerarten. Demnach erfassen Steuern nicht nur Gegenstände des privaten Verbrauchs und des privaten Haushalts, sondern auch aus dem produktiven Bereich. Eine solche Verbrauchssteuer im letztgenannten Sinne muss jedoch darauf abzielen, auf den Endverbraucher abgewälzt zu werden. Und genau daran fehlt es. Es gibt also schlichtweg keine Gesetzgebungskompetenz für eine Steuer dieser Art.

Gleiss Lutz Kommentar

Wie wird der Gesetzgeber reagieren?

  • Zwar lässt das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung teilweise zu, ein neues Gesetz mit sog. „echter Rückwirkung“ zu erlassen, wenn ein ungültiger Rechtssatz ersetzt wird und damit die entsprechende belastende Wirkung vorhersehbar war. Hier wäre ein solches Vorgehen jedoch aus mehreren Gründen höchst zweifelhaft. Schon unabhängig von der Rückwirkungsproblematik entstehen erhebliche, vielleicht unüberwindbare verfassungsrechtliche Hürden. Eine Ausgestaltung als Verbrauchssteuer scheidet nunmehr zweifelsohne aus. Es bedürfte einer anderen Steuerart mit einem anders gelagerten Steuertatbestand. Letztlich ist dies nur schwierig vorstellbar. Auch andere abgabenrechtliche Instrumente dürften verfassungsrechtlich kaum haltbar sein. Zu denken wäre noch an eine Sonderabgabe. Diese erforderte u.a. das Merkmal einer gruppennützigen Verwendung zu Gunsten der Abgabepflichtigen. Daran fehlt es hier offenkundig: Die Kernbrennstoffsteuer diente ausweislich der Gesetzesbegründung der Haushaltskonsolidierung des Bundes, also dem denkbar allgemeinsten Zweck der Einnahmeerzielung ohne jeden gruppennützigen Bezug.
  • Die Politik wird sich die Frage stellen müssen, ob sie die Sache damit auf sich beruhen lässt. Man hat gerade eine Verständigung mit den Kernkraftwerksbetreibern über die weiteren Kosten für die Zwischen- und Endlagerung gefunden. Die Kernkraftwerke erfüllen in der Schlussphase bis zur vorgesehenen Abschaltung der letzten Anlage im Jahr 2022 noch immer eine wichtige Funktion für die Versorgungssicherheit, insbesondere in Süddeutschland. Das hat zuletzt der Technische Geschäftsführer des Übertragungsnetzbetreibers Amprion, Klaus Kleinekorte, am vergangenen Donnerstag, den 8. Juni 2017, öffentlich bekräftigt, als er von mehrmaligen Beinahe-Zusammenbrüchen des Stromnetzes in den letzten Monaten berichtete.

 

Zitiervorschlag: Ruttloff, Das Bundesverfassungsgericht und die Kernbrennstoffsteuer – Eine Nachjustierung der Energiewende, Gleiss Lutz Energy News #10/2017 vom 19. Juni 2017

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