Macht ein Arbeitnehmer nach einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung Annahmeverzugslohn geltend, hat der Arbeitgeber nach Treu und Glauben einen Auskunftsanspruch auf Mitteilung der durch die Agentur für Arbeit und das Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsangebote, um den Einwand des böswilligen Unterlassens der Annahme einer zumutbaren Arbeit führen zu können.
BAG, Urteil vom 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19
Sachverhalt
Die Beklagte hatte den Kläger, der als Bauhandwerker bei ihr beschäftigt war, mehrmals, u. a. außerordentlich gekündigt und kein Arbeitsentgelt mehr gezahlt. Nachdem der Kläger sich erfolgreich gegen die Kündigungen im Rahmen einer Kündigungsschutzklage zur Wehr gesetzt hatte, machte er klageweise Annahmeverzugslohn unter Anrechnung von Arbeitslosengeld I und II geltend. Der Arbeitgeber begehrte im Wege der Widerklage Auskunft vom Arbeitnehmer über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsangebote. Der Arbeitgeber vermutete, dass der Arbeitnehmer es böswillig unterlassen hatte, eine zumutbare Arbeit anzunehmen, deren potentiellen Verdienst er sich auf den Annahmeverzugslohn anrechnen lassen müsste.
Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei
Grundsätzlich muss die nicht darlegungs- und beweisbelastete Partei keine Auskunft erteilen, wenn sie dazu nicht aus besonderen Rechtsgründen verpflichtet ist. Aus dem Rechtsgedanken von Treu und Glauben gem. § 242 BGB folgt allerdings eine Auskunftspflicht unter fünf Voraussetzungen:
- Es liegt eine besondere rechtliche Beziehung vor, etwa ein Vertragsverhältnis,
- dem Grunde nach oder (im vertraglichen Bereich) zumindest wahrscheinlich existiert ein Leistungsanspruch des Auskunftsfordernden gegen den Anspruchsgegner, wobei bei der Begründung von Einwendungen die Wahrscheinlichkeit ausreichend ist, dass eine Einwendung begründet ist,
- der Auskunftsfordernde ist entschuldbar unwissend über Bestehen und Umfang seiner Rechte, hat also keinen anderen, näher liegenden und leichteren Weg zur Verfügung, sowie
- die Auskunftserteilung ist zumutbar für den Anspruchsgegner unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls und
- die Zuerkennung des Auskunftsanspruchs unterläuft nicht die allgemeinen Beweisgrundsätze.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Das BAG wies den mit der Revision des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts verfolgten Antrag auf Abweisung der Widerklage zurück.
Der Arbeitgeber hat gemäß § 242 BGB einen Anspruch auf Auskunft über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsangebote für die Zeit des Annahmeverzugs. Inhaltlich umfasst der Anspruch eine Information über die auszuübende Tätigkeit, die Arbeitszeit, den Arbeitsort sowie die Vergütung.
Das BAG führt aus, dass die fünf Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs aus § 242 BGB erfüllt seien:
- Die geforderte Sonderrechtsbeziehung bestehe in Form eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien. Um die Entstehung des Anspruchs des Arbeitnehmers auf Zahlung des Annahmeverzugslohns mit der Einwendung böswilligen Unterlassens aus § 11 Nr. 2 KSchG abwehren zu können, müsse der Arbeitgeber die Information über Vermittlungsangebote vom Arbeitnehmer erhalten.
- Es bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Arbeitnehmer die Annahme einer zumutbaren Arbeit böswillig unterlassen habe. Sowohl die Agentur für Arbeit als auch das Jobcenter seien zum Angebot der Arbeitsvermittlung verpflichtet. Aufgrund dieser gesetzlichen Verpflichtung sei davon auszugehen, dass Arbeitsangebote von der Agentur für Arbeit oder dem Jobcenter an den Arbeitnehmer herangetragen wurden. Für eine Unvermittelbarkeit aufgrund fehlender Qualifikationen oder Fähigkeiten des Arbeitnehmers gebe es keine Anhaltspunkte.
