Wenn die Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- oder Telefonkonferenz aufgrund der Geschäftsordnung des Betriebsrats zulässig ist, kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Überlassung von jeweils einem Tablet oder Notebook je Betriebsratsmitglied verlangen.
LAG Hessen, Beschluss vom 14. März 2022 – 16 TaBV 143/21
Sachverhalt
Der Arbeitgeber betreibt als bundesweit tätiges Textileinzelhandelsunternehmen 70 Filialen in Deutschland. Der aus drei Mitgliedern bestehende Betriebsrat einer Filiale gab sich in einer Sitzung im Juli 2021 eine Geschäftsordnung, die neben den regelmäßig in Präsenz stattfindenden Betriebsratssitzungen unter bestimmten Voraussetzungen auch Sitzungen in Form von Video- oder Telefonkonferenzen vorsieht. Im Wege des Beschlussverfahrens versuchte der Betriebsrat zu erreichen, dass den Mitgliedern drei Tablets oder Laptops für die Teilnahme an Betriebsratssitzungen vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden. Zuvor hatte der Arbeitgeber dies verweigert. Das ArbG gab dem Antrag des Betriebsrats statt. Gegen die Entscheidung legte der Arbeitgeber Beschwerde ein.
Entscheidung des LAG Hessen
Das LAG hat die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Der Betriebsrat habe gemäß § 40 Abs. 2 BetrVG einen Anspruch auf die dauerhafte Zurverfügungstellung notwendiger Sachmittel für die Durchführung einer Videokonferenz. Virtuelle Betriebsratssitzungen seien gem. § 30 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zwar nur zulässig, wenn u.a. die Voraussetzungen für eine solche Teilnahme in der Geschäftsordnung unter Sicherung des Vorrangs der Präsenzsitzung festgelegt sind. Dieses Erfordernis habe der Betriebsrat bei der Schaffung seiner Geschäftsordnung jedoch beachtet. Der Betriebsrat habe im Allgemeinen auch die Entscheidungsbefugnis darüber, ob eine Betriebsratssitzung per Video- oder Telefonkonferenz stattfinde. Eine geeignete Alternative zur dauerhaften Zurverfügungstellung der Geräte bestehe nicht. Die dem Arbeitgeber durch die technische Ausrüstung entstehenden Kosten sah das LAG im Einzelfall zudem als zumutbar an.
Das LAG stellte darüber hinaus fest, dass die Betriebsratsmitglieder auch befugt seien, vom Home-Office aus an den virtuellen Betriebsratssitzungen teilzunehmen. Dass nach Beendigung einer solchen Sitzung gegebenenfalls noch der Weg zum Betrieb zurückgelegt werden muss, stehe dem Begehren des Betriebsrats nicht entgegen. Dabei ließ das LAG ausdrücklich offen, ob bzw. wie das Zurücklegen dieser Wegstrecke zu vergüten sei.
Gleiss Lutz kommentiert
Der durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz eingeführte § 30 Abs. 2 BetrVG ermöglicht langfristig (wie schon der aufgrund der Covid-19-Pandemie eingeführte § 129 BetrVG) virtuelle oder hybride Betriebsratssitzungen. Die Voraussetzungen für eine entsprechende Teilnahme an den Sitzungen müssen unter Sicherung des Vorrangs der Präsenzsitzung in der Geschäftsordnung des Betriebsrats festgelegt werden. Zudem darf im Vorhinein einer Betriebsratssitzung nicht mindestens ein Viertel der Betriebsratsmitglieder der virtuellen oder hybriden Durchführung widersprechen und es muss sichergestellt werden, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Ferner ist die Aufzeichnung der Sitzungen unzulässig.
Der Arbeitgeber kann eine virtuelle Durchführung von Betriebsratssitzungen weder erzwingen, noch kann er sie – bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen – verhindern. Die vom LAG Hessen aus § 40 Abs. 2 BetrVG hergeleitete Pflicht, dafür in erforderlichem Umfang Kommunikationsmittel zur Verfügung zu stellen, ist insofern die logische Konsequenz aus der Zulässigkeit virtueller Sitzungen. Welches Equipment „erforderlich“ ist, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. Der Überlassung günstiger oder gebrauchter Geräte dürfte im Ausgangspunkt nichts entgegenstehen. Finden virtuelle oder hybride Betriebsratssitzungen unter Verletzung der Vorgaben des § 30 BetrVG statt, sind die in der Sitzung gefassten Betriebsratsbeschlüsse generell unwirksam. Gibt sich der Betriebsrat eine Geschäftsordnung, die die Möglichkeit (teil-)virtueller Betriebsratssitzungen vorsieht, muss diese insb. dem Grundsatz des Vorrangs der Präsenzsitzung hinreichend Rechnung tragen, z.B. durch eine Begrenzung der Sitzungsanzahl oder eine Beschränkung auf bestimmte Themen.