- Die Ungewissheit des Arbeitgebers über die Erteilung von Vermittlungsangeboten sei entschuldbar. Die Beschaffung der Informationen hierüber sei ihm selbst nicht in zumutbarer Weise möglich. Gegenüber der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter bestehe aufgrund des durch § 35 SGB I geschützten Sozialgeheimnisses kein Auskunftsanspruch. Auch der Nachweis eines anderweitigen tatsächlichen Erwerbs durch den Arbeitnehmer scheitere bereits an den fehlenden Tatsachenermittlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers. Gerade die Voraussetzungen der rechtmäßigen Beauftragung eines Detektivs lägen bei einer bloßen Überwachung „ins Blaue“ nicht vor.
- Die Erteilung der geforderten Informationen sei für den Arbeitnehmer aufgrund seiner Kenntnis über die unterbreiteten Vermittlungsangebote unschwer möglich. Auch das Sozialgeheimnis stehe einer Mitteilung im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht entgegen. Die Kenntniserlangung des Arbeitgebers von Vermittlungsangeboten sei gesetzlich in den § 11 Nr. 2 KSchG und § 615 Satz 2 BGB explizit vorgesehen.
- Zuletzt führe ein Auskunftsanspruch des Arbeitgebers nicht zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast. Die bloße Information über Arbeitsangebote begründe für sich noch nicht den Einwand des böswilligen Unterlassens zumutbarer Arbeit. Dieser sei nach Erteilung der Information weiterhin durch den Arbeitgeber substanziell darzulegen.
Das BAG wendet sich damit ausdrücklich von der Rechtsprechung des Neunten Senats vom 16. Mai 2000 (BAGE 94, 343) ab. Danach traf den Arbeitnehmer keine Obliegenheit, die Vermittlungsdienste der Agentur für Arbeit in Anspruch zu nehmen. Da Arbeitnehmer aufgrund der nunmehr abweichenden sozialrechtlichen Regelungen aber verpflichtet sind, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden und angehalten sind, aktiv bei der Vermeidung oder Beendigung von Arbeitslosigkeit mitzuwirken, könne den Arbeitnehmern nunmehr auch arbeitsrechtlich das zugemutet werden, was ihnen das Sozialrecht ohnehin bereits abverlange.
Gleiss Lutz kommentiert
Die Entscheidung des BAG ist in der Praxis sehr hilfreich. Fordert ein Arbeitnehmer Annahmeverzugslohn, kann der Arbeitgeber Auskunft über die Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit und des Jobcenters verlangen. Ohne diesen Auskunftsanspruch haben Arbeitgeber kaum Möglichkeiten, darzulegen, dass Arbeitnehmer böswillig anderweitigen Verdienst unterlassen haben. Die fünf Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs werden im Annahmeverzugsfall in der Regel vorliegen, wenn es keine Anhaltspunkte für eine Unvermittelbarkeit des Arbeitnehmers gibt.
Zutreffend hat das BAG in seiner Entscheidung darauf hingewiesen, dass die Erhebung der Widerklage zur Durchsetzung des Anspruchs zwar rechtlich möglich ist. Naheliegender ist aber, dass sich der Arbeitgeber gegen die Zahlungsklage des Arbeitnehmers zu Wehr setzt, indem er die Einwendung erhebt, der Arbeitnehmer habe böswillig anderweitigen Verdienst unterlassen. Wenn der Arbeitgeber keine Möglichkeit der Sachverhaltsaufklärung hat, dem Arbeitnehmer Angaben dazu hingegen ohne weiteres möglich und zumutbar sind, trifft den Arbeitnehmer eine sekundäre Darlegungslast. Der Arbeitnehmer muss dann angeben, welche Vermittlungsangebote ihm von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreitet wurden